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Seite:Von der Macht der Toene.djvu/026

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daran kein Zunftwesen einen Teil haben kann, insofern als die Berufenen und Eingeweihten unverkennbar, und nur diese die Vollbringenden sein werden. An diesem Zeitpunkt leuchtet die vollste Blüte, vielleicht die erste in der Musikgeschichte der Menschheit. Ich sehe auch, wie die Dekadenz beginnt und die reinen Begriffe sich verwirren und wie der Orden entweiht wird...

Es ist das Schicksal der Späteren, und wir - heute - sind ihnen ähnlich, wie die Kindheit dem Greisenalter.


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Was in unserer heutigen Tonkunst ihrem Urwesen am nächsten rückt, sind die Pause und die Fermate. Große Vortragskünstler, Improvisatoren, wissen auch dieses Ausdruckswerkzeug im höheren und ausgiebigeren Maße zu verwerten. Die spannende Stille zwischen zwei Sätzen, in dieser Umgebung selbst Musik, läßt weiter ahnen, als der bestimmtere, aber deshalb weniger dehnbare Laut vermag.

„Zeichen“ sind es auch, und nichts anderes, was wir heute unser „Tonsystem“ nennen. Ein ingeniöser Behelf, etwas von jener ewigen Harmonie festzuhalten; eine kümmerliche Taschenausgabe jenes enzyklopädischen Werkes; künstliches Licht anstatt Sonne. Habt ihr bemerkt, wie die Menschen über die glänzende Beleuchtung eines Saales den Mund aufsperren? Sie tun es niemals über den millionenmal stärkeren Mittagssonnenschein.

Und auch hier sind die Zeichen bedeutsamer geworden als das, was sie bedeuten sollen und nur andeuten können.

Wie wichtig ist doch die „Terz“, die „Quinte“ und die „Oktave“. Wie streng unterscheiden wir „Konsonanzen“ und „Dissonanzen“ - da, wo es überhaupt Dissonanzen nicht geben kann!

Wir haben die Oktave in zwölf gleich voneinander entfernte Stufen abgeteilt, weil wir uns irgendwie behelfen mußten, und haben unsere Instrumente so eingerichtet, daß wir niemals darüber oder darunter oder dazwischen gelangen können. Namentlich die Tasteninstrumente haben unser Ohr gründlich eingeschult, so daß wir nicht mehr fähig sind, anderes zu hören - als nur im Sinne der Unreinheit. Und die Natur schuf eine unendliche

Empfohlene Zitierweise:
Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Leipzig: Philipp Reclam jun., 1983, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Macht_der_Toene.djvu/026&oldid=- (Version vom 1.8.2018)