Seite:Ueber die Liebe V 020.jpg

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Saint-Simon schwärmte und die das Junge Deutschland alsbald so begeistert verkündete. Er ist auch vor den weitesten Folgerungen des Femininismus, der freien Erziehung der Frauen und der Gleichberechtigung der Geschlechter, wenigstens in der Liebe, nicht zurückgeschreckt, obwohl er an anderer Stelle ausdrücklich anerkennt, daß Liebe und Eifersucht für beide Geschlechter verschieden und von verschiedenen Folgen seien. Wie sollte man auch Mann und Weib gleiche Rechte einräumen, wo das Dienen des Mannes in der Liebe doch die Schwäche des Weibes und die natürliche Ungleichheit zur Voraussetzung hat?

Einer anderen Konsequenz der Liebe freilich ist er in seinem Buche beharrlich ausgewichen, der nächstliegenden und natürlichsten, die ihn zu einem ganz anderen Rückschluß auf Zweck und Wesen der Liebe genötigt hätte. Die Liebe ist vor allem ein Fortpflanzungstrieb von objektiver Zweckmäßigkeit, und das subjektive Vergnügen, das „Versprechen des Glücks“, dessentwegen Stendhal sie pflegt, ist doch nur ein Köder der Natur, die uns durch dieses „Versprechen“ zu ihren Zwecken treibt; – und bei Stendhal wird nicht einmal die Möglichkeit gestreift, daß die Liebe auch praktische, lebendige Folgen haben kann. Die Kehrseite der Medaille, die Goethes „Wahlverwandtschaften“ und seine Gretchentragödie so schonungslos enthüllen, ignoriert er völlig.

So ist der Geschlechtsinstinkt eigentlich um seinen Sinn gebracht, und die nächste Konsequenz daraus ist ein Mißverstehen der Ehe. Gewiß hat Stendhal kein Buch über die Ehe schreiben wollen, vielmehr war es bei einem solchen über die Liebe Bedingung, daß die

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite XX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_V_020.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)