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Herr über Euren Schmerz, und reißet eine Leidenschaft aus Eurem Busen, deren Gegenstand ein so unwürdiger ist.

Aber der Ritter hörte nicht auf ihn. Verlaß mich! rief er nur; o, ich bitte Dich, verlaß mich! – Dann sprach er wieder mit höchstem Schmerze für sich: O, es ist furchtbar, entsetzlich! Eine gemeine Buhlerin! und durch wessen Schuld? durch wessen? – Nein, ich trage es nicht länger! Diesem Elende, dieser fürchterliche Qual muß ein Ende werden!

Aus den Augen des armen Knaben stürzten große, bittere Thränen; er mußte das Gemach verlassen, weil sein Herr es ihm wiederholt befahl. Aber er konnte nicht weiter bis vor die Thüre; hier blieb er stehen, und als seine Kräfte ihn verließen, legte er sich nieder auf den Fußboden, und hörte, wie sein unglücklicher Ritter die ganze Nacht umherging, geflohen vom erquickenden Schlafe, aber nicht von seinem peinigenden Schmerze. –

Der Ritter von Volmestein trat früh am folgengenden Morgen aus seinem Gemache hervor. Aber sein Gesicht trug nur die Spuren einer durchwachten Nacht; Schmerz und Verzweiflung waren nicht mehr darin zu lesen; dagegen sagte eine gewisse Ruhe, die über seine Züge verbreitet war, daß er einen großen und entscheidenden Entschluß gefaßt habe.

Es war an diesem Tage ein Turnier in Dortmund, zu dem alle Ritter der Nachbarschaft eingeladen waren, auch der Markgraf und Gervin. In abenteuerlicher Lust hatten beyde beschlossen, unerkannt und nur in einfacher Rüstung hinzugehen. Auch der Markgraf war schon fertig, als Gervin sein Gemach verließ.

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 082. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_082.png&oldid=- (Version vom 29.12.2019)