Seite:Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin V 014.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ist diese uralte Baumruine keineswegs, denn die mächtige Krone ist durch Stürme größtentheils zerstört und nur ein paar mächtige Aeste fanden wir noch mit den charakteristischen blaugrünen Blattbüscheln bedeckt. (Auch diese letzten Aeste nebst dem ganzen Reste des Stammes wurden in dem folgenden Jahre nach unserem Besuche (1867) das Opfer eines furchtbaren Orkans, und wir sind die letzten Naturforscher gewesen, die den hochberühmten Drachenbaum von Orotava noch lebend gesehen haben.) Zahlreiche größere und kleinere Drachenbäume sahen wir nachher noch zwischen Orotava und Garachico, und ein besonders schönes und altes Exemplar in einem Garten von Ycod los Vinos. Gewöhnlich steigt der graue, glatte Stamm kerzengerade und unverzweigt bis zu ansehnlicher Höhe empor und zerfällt dann in einem Busch von starken, wiederholt getheilten Aesten, die wie die Arme eines Candelabers neben einander empor streben. Jeder Ast trägt an seinem Ende einen stachligen Kopf von schwertförmigen, seegrünen, steifen Blättern, aus deren Mitte die vielverzweigte mächtige Traube von weißen Blüthen oder rothen Beeren hervortritt.

Die Erkundigungen, welche wir gleich nach unserer Ankunft in Orotava über unsere beabsichtigte Pikbesteigung einzogen, lauteten, wie diejenigen in Santa Cruz, sehr ungünstig. Der erfahrendste Pik-Führer, den wir ausfragten, zuckte die Achseln und meinte, der oberste Gipfel würde weges des tief herabgehenden Schneemantels keinesfalls zu ersteigen sein. Indeß beschlossen wir auf alle Fälle, wenn das Wetter es nur irgend gestatte, den Versuch zu machen, möglichst hoch hinaufzugehen. Der heftige Südwind, der schon am Tage unserer Ankunft sich erhoben hatte, steigerte sich in der Nacht zu einem orkanartigen Sturme, dem am nächsten Morgen heftige Regengüsse folgten. Schon am Nachmittag klärte sich das Wetter wieder auf. Sturm und Regen legten sich, und es zeigte sich bald, daß dieser Südsturm unser Glück gewesen war. Denn ein großer Theil des Schnees war durch seinen heißen Hauch weggeschmolzen. Wir faßten neue Hoffnung auf das Gelingen unseres Planes und trafen schleunigst alle Anstalten, um noch in der folgenden Nacht, vom Mondschein begünstigt, aufzubrechen.

Gewöhnlich werden für die Pikbesteigung 2 oder selbst 3 Tage verwandt. Man übernachtet in einer Höhe von ungefähr 9000 Fuß und unternimmt von hier aus den letzten und schwierigsten Theil der Reise, die Erklimmung des äußerst steilen Gipfels. Allein bei der vorgerückten Jahreszeit war an ein Uebernachten im Freien in solcher Höhe nicht zu denken. Wir waren daher in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt, die ganze Tour in einem Zuge, ohne Unterbrechung machen zu müssen, und mußten zu diesem Behufe schon um Mitternacht

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_014.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)