Seite:Ueber die Liebe 249.jpg

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ihn plötzlich der Gedanke: „Sie war heute abend recht lustig“ … Er kommt zu sich. „Ach Gott,“ seufzt er, „es gibt im Irrenhause Menschen, die nicht so toll sind, wie ich.“

Die Don Juans werden die Richtigkeit des oben geschilderten Seelenzustandes nur schwer zugeben, selbst wenn sie ihn erkennen und fühlen könnten; er verletzt ihre Eitelkeit zu sehr. Der Irrtum ihres Lebens beruht in der Zuversicht, in vierzehn Tagen das erobern zu können, was ein wahrhaft Liebender kaum in sechs Monaten erreicht. Sie bauen auf Erfahrungen, die sie auf Kosten jener armen Teufel gemacht haben, die weder Seele genug haben, um zu siegen, wenn sie ihre naiven Regungen einer zartfühlenden Frau offenbaren, noch den Geist, den die Rolle des Don Juan erfordert. Sie wollen nicht einsehen, daß das, was sie erreichen, selbst wenn es die nämliche Frau gewährt, doch nicht dasselbe ist.

„Der Kluge ist auf seiner Hut,
Denn viel zu Viele sind bereit,
Zu schwören einen falschen Eid.
Die Frauen lassen manche Glut,
Die ohne Falsch ist, unerhört;
Nur der ermißt der Minne Wert,
Der Minne zu genießen weiß.
Und doch ist stets zu hoch ihr Preis.“[1]

Die Liebe läßt sich mit einem einsamen, steilen und mühevollen Wege vergleichen, der zwar zwischen reizenden Büschen anfängt, sich aber bald zwischen schroffen Felsen verliert, deren Anblick für gewöhnliche Augen nichts Verlockendes hat. Bald führt er in das Hochgebirge,


  1. [357] Aus Nivernais, „Le troubadour Guillaume de la Tour“, III, 332.
Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_249.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)