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Wahrheit an andere Orte und fand allezeit ihre Kinder und ihre Bekenner. Und wenn gleich sehr finstere Zeiten eintraten, wo es schwer war, die Wahrheit irgendwo in ihrer vollen Schöne zu finden, oder irgendwo ihr vollstimmiges, harmonisches Lied zu hören; so war es doch nie unmöglich. Und wenn gleich erst die Zeit der Reformation eine Zeit vollständiger Enthüllung des Heiligtums der Wahrheit wurde und frühere Zeiten überstrahlte; so ist es uns doch nun bei dem doppelten Lichte der ersten Zeit und der Zeit der Reformation desto leichter, die verborgeneren Zeugnisse ans Licht zu bringen. Und wenn wir auf Erden nie vermögen werden, alle diejenigen aufzufinden, welche in ihren Kreißen Bekenner der Wahrheit gewesen sind, – wenn uns die römischen Feuerzeichen und Blutströme und das Geschrei ihrer Gemordeten nicht alle Spuren der Kinder Gottes zeigen; so wird doch ein Tag kommen, an welchem wir schauen werden, wie viele sich der HErr auch in der schlimmsten Zeit erlesen und sie bewahrt hat vor dem Uebel. Der sieben Tausend zu Eliä Zeiten im kleinen Lande fand, fand ohne Zweifel viel mehr in den weiten Räumen des Christentums.

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 Im Grunde ist es eine abgeschmackte Frage: „Wo war das Luthertum vor Luther?“ – Wir wollen nicht auf die Blutzeugen hinweisen, die für reinere Lehren starben. Wir wollen nicht antworten: „Unter euern Händen bluteten die treuen Zeugen, die wie Luther zeugten!“ Wir wollen auf keinen Schandfleck der römischen Kirche hinweisen, um ihren Hohn zum Schweigen zu bringen, obwol wirs könnten, ohne trivial zu werden. Wir wollen auch nicht auf jene böhmischen Brüder verweisen, welche Markgraf Georg von Brandenburg zu Luther schickte, denen Luther brüderliche Liebe und größere Ehre als den neuerweckten deutschen Gemeinen zusprach. Wir wollen nicht auf die vielen Vorläufer der Reformation, auf die Zeugen der Vorzeit deuten, deren Zeugnisse Flacius und andere gesammelt haben. Aber die Kinder, die vor Luther in der Taufe Gnade starben, – die Einfältigen, welche an den verschiedenen Orten der Welt in Vergebung ihrer Sünden starben, – die Reumüthigen, die auf Christi Blut und Wunden starben, weil sie keine andre Tröstung stillen konnte, – die Seligen alle, die