Seite:Von der Macht der Toene.djvu/018

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ich sagte: Helmholtz war einer der physikalischsten. Musikalisch ist: was in Rhythmen und Intervallen tönt. Ein Schrank kann „musikalisch“ sein, wenn er ein „Spielwerk“ enthält[1]. Im vergleichenden Sinne kann „musikalisch“ allenfalls noch wohllautend bedeuten.

„Meine Verse sind zu musikalisch, als daß sie noch in Musik gesetzt werden könnten“, sagte mir einmal ein bekannter Dichter.

„Spirits moving musically
To a lutes well-tuned law"
(„Geister schwebten musikalisch
zu der Laute wohlgestimmten Satz“)

schreibt E. A. Poe; endlich spricht man ganz richtig von einem „musikalischen Lachen“, weil es wie Musik klingt.

In der angewandten und fast ausschließlich gebrauchten deutschen Bedeutung ist ein musikalischer Mensch ein solcher, der dadurch Sinn für Musik bekundet, dass er das Technische dieser Kunst wohl unterscheidet und empfindet. Unter Technischem verstehe ich hier wieder den Rhythmus, die Harmonie, die Intonation, die Stimmführung und die Thematik. Je mehr Feinheiten er darin zu erkennen oder wiederzugeben versteht, für um so musikalischer wird er gehalten.

Bei dem großen Gewicht, das man auf diese Bestandteile der Tonkunst legt, ist selbstverständlich das „Musikalische“ von höchster Bedeutung geworden. Demnach müsste ein Künstler, der technisch vollkommen spielt, für den meist musikalischen Spieler gelten; weil man aber mit „Technik“ nur die mechanische Beherrschung des Instrumentes meint, so hat man „technisch“ und „musikalisch“ zu Gegensätzen gemacht.

Man ist so weit gegangen, ein Musikstück selbst als „musikalisch“ zu bezeichnen,[2] oder gar von einem großen Komponisten wie Berlioz zu behaupten, er wäre es nicht in genügendem


  1. Die einzige Art Menschen, die man musikalisch nennen sollte, wären die Sänger, weil sie selbst erklingen können. In derselben Weise könnte ein Clown, der durch einen Trick Töne von sich gibt, sobald man ihn berührt, ein nachgemachter musikalischer Mensch heißen.
  2. „Diese Kompositionen sind aber so musikalisch“, sagte mir einmal ein Geiger von einem vierhändigen Werkchen, das ich zu unbedeutend fand.
Empfohlene Zitierweise:
Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Leipzig: Philipp Reclam jun., 1983, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Macht_der_Toene.djvu/018&oldid=- (Version vom 1.8.2018)