Daß sich durch die Aufstellung der Relativitätstheorie in der Physik ein ähnlicher Prozeß vollzogen hat wie in der Geometrie, als die nichteuklidische – speziell Lobatschefskij-Bolyaische – Geometrie ans Licht kam, mag wohl mancher geahnt haben. Es ist nämlich sehr bemerkenswert, daß einige Autoren bei der Auslegung der Relativitätstheorie auch die nichteuklidische Geometrie erwähnen, ohne ihr für die Beschreibung des Naturgeschehens irgendwelchen Wert beizulegen. Manche sprechen ihr in dieser Beziehung geradezu jeden Wert ab, wie z. B. Lewis, der die nichteuklidischen Geometrien als bloße logische Übungen, ohne jede physikalische Bedeutung betrachtet.[1] Und Wien, nachdem er in seinem Vortrage „Über die Wandlung des Raum- und Zeitbegriffs in der Physik“ die zahlreichen Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie erwähnt hat, fährt so fort: „Es ist nun merkwürdig, daß im Gegensatz zu diesen auf rein spekulativem Wege gewonnenen Erkenntnissen sich induktiv aus der experimentellen Physik heraus die Möglichkeit einer neuen Raum- und Zeitanschauung langsam Bahn gebrochen hat. Allerdings hat diese mit der nicht-euklidischen Geometrie keine direkten Berührungspunkte“[2]
Vladimir Varićak: Über die nichteuklidische Interpretation der Relativtheorie. Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, 1912, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:VaricakRel1912.djvu/1&oldid=- (Version vom 1.8.2018)