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eingewandt, und auch Karl Goedeke, ein Biograph des Dichters, erwähnt dies, er habe in seinen Gedichten den Geist der orjentalischen Poesie nachahmen wollen.[1] Der Umstand, daß Platen auch Liebesgedichte an das weibliche Geschlecht verfaßte, konnte seinen Ruf als Männerfreund nicht ändern. Platen hatte anfangs die Absicht, durch den Grafen Fugger eine Klage bei dem Königlichen Kammergerichte in Berlin gegen Heine anzustellen, ließ aber die Sache schließlich ruhen, weil, wie man glaubt, Heine den Wahrheitsbeweis antreten wollte.“[2] („Die konträre Sexual-Empfindung“, Berlin 1891, S. 51 f.). Daß auch der schon erwähnte Karl Heinrich Ulrichs Platen als Urning in Anspruch nimt, erscheint nicht weiter verwunderlich, da die Homosexualen, wie alle Minderheiten und sektirerisch Gearteten, die in ihre Nähe Kommenden, sich mit ihnen Beschäftigenden, oder über sie Schreibenden, für ihresgleichen halten. Aber auch Dr. med. Hirschfeld (Charlottenburg) reiht Platen in die von ihm sogenante Gruppe der Uranides supérieurs ein. Er schreibt in einer Studje „Das Rätsel im Leben der Herzogin von Alençon“ (Der Hausdoktor, Berlin 1897, Nr. 392) wo er auf die Beziehungen Ludwig’s II. von Baiern zu der genanten Herzogin zu sprechen komt, u. A.: „Man vergleiche die innigen Liebesbriefe des Königs an den Schöpfer des „Lohengrin“, „Tannhäuser“, „Siegfried“ und „Parsifal“, in denen die Begeisterung des heiligen Johannes lodert, die Enthüllungen von Josef Kainz über seine Beziehungen zu König Ludwig, welche vor einigen Jahren mit Recht Aufsehen erregten, endlich die Arbeiten von Jolland, Grashey, Evans über die Leiden des Fürsten, fassen wir das alles zusammen, so tritt uns in Ludwig II. das Urbild eines Uranide supérieur entgegen, ähnlich wie wir es in Karl XII. von Schweden, Eugen von Savoyen, Wilhelm von Oranien, Michelangelo, Winkelmann, Platen, Christine von Schweden, Sonja Kowalewska, Oscar Wilde und vielen Anderen verfolgen können.“

Doch die sichersten und unumstößlichen Beweise für die konträre Sexualempfindung des Dichtergrafen, liegen uns jezt in der eigenen Beichte desselben, in seinen kürzlich veröffentlichten Tagebüchern vor.[3] Was jeder einigermaßen unbefangene Psichologe längst aus seinen Gedichten und seinem Leben erraten hatte, ist nun klar erwiesen.[4] Platen gesteht selbst, daß er sich nicht zu Personen des andern, sondern solchen des eigenen Geschlechts in Liebe hingezogen fühlte, daß er konträrsexual empfand, mithin Urning war. Kein heterosexual Denkender hat wohl je seine Geliebte inbrünstiger angebetet, Keiner den Schmerz unerwiderter Liebe, die Qual unverstandener Gefühle erschütternder zum Ausdruck gebracht als er. Diese Herzensergüße nehmen mindestens ein Drittel des dikleibigen bis jezt erschienenen ersten Bandes des Tagebuches aus den Iahren 1813-1817 ein; alle Torheiten und


  1. Goedeke, deßen auffallendes Eintreten für Platen ebenso bekant ist, wie seine grimmige Feindschaft für Heine, schrieb die Biografie des ersteren in den von dem schon genanten Freund Platen’s, Grafen Friedrich Fugger, herausgegebenen „Gesammelte Werke des Grafen August von Platen“, Stuttgart, Cotta 1839. – Goedeke macht dazu in seinem „Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung“ die Notiz: „Ich habe keinen Anteil an der Herausgabe gehabt und die dürftige Biografie nur aus Liebe für den Dichter beigesteuert“ (Band III. S. 570. Dresden 1881).
  2. Heine schreibt bezüglich dieses Punktes an Immermann: „Der Graf Platen hat mir doch noch viel Zeit gekostet, da man mir mit Prozeßen drohte, und ich, der ich zur Exceptio veritatis entschloßen war, beständig schlagfertig mit Daten und Witzen Stand halten mußte. Dergleichen lang’ im Kopfe halten müßen, ist Anfangs verdrießlich und hernach ekelhaft. Jetzt erscheint mir das Ganze wie ein literarisches Märchen.“ Aus Helgoland vom 10. August 1830.
  3. Die Tagebücher des Grafen August von Platen, herausg. von G. von Laubmann und L. von Scheffler. Stuttgart, Cotta 1898.
  4. Hier noch eines dieser ganz charakteristischen Gedichte Platen’s (No. 63 in der schon zitirten Ausgabe):

    „Qualvolle Stunden hast du mir bereitet,
    die aber nie an dir der Himmel räche,
    sonst müßten fließen deine Tränenbäche,
    wenn von der Lippe dir mein Name gleitet.

    Doch bis Gewisheit jeden Wahn bestreitet,
    will gern ich dich, und tät’ ich es aus Schwäche,
    verteid’gen Freund! von auf der Oberfläche
    geschöpften Zufallsgründen nie verleitet.

    Zwar würd’ ich kaum dir zum Verteid’ger taugen,
    doch stets bedienst du dich als deiner beiden
    Fürsprecher listig meiner beiden Augen:

    so lang sie sich an deinem Blike weiden,
    so müßen Liebe sie aus ihm sich saugen,
    du aber, lies in ihrem Blik mein Leiden!“

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_009.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)