Seite:Ueber die Liebe 307.jpg

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116.

Ein Liebeszeichen können eigennützige Frauen nicht erheucheln. Liegt wahre Freude in der Wiederversöhnung? Oder denkt man dabei etwa an Vorteile, die daraus ersprießen?


117.

Ein Mann von cholerischem Temperament, wenn er ein nicht zu abstoßendes Äußeres hat, ist vielleicht am meisten geeignet, die Phantasie der Frauen zu reizen und zu entzünden. Wird ein solcher Charakter aber einmal von einer Frau verstanden, so muß er sie fortreißen; ja, selbst ein Mann, wie der wilde und fanatische Balfour in Scotts „Old Mortality“. Er ist für sie der Gegensatz zum Prosaischen.


118.

Die Schwiegertochter des Pythagoras sagte: „Eine Frau, die sich einem Manne hingibt, muß mit ihren Kleidern nach und nach die Schamhaftigkeit fallen lassen und sie mit ihnen wieder anlegen.“


119.

Wenn die Seele bemüht ist, falsche Scham, die sie bedroht, zu bekämpfen, so ist sie nicht genußfähig. Genuß ist Luxus. Um zu genießen ist ungefährdete Ruhe nötig.


120.

Es gibt Männer, wie Rousseau, die selbst Dirnen gegenüber falsche Scham empfinden; sie gehen nicht zu ihnen, denn man hat sie nur einmal, und dieses erste Mal ist unangenehm.


121.

Prüderie ist eine Art von Geiz, die allerschlimmste.



Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_307.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)