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Verschiedene: Wünschelruthe


hieß den Abgesandten gefangen nehmen, und bestieg, zu neuer Kampfeswuth fortgerissen, sein Streitroß, gleich selber den lezten Sturm auf die Königstadt zu ordnen. Als er aber angesichts ihrer Mauern und Thürme so dahinsprengte, traf ein heller Strahl von dem großen goldenen Kreuze, so im Mittagsonnenlicht über dem Hauptthor erglänzte, sein Roß und blendete es dergestalt, daß es, scheu sich bäumend, mit dem wilden Reiter zusammenstürzte.

Aus langer Betäubung wieder erwacht, befahl Timurstan, der sich seltsam und unerklärbar entmuthet fühlte, alsogleich den Rückzug, und schon der Abend sah den Königsitz in alter Freiheit.

Algaritha aber folgte in hoher, wunderbar leuchtender Freudigkeit des anderen Tages dem Tartarenheere, und übergab sich, wie sie verhießen, auf des Landes Gränze dem wilden Heidenjüngling zum ehlichen Gemahl.

In stiller Ergebenheit hatte sie Timurstan’s gar oft unbezähmt grausame Sinnesart zu mildern gesucht, immer zu Christus hoffend, sie trotz der finsteren Magier, die ihn mit ihren lügenhaften Künsten umsponnen hielten, dereinst noch zum wahren Heile zu wenden. Auch war es jenem zuweilen, als fühle er sich neben Algaritha unsäglich klein und fast sich selber unheimlich, aber die bösen Zauberer ließen ihn nicht lange bei solchen Gedanken, und rissen ihn schnell wieder in ihr finster brausendes Leben. - Da war es an der Zeit, daß Algaritha eines Kindleins genesen sollte, und daß neben der mütterlichen Freude in ihr noch eine ganz andere, ihr selber unbegreifliche Herzensseligkeit zu tagen begann. Als sie nun eines Knäbleins glücklich genesen, fand sich zu großem Ensetzen ihrer Frauen, daß es an der einen Hälfte seines Leibes schön wie ein Engel des Himmels, an der anderen aber rauh und haarig wie ein wildes Thier. Da faltete Algaritha abermals ihre Hände in Demuth, sprechend: HErr, Dein Wille geschehe, und befahl, das Knäblein dem Vater zu bringen. Der aber entsezte sich gleichfalls vor seinem Kind, und rief im höchstem Zorn: das ist Zauberei der Christengötter! darauf versammelte er alle seine Magier, daß sie den Zauber lösen sollten. Die machten auch allerlei teuflische Zeichen über das Knäblein, sagten aber dann, Timurstan müsse augenblicks die Mutter tödten, anders wäre der Zauber nicht zu bezwingen, denn die rauhe Hälfte bedeute den falschen Glauben der Christen, mit dem sich ihr wahrer nimmermehr vereinbaren könne. Da ergriff der Vater das Knäblein, und stürzte wüthend, von allen Magiern und Höflingen begleitet, in Algaritha’s Gemach, sie mit eigener Hand zu morden.

Algaritha aber bat mit sanfter Rede, noch einmal ihr Knäblein in die Arme nehmen zu dürfen, und als dies geschehen, hob sie es auf ihren schwachen Armen gen Himmel und sagte: Hilf mir, Gott Vater! hilf mir, Gott Sohn! hilf mir, heiliger Geist! Und sogleich ward das Knäblein am ganzen Leibe schön wie ein Engel, und ruhte lächelnd an der Brust seiner Mutter, wie einst das Jesuskind an dem Herzen der heiligen Jungfrau. – Da aber erkannte ihr Gemahl den Willen des HErrn und die ewige Herrlichkeit Seiner Lehre, und fiel nieder auf die Kniee vor seinem hochbegnadeten Gemahl, in reuigem Gebet zum wahren Gotte. Die Magier jagte er sogleich vom Hofe, und empfing bald darauf die heilige Taufe. Und als der alte König von Armenien zum HErren heimgegangen, haben Alganritha und Timurstan noch lange in unbeschreiblicher Liebe und Glückseligkeit über beide Reiche geherrscht und die heilige Lehre auch unter den Tartaren verbreitet; auch hat beider Ehegatten heiliges Gedächtniß noch viele Jahrhunderte fortgelebt mit ihren mächtigen und gottgeliebten Nachkommen.




Erguß im Liede.
1811.




Vor meinem Auge flieht das deine,
Verbeutst du deiner Hand die meine,
Und meinen Lippen deinen Mund?
So fahrt denn wohl, ihr süßen Blicke,

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Ihr weichen, seel’gen Händedrücke,

Und du der Lippen heil’ger Bund!

Laß alles müssige Verlangen,
Und was du immer kannst erlangen,
Vertrau dem Griffel, arme Hand!

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Und was du klagend aufgeschrieben,

Dran sollen sich die Augen üben,
Aus ihrem Angesicht verbannt.

Der Mund, nicht schmachtend mehr nach Küssen,
Singt dann in traurigen Ergüssen

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Was Hand geschrieben, Auge liest.

So nähren sich Mund, Blick und Hände
Von der Erinnrung trüber Spende,
Die ewig aus dem Herzen fließt.

Und kommt das arme Lied am Ende

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Ihr vor das Aug’ und in die Hände,

Vielleicht gar auf den holden Mund: -
Wer weiß, ob nicht in Reuethränen
Ihr Aug’ sich meinem wird versöhnen,
Und Lipp’ und Hand und Herz gesund?

Gustav Schwab.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2018)