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Dabei hob er unter jammervollen Geberden seine rechte Hand in die Höhe, an der die drei vordersten Finger wie abgebrannt waren.

Dieses Betragen, dieß Schreien und wilde Rennen war den Bürgern Paderborns um so auffallender, als sie Alle den Mann, der ein ehrsamer Schneider war, sehr wohl kannten, und ihn seit langen Jahren friedliebend und ruhig und ehrbar unter sich hatten leben sehen. Aller Neugierde wurde daher in einem hohen Grade erregt, und obgleich manche Gevattern des Schneiders kopfschüttelnd sagten: Was macht der Mann für einen Spektakel? Die Polizei sollte ein Einsehen thun! – und obgleich die alten Weiber mit vieler Bestimmtheit auf der Stelle erklärten: die arme Schneiderseele ist verrückt worden; sein böses Weib hat ihn einmal wieder untergehabt! – so war doch kein Gevatter und kein altes und kein junges Weib, und kein Kind, kein Jude und kein Christ in ganz Paderborn, der nicht aus dem Hause gelaufen und auf den Domhof gerennt wäre, wo der Schneider endlich völlig erschöpft, Halt machte.

Mit tausend Fragen stürmte man hier sofort auf ihn ein, und eine volle halbe Stunde dauerte es ehe man ein Wort davon verstehen konnte. Zuletzt warf sich der Domkantor ins Mittel, und seiner nicht gewöhnlichen Stimme gelang es, einige Ruh und Ordnung in den empörten Haufen zu bringen. Jetzt unterschied man auch einzelne Fragen, als z.B.: Was mag der Schneiderseele begegnet seyn? – Es wird etwas Rechts seyn, was diesem Helden so in Schrecken jagen konnte? – Meister, habt Ihr Euch mit der Nadel gestochen? u. s. w.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 047. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_047.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)