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     Nun beben Seufzer, die verstohlen kommen,

     Nun läßt sie die verschwiegne Zähre rinnen;
     Bleich, blutlos, ganz verstöret in Gebehrden
     Läßt das Erbangen, läßt der Schmerz sie werden.

65.

Die Seele zeigt ihr ein Gebild voll Grauen,

90
     Das immer, immer wild die Brust empöret.

     Und Schlaf dünkt ärger nun, denn Tod, der Frauen,
     Von Träumen stets, seltsamem Spuck gestöhret.
     Den lieben Ritter glaubt sie dann zu schauen,
     Blutend, zersetzt! glaubt, daß den Ruf sie höret:

95
     „Herminia hilf!“ und ist der Traum zerflossen

     Fühlt Aug’ und Busen sie von Thau begossen.

66.

Doch was ihr Herze schlagen macht und bangen,
     Ist nicht blos Angst vor jenem sechsten Morgen:
     Auch um die Wunden, die er jetzt empfangen,

100
     Schwebt ihre Seele sonder Rast in Sorgen.

     Und die Gerüchte, die umher sich schwangen,
     Vergrößerten, was fern war und verborgen.
     So glaubte sie: zerquält, gemartert lieg’ er,
     Und schon dem Tode nah, der kühne Krieger.

67.

105
Und weil der Kräuterkraft geheimste Kunde

     Dem Töchterlein die Mutter einst ertheilet,
     Und des Gesangs, mit dem man jede Wunde
     Genäsen macht und all die Schmerzen heilet, -
     Die Kunst, die, fortgepflanzt von Mund zu Munde,

110
     Bey Asiens königlichen Töchtern weilet -

     So wünschet sie, daß nun durch ihre Hände
     Ihr vielgeliebter Herr Genäsung fände.

(Die Fortsetzung folgt).




Arabische Erzählung.




Alhareth, der Sohn Hammams, erzählte seine Geschichte und hub an: Zu dem was Merkwürdiges in diesem Jahrhunderte sich ereignete, rechne ich, was in der Stadt Maarvat-on-Naamam geschah. Zwei Leute, die einen Prozeß mit einander hatten, erschienen vor dem Kadi. Der eine war alt und finster, der andere war schön gewachsen und gebildet und glich der Myrabelane. Der ältere sprach zum Kadi: Gott erhalte den Richter, wie er den Kläger erhält. Ich hatte eine Sklavin, gut und regelmäßig gebildet, mit länglichem Kopf; sie war gelehrig bei der Arbeit, und vollbrachte sie schnell wie ein junger Hund; dann ruhte sie in einem kleinen Bette. Ihrer Frische schadete die Hitze des Julius nicht; sie war scharf und stechend. Ihre Hand, obgleich sie nur Einen Finger hatte, war geschickt im Säumen; ihr zahnloser Mund verwundete, so wie sie ihre Zunge rührte. Sie arbeitete in einem langen Gewande; das Schwarze und Weiße schadeten ihrem Glanze nicht; sie war nicht wie die Frauen manchen Beschwerden unterworfen; sie war klug und hinterlistig zu gleicher Zeit; sie verbarg und zeigte sich abwechselnd; sie war von Natur nützlich; sie war gehorsam, es mochte ihr gut gehen oder sie mochte in Noth sein. Was man trennte vereinte sie; und wenn sie sich einmal von euch trennte, so war sie weg. So oft man sie gebrauchte, stiftete sie Nutzen. Bisweilen schadete sie gegen ihren Willen; bestürzt schlich sie sich fort. Dieser Eigenschaften wegen bat mich der junge Mensch hier sie ihm zu leihen: ich that es, ohne ein Pfand zu nehmen, aber unter der Bedingung daß er sie gebrauchen sollte, ohne von ihr Arbeiten zu fodern die ihre Kräfte überstiegen. Er jedoch gebrauchte sie, vermehrte für sich durch ihre Hülfe die Mittel fortzukommen, und gab sie mir in einem sehr schlechten Zustande zurück.

Drauf nahm der junge Mann das Wort: der Alte, sprach er, redet Wahrheit wie der Vogel Kata; und was er da erzählt ist wahr, ich gestehe es, aber gegen meinen Willen ist das Unglück geschehen, und ich habe dem Alten, um ihn zu entschädigen, meinen Arbeiter gegeben, der in jeder Hinsicht gut ist, und wohlgestaltet als ob ihn ein Stahlarbeiter gemacht hatte; er ist frei von allem Schmutz und aller Unredlichkeit. Die Augäpfel nähern sich dem Orte wo er sich befindet; er thut Gutes und erregt Bewunderung; er ernährt den Menschen und nimmt seine Zunge in Acht. Wenn man ihn anschwärzt, befindet er sich wohl, wenn man ihn färbt, so wird er nur noch liebenswürdiger. Giebt man ihm Nahrungsmittel, so vertheilt er sie; und je mehr man ihm giebt, desto mehr verschenkt er. Er ist dankbar wenn man großmüthig gegen ihn ist; er ist gelehrig bei jeder Bewegung seines Freundes, obgleich er ein ganz anderes Naturel hat als jener; er wirft auf ihn den Schein und Glanz seiner Schönheit und raubt ihm nichts von seiner Sanftmut.“

Macht endlich ein Ende, rief der Richter, erklärt euch, oder pakt euch fort!

Der Alte, bestürzt über die Heftigkeit des Richters, stand lange da mit halboffenem Munde, und schlug die Augen nieder. Der Jüngling nahm wieder das Wort und sagte: „der Alte hat mir eine Nähnadel geliehen, um meine durch die Länge der Zeit abgenuzten Kleider auszubessern. Unglücklicherweise zerbrach ich sie, als ich einen Faden zu stark anzog. Als der Alte sah daß seine Nadel zerbrochen war, wollte er es mir nicht verzeihen. - Er sagte zu mir: bringe mir eine Nadel ganz so wie meine war, oder gieb

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