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daß die Gräfin Beatrix ihrer vergangenen Tage gedachte, wie sie nach dem Tode ihres Vaters freude- und hülflos gewesen, und wie darauf die Liebe ihres edlen Gemahls sie so glücklich gemacht habe. Nur Ein Wehrmuthstropfen fiel in den Kelch ihrer frohen Erinnerungen, das Andenken an den räthselhaften Schwan. Weibliche Neugierde und Eifersucht kämpften in ihr, sie zerbrach sich den Kopf in Grübeleyen und Vermuthungen über das Thier selbst und über dessen Verhältniß zu ihrem Gatten, und ging von da auf diesen selbst, auf seine Herkunft, seinen Ursprung über. Immer brennender wurde ihre Begierde, über alles dieses Auskunft und Gewißheit zu haben. Elias Grail saß neben ihr. Lange kämpfte sie; zuletzt konnte sie nicht mehr widerstehen. Sie schmeichelte, sie liebkoste ihm; er war freundlich, gefällig; freundlicher, gefälliger als je. Jetzt war der Zeitpunkt, ihn zu fragen; er gab ihr gewiß Aufschluß. Und die Folgen! – Seine Worte in der Kapelle waren wahrscheinlich nur eine leere Drohung, hervorgegangen aus einer Furcht vor Entdeckung.

Ihr beschützender Genius verließ sie. Sie mußte wissen, wer er, wer der Schwan war. Die unglückliche Frage schwebte über ihre Lippen.

Elias Grail war fröhlich und heiter gewesen. Aber so wie das Wort aus ihrem Munde kam, verfinsterten sich seine Augen, seine Gesichtszüge. Starr blickte er vor sich hin, ohne ihr zu antworten. Beatrix! sagte er dann, aber mit weicher, liebender Stimme, und das Finstere seines Blickes hatte einer unbeschreiblichen Wehmuth Platz gemacht. Er stand von seinem Sitze auf, und ging zu seinen drey Knaben,

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_142.png&oldid=- (Version vom 29.12.2019)