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ein langer, hagener, häßlicher und dabey fader und aufgeblasener Mensch, verfolgte sie mit seinen Schmeicheleyen und Zärtlichkeiten vergestalt, daß aus der Gleichgültigkeit, womit sie ihn zu Anfang betrachtet hatte, zuletzt ein wahrer Widerwille bey ihr wurde. Als er ihr aber sogar nicht undeutlich zu verstehen gab, daß er Ansprüche auf ihre Hand mache, wurde sie von einer unbesiegbaren Angst ergriffen, wenn sie ihn nur sah; und als er dennoch täglich zudringlicher wurde, und sie auch aus einzelnen Worten des Bischofs merkte, daß dieser nach und nach den Fürsprecher seines Neffen bey ihr machen wolle, wurde ihr der Aufenthalt zu Münster auf einmal so unheimlich und zuwider, daß sie den ersten besten Vorwand aufgriff, um mit ihrem treuen Oer die Rückreise wieder antreten zu können. Der Herr von Wevelinghoven bot ihr zwar seine Begleitung und seinen Schutz an, allein sie schlug diese geradezu aus, und trat den Rückweg allein mit dem Ritter Oer und ihren vier Knappen an. Das tückische Gesicht, mit dem der verschmähete Liebhaber Abschied von ihr nahm, beachtete sie nicht.

Doch kaum hatte sie mit ihrer Begleitung die zwischen dem Dorfe Behlen und dem Kloster Clarholz befindliche Heide zurückgelegt, und war in den daran, sich anschließenden Wald gekommen, als plötzlich aus dem dickigt zwölf vermummte, aber wohl bewaffnete Reuter hervorstürzten, und über ihre Bedeckung herfielen. Sie waren so unvorbereitet gekommen, daß der Herr von Oer sich kaum zur Wehre setzen konnte, und, fast ohne einen Schwertstreich gethan zu haben, vom Pferde gerissen und geknebelt wurde. Seinen Knappen erging es nicht besser. Helfen konnte die Gräfin nicht,

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_192.png&oldid=- (Version vom 23.2.2020)