Seite:Von der Sprachfaehigkeit und dem Ursprung der Sprache 271.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Durch diese Mängel der Ursprache, daß sie die Aufmerksamkeit nicht erregt, sondern sie schon voraussetzt, daß sie nur in der Nähe und am Tage anwendbar ist, entstand nothwendig die Aufgabe, dieselbe in eine bloße Gehörsprache zu verwandeln.


Wie soll nun aber diese Aufgabe gelöst werden? Wie soll der Mensch Gegenstände, die sich durch den Ton nicht charakterisiren, durch Töne bezeichnen? Der Hirt wird sein Vieh, und die Feinde desselben, den Löwen, den Tiger, den Wolf, durch die Nachahmung ihrer Stimmen bezeichnen. Aber wie soll er einen Fisch, Vegetabilien und andere Gegenstände, welche uns die Natur nicht durch Töne ankündigt, fürs Gehör bezeichnen?


Dazu kommt noch, daß, so wie sich allmählich die Bedürfnisse der Menschen vermehren, auch immer mehr Dinge in Gebrauch kommen, z. B. Zelte, Netze und andere Werkzeuge, die, ihrer Natur nach, keinen Ton von sich geben. Und doch soll auch für diese ein bezeichnender Laut gefunden werden.


Man beruft sich gewöhnlich, um die Erfindung solcher Bezeichnungen zu erklären, auf Verabredung: man nimmt an, die Menschen, in einer Lage, die ihnen eine Gehörsprache nothwendig machte, wären übereingekommen, diesen Gegenstand Fisch, jenen Netz zu nennen u. s. w. Allein dies ist grundlos. Denn erstlich, wie sollte man auch nur auf den Einfall gekommen sein, Gegenstände durch willkürliche Töne bezeichnen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottlieb Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache. Hofbuchhändler Michaelis, Neu-Streelitz 1795, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Sprachfaehigkeit_und_dem_Ursprung_der_Sprache_271.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)