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Verschiedene: Wünschelruthe


hervorhoben, zur Scheibe herein blickte und dem lieblichen Mädchen zusah, auf dessen Antlitz sich sanfte Wehmuth malte, da ihr der Verlust des Erwerbs der emsigen Mutter zu Herzen ging. Das glatte Häubchen von Goldspitzen saß ihr so gar zierlich auf dem Haupt, und die blauumwundenen Zöpfe des weichen Haars glitten darunter reich im Nacken nieder, unter dem schwarzen Brustlatz mit den perlenartigen Schnüren dehnte sich das holde Herz in seiner kindlichen Bekümmerniß; das Kätzchen schlich einstweilen, märchenhaft, wie ein Hüter, auf weichen Pfötchen über die Verkaufstafel hin und her.

Der Fremdling draußen hielt einen aufgeschlagenen Kasten mit allerhand kleinen schimmernden Waaren, und Wäßern in länglichten Gläsern, vor sich, an der Seite hing ihm eine Zitter herab, an die er nur leicht mit der einen Hand streifte, damit folgenden Gesang zu begleiten, unter welchem sich eine Menge Kinder und Neugierige um ihn her einfanden:

     Ihr Mäuschen und ihr Ratten all’,
Hört ihr den Schall?
Hervor, hervor all’ überall!
Das ist des Rattenfängers Weise.

5
     Ihr Schönen und ihr Knaben all’!

Hört ihr den Schall?
Hervor, hervor all’ überall!
Das ist des Rattenfängers Weise.

Mehrere Hausfrauen hatten sich dem Rattenfänger genähert und sagten ihm ihre Wohnung. Indem die zunächst Wohnende ihm voranging, klinkte der Fremdling im Vorbeigehn die Ladenthür auf, sah mit den funkelnden Augen und dem rothen Barett herein und sprach Helenen an: gewiß, bei dem zuckersüßen Vorrath da, giebts nicht wenig Ratten und Mäuse, die bann’ ich euch alle weg, schöne Jungfrau! ist’s euch recht, so bin ich zum Feierabend wieder hier und zeig’ euch meine Kunst. - Helene, überrascht von der Dreistigkeit des Rattenfängers, stand glühend roth vor ihm da, und antwortete: ihr habt’s wohl getroffen, wir haben unsere liebe Noth mit den Ratten und Mäusen, und es giebt hier Arbeit für den Rattenfänger, drum mögt ihr immer zum Feierabend wiederkommen. - Der seltsame Bannkünstler ging nun den Hausfrauen weiter nach, und Helene wunderte sich über sich selbst, warum ihr bei seiner Erscheinung so unheimlich und doch auch zum Glühend-Rothwerden geworden sey; sie räumte hie und da in den zierlichen Glaskästen auf, und dachte bei sich selbst, was für Freude die Mutter haben würde, wenn die bösen Ratten und Mäuse aus dem Laden verschwänden.

Zur bestimmten Zeit kam der Rattenfänger wieder, setzte seinen Kasten mit den Kramwaaren auf die Ladentafel nieder, und sagte zu Helenen, mit den schwarzen Augen in ihren blauen Blick hineinleuchtend: zeigt mir nun, ihr gar schone Jungfrau, einen Ort an, wohinein ich die unartigen Gäste festbannen soll. Allesammt und allzugleich werden sie dahinein verschwinden, und wenn dem Rattenfänger sein rechter Lohn gegeben wird, kommen sie nimmer wieder. Sagt mir nun geschwind den Ort. Ihr seid mild und ohne Falsch, und wärt ihr noch so verzankt mit einer Nachbarin, ihr verwünscht die Rattenplage gewiß nicht in ihre Haushaltung hinein. - Ei pfui, wer sollte das thun, erwiederte Helene. Hat doch jedes Haus seine eigene Plage. Aber da hinter dem Gewölbe ist ein alter Keller; der Kaufmann der’s vor uns inne gehabt, hatte mancherlei Fässer darin; uns aber ist er zu nichts nütze; da mögt ihr das Rattenvolk hinein verbannen, so ihr das wirklich könnt. - Helene wollte eine Leuchte anzünden, daß sie der Rattenfänger mit sich in den Keller nehmen möchte, wie der Bergmann sein Grubenlicht; allein jener sagte, er sei keines Lichts benöthigt, und treibe sein Werk im Finstern. Da zeigt ihm das Mägdlein den Eingang und blieb in der Thür stehn, die aus den Ladengewölb’ in den Keller führte. Der Rattenfänger aber stieg hinunter und sie hörte ihn dumpfe unverständliche Sprüche munkeln, denn pfiff er hell und schneidend, daß es Helenen war, als klirrten die Gläser und Gewölb’, drauf hörte sie ein widerlich Durcheinanderpfeifen und dann war alles still. Der Tausendkünstler blieb noch eine Weile unten, kam dann wieder zum Vorschein und redete Helenen an; es ist nun alles gebannt, was Ratte heist und Maus bis auf dies kleine weiße Mäuschen hier, das ist gar zu allerliebst, das müßt ihr schönes Jungfräulein, zu eurer Lust und Kurzweil behalten. –

(Die Fortsetzung folgt).




Wiegenlied.







Schlaf Kindlein, Kindlein süße
     In deinem Wiegelein,
Die Mutter wacht ja gerne
     Für’s liebe Kindelein.

5
Schläft Alles doch im Walde,

     Die Thiere groß und klein,
Das Vöglein auf dem Baume
     Im Laub das Häselein.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_122.jpg&oldid=- (Version vom 27.5.2023)