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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

welches Namens sie sei, wenigstens keine protestantische, anstatt des Dimissoriales aus eigener Machtvollkommenheit etwas anderes substituiren, sondern wenn ein Pfarrer eine ihm zuständige Handlung weder selbst vollziehen, noch einem anderen überweisen will; so kann die Handlung so lange nicht geschehen, bis entweder der Pfarrer seinen Sinn ändert, oder bis an seiner Stelle ein anderer seine Rechte überkommen hat. Diese Lage der Sache geht aus der protestantischen Ueberzeugung hervor, nach welcher die Pfarrer nicht wie bei den Römischen Organe eines Vicarius Christi sind und aus seiner Fülle ihre Werke verrichten, sondern selbst die höchsten Vollmachtträger Christi sind, über denen sich ein Regiment nur jure humano aufbauen kann. Ob ein Pfarrer in seinem Amte bleiben, oder dasselbe verlieren soll, ist eine ganz andere Sache, und eine Frage, die vorkommenden Falles allerdings erledigt werden muß. – Nun hat man zwar allerdings gesagt, ich hätte ein Dimissorium ausstellen können. Konnte ich nicht trauen, so hätte ich es doch einem anderen getrost überlaßen können, wenn es seine Ueberzeugung gestattet hätte zu trauen. Ich meinerseits gebe nun gerne zu, daß es bescheiden ist und wohlgethan, auf dem Gebiete der Meinungen und Ansichten die eigene Meinung nicht für andere maßgebend zu machen. Als ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, in welchem alle Rechte der Subjectivität triumphieren, verstehe ich ganz wohl die Vortheile, die man sich auf diese Weise gegenseitig einräumt. Aber selbst auf dem Gebiete der Meinungen und Ansichten gibt es eine Grenze für den Respekt des einen vor dem andern; vollends aber in göttlichen Dingen steht es anders. Wir können alle den Ausdruck der Reformatoren: „Mein Gewißen ist durch Gottes Wort gebunden,“ und wißen, daß derselbe nichts anderes soll, als den, der ihn gebraucht, gegen den Vorwurf verwahren, als halte er einen Satz aus menschlichem Hochmuth und Eigensinn fest. Man beruft sich dadurch auf eine höhere Auctorität und spricht die Erfahrung aus, daß nicht immer die Meinung der Mehrzahl oder der Höhergestellten die richtige sei, sondern zuweilen auch die eines einzelnen und untergeordneten Menschen dem göttlichen Worte entsprechen, die objective sein könne. Ist nun aber jemand durch Gottes Wort gebunden, etwas zu thun oder nicht, so erwächst ihm die Pflicht, nicht bloß selbst zu handeln, wie er handelt, sondern auch, so viel an ihm liegt, nicht anders handeln zu laßen. Es ist gewiss etwas Unsittliches, eine Sünde selbst

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/29&oldid=- (Version vom 1.8.2018)