Seite:Wilhelm Löhe - Drei Bücher von der Kirche.pdf/76

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muß? Und was liegt daran, daß sich andere Particularkirchen so manches wahren oder eingebildeten Vorzugs rühmen, so lange sie Mangel an den größten Gütern leiden, so lange nicht widerstritten werden kann, daß die lutherische Kirche, so wie sie sich nur ihrer selbst bewußt sein wird, aus der Fülle, die sie hat, alle Mängel erstatten und an jeder Tugend die andern Kirchen übertreffen kann? Wer Wort und Sacrament recht würdigen kann, den blendet kein Strahl des Lichtes, der auf andern Kirchen ruht; er geht doch nur von dem Heerde unsrer vollkommenen Wahrheit aus. Viel weniger blendet ihn eitler Schimmer menschlicher Werke und Gedanken. Im Besitze der höchsten Güter kann man untergeordnete Dinge leichtlich missen, bis man sie gefahrlos ergreifen kann.

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 Wir wißen wohl, was die Gegner im Munde führen. Sie sprechen: „Wann waret ihr einig? Ihr habt immer gestritten, – und seit wie lange her ist es, daß ihr euch überhaupt wieder einer Kirche rühmt? Es ist noch nicht lange, daß ihr so sprechet, und noch vor einer ganz kurzen Zeit hattet ihr selber euer Bekenntnis verlaßen und waret selber die Kirche nicht, die zu sein ihr euch jetzt wieder rühmet.“ – Wir erkennen aber in diesem Hohn unsrer Gegner nichts Schreckliches. Wir haben Muth genug, die volle Wahrheit zu sagen, – wir haben den Muth der Buße, und in diesem Muthe ein frisches Leben, das unsre Gegner nicht ertöden werden, vor dessen Schwingen sie sich lieber fürchten mögen. Es ist wahr, daß unsre Väter gestritten haben: bei dem hellen Lichte unsrer Kirche sah man auch kleine Unebenheiten des Weges, ja Stäublein in der Luft; darüber stritt man. Aber unsre Väter haben für uns gestritten. Nun ists Ruhe. Wir sind einig, und unsre Einigkeit wächst fort und fort! Wir sind fertig mit einander. Wir können einmüthig fürbas ziehen. – Es ist wahr! Viel Untreue war in unsern Gränzen. Fast waren wir unsichtbar geworden. Aber ausgestorben waren wir nicht, wo kämen wir denn her, die wider euch streiten? An uns hat sichs bewiesen, was wir lehren, daß die Kirche klein werden kann, aber auch, daß sie unsterblich ist; daß sie abnehmen kann, wie der Mond, aber auch, daß sie zunehmen kann, wie der Mond. – Oder wollt ihr lieber, daß wir vollends ausgestorben