desto reifer entfaltet wird er sich dir ausliefern. Die Rede erobert den Gedanken, aber die Schrift beherrscht ihn.
VII. Höre niemals mit Schreiben auf, weil dir nichts mehr einfällt. Es ist ein Gebot der literarischen Ehre, nur dann abzubrechen, wenn ein Termin (eine Mahlzeit, eine Verabredung) einzuhalten oder das Werk beendet ist.
VIII. Das Aussetzen der Eingebung fülle aus mit der sauberen Abschrift des Geleisteten. Die Intuition wird darüber erwachen.
IX. Nulla dies sine linea – wohl aber Wochen.
X. Betrachte niemals ein Werk als vollkommen, über dem du nicht einmal vom Abend bis zum hellen Tage gesessen hast.
XI. Den Abschluß des Werkes schreibe nicht im gewohnten Arbeitsraume nieder. Du würdest den Mut dazu in ihm nicht finden.
XII. Stufen der Abfassung: Gedanke – Stil – Schrift. Es ist der Sinn der Reinschrift, daß in ihrer Fixierung die Aufmerksamkeit nur mehr der Kalligraphie gilt. Der Gedanke tötet die Eingebung, der Stil fesselt den Gedanken, die Schrift entlohnt den Stil.
XIII. Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption.
DREIZEHN THESEN WIDER SNOBISTEN
(Snob im Privatkontor der Kunstkritik. Links eine Kinderzeichnung, rechts ein Fetisch. Snob: „Da kann der ganze Picasso einpacken.“)
I. Der Künstler macht ein Werk. | Der Primitive äußert sich in Dokumenten. |
II. Das Kunstwerk ist nur nebenbei ein Dokument. | Kein Dokument ist als ein solches Kunstwerk. |
Walter Benjamin: Einbahnstrasse. Rowohlt, Berlin 1928, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Walter_Benjamin_Einbahnstrasse.pdf/31&oldid=- (Version vom 9.10.2018)