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Das Thal.


Wie willst du dich mir offenbaren,
Wie ungewohnt, geliebtes Thal?
Nur in den frühsten Jugendjahren
Erschienst du so mir manchesmal.

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Die Sonne schon hinabgegangen,

Doch aus den Bächen klarer Schein!
Kein Lüftchen spielt mir um die Wangen,
Doch sanftes Rauschen in dem Hain!

Es duftet wieder alte Liebe,

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Es grünet wieder alte Lust;

Ja selbst die alten Liedertriebe
Beleben diese kalte Brust.
Natur! wohl braucht es solcher Stunden,
So innig und so liebevoll,

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Wenn dieses arme Herz gesunden,

Das welkende genesen soll!

Bedrängt mich einst die Welt noch bänger,
So such’ ich wieder dich, mein Thal!
Empfange dann den kranken Sänger

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Mit solcher Milde noch einmal!

Und sink’ ich dann ermattet nieder,
So öffne leise deinen Grund,
Und nimm mich auf, und schließ ihn wieder,
Und grüne fröhlich und gesund!

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 060. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0060.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)