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Sünde ist nah, sie versucht uns allezeit, sie muß ernstlich von uns bekämpft und gemieden werden; das kann die Furcht vor Gott, die mit der Liebe verbunden sein muß. Wäre nun freilich nur Furcht vor Gott im Herzen und keine Liebe, dann wäre es ein sklavisches Verhältnis steter Furcht. Wiederum die Liebe zu Gott darf nicht ohne Furcht sein, ohne die heilige Furcht, daß wir stets in der Gefahr der Sünde bleiben. So ist die heilige Liebe in uns zu Bestand gekommen und sie wird sich nun auch im Wandel betätigen.

 Wenn der Apostel 1. Kor. 13 sein hohes Lied von der Liebe anstimmt, nennt er eine Menge von Betätigungen der Liebe; er zeigt dort wie die Liebe alles übertrifft, alles überdauert und alles überwindet. Da ist es immer, wie auch an anderen Stellen, der doppelte Gedanke, daß die Liebe nie andere zum Bösen reizen kann, sich aber auch nie von andern reizen läßt; da kommt auch recht eigentlich die heilige Liebe, die in uns sein soll und sein kann zur Darstellung. Die Liebe bringt es dazu, daß wir anderer Verkehrtheit überwinden können, das Böse überwinden durch Gutes, wogegen die heilige Furcht Gottes uns davon abhält, daß wir andern etwas Böses antun und uns auch nicht von ihnen zum Verkehrten reizen lassen. So ist die heilige Liebe Gott gegenüber in steter Betätigung, aber auch dem Nächsten gegenüber. Möchte diese heilige Liebe Gottes auch in uns recht wirksam sein und sich betätigen in dem Werk der Heiligung, in dem ernsten Bestreben die Sünde immer mehr zu bekämpfen und Gott immer völliger und gehorsamer zu dienen. Dann werden wir auch allmählich wachsen in der Liebe und in guten Werken und werden dadurch zu dem schönen Ziele gelangen, daß wir die rechte volle Erkenntnis der Liebe gewinnen in der Vereinigung mit Christo, und das ist das letzte, was über das persönliche Erleben der Liebe noch gesagt werden möchte.


IV.

 Der Apostel Paulus unterscheidet eine Erkenntnis des Heils, eine Erkenntnis von Christo, die dem Glauben vorangehen muß und eine Erkenntnis, die dem Glauben nachfolgt. Ich muß wissen, an wen ich glaube, ohne diese Erkenntnis ist bewußter Glaube nicht denkbar. Es gibt somit eine Erkenntnis, die den Glauben ermöglicht, aber die höhere, vollkommene Erkenntnis Christi kommt erst aus dem Glauben. Das läßt sich besonders aus den Darlegungen des Apostels Eph. 1 und 3 entnehmen. Das ist es auch, was wir am Anfang aus dem Lied des Bernhard von Clairvaux hörten: „Niemand weiß, als der’s errungen, was die Liebe Christi sei.“ Ja, wenn wir den Herrn von ganzem Herzen lieb haben, dann erkennen wir immer völliger seine Liebe zu uns und dürfen auch manche selige Erfahrung davon machen. Es gibt ja Zeiten, es gibt Augenblicke im Christenleben, in denen die Liebe Christi in