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Verschiedene: Wünschelruthe

Kirchen gehn säumet nicht, Almosen geben armet nicht, unrecht Gut gedeihet nicht.




Legende[1].
Von Johannes von der Babenburg.




In Armenien lebte ein alter König, der hatte schon früh sich ganz der heiligen Lehre ergeben, die von Bethlehem über alle Welt segenvoll ausgegangen, und den Glauben an sie allmälig in seinem weiten Reiche befestigt. Dafür waltete die Gnade des Herrn sichtbar über ihm, und ein wunderschönes Töchterlein war ihm ihr köstlichstes Geschenk, das er darum auch in rechter Liebe zum Heiland erzog, und in immer größerer Demuth und Gottesfurcht heranblühen sah.

Als sie aber erwachsen, war Algaritha weit und breit die schönste und herrlichste Jungfrau geworden, und ihr überglücklicher Vater nannte sie nur immer den reinsten Demant in seiner reichen Königskrone. Auch war ihr Herz wahrhaft solch ein reiner Demant, der in seinem stillklaren Grunde stets des Erlösers Bild wie in einer Liebesgloria trug , und in tausend andere Herzen tröstend und heilend hineinleuchtete; denn gleich ihrem Vater war es auch der Jungfrau Liebstes, dem ewigen Hause recht viele Kindlein zuzuführen, und Gottes Namen zu verherrlichen in unzählbaren Liebeswerken.

So geschah es bald, daß Algaritha’s fromme und demüthige Schönheit zu solchem Ruhme gedieh, daß alle Fürsten Asia’s um ihre Hand zu dienen begehrten.

Neben dem Reiche des alten Königes aber herrschte der Jüngling Timurstan, der gewaltigste aller Tartarenfürsten und, wie seine Horden, noch befangen im wilden Heidenthum. Auch zu diesem war die Kunde von Algaritha’s Schönheit gekommen, und er entbrannte alsbald vor Begierde, sie zu sehen und zu erwerben. Deßhalb ritt er ungesäumt an den Hof des Armeniers, und verlangte von ihm mit übermüthig keckem Drohen seine Tochter zum Gemahl. Der aber schlug sie ihm zornig ab, sprechend, wie er nie sein Kind einem sündigen Heiden zum Gemahl geben werde, und sollte er und sein ganzes Reich darüber zu Grunde gehen. Darauf antwortete der Jüngling, der, seit er Algaritha’s himmlische Schönheit erblickt, nur in noch wilderen Liebesflammen aufloderte, wüthend, auch er setze Reich und Leben dran, und werde nimmermehr rasten, bis er den reinsten Demant in seiner Krone trage. Also sprechend jagte er davon, sammelte eiligst seine Horden, und stürmte mit ihnen im wildestem Kriegeszug, eh der alte König sich dessen noch versehen konnte, in das seit undenklicher Zeit friedliche Christenreich. Auch der König suchte sich nun mit seinen Getreuen zu tapferer Gegenwehr zu rüsten, aber zu schnell und gewaltig war der Heiden Ueberfall, und ihm blieb bald nichts weiter übrig, als in der Hauptstadt Leben und Krone fast rettungslos zu vertheidigen.

(Der Schluß folgt).




Ueber die Einführung des Chores auf unserer Bühne.
II.




(Schluß).


Man kann also das Zusammenwirken der in einem Schauspiele Handelnden ein Individuum von Handlung nennen, Wesen und Inhalt des Chores soll ihm bei uns als ein zweites Individuum parodisch entgegengestellt werden. So wie nun das altenglische Schauspiel im einzelnen Menschen die parodischen Gegensätze mit höherer Schärfe zusammenstellte,

  1. Vergl. Reimchron. v. Ott. Horneck. Cap. 192. in Pezzi Script. rer. Austriac. 3ter Bd.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_033.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)