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Als die Morgendämmerung hereinbrach, hatten wir bereits die öde und wilde Ginster-Region erklommen, deren nackter, dürrer, mit Bimssteinen bestreuter Lavaboden fast blos die beiden oben erwähnten schmetterlingsblüthigen Sträucher trägt. Der Adenocarpus ist ein häßlicher, halbkugeliger Strauch, mit dicht drüsig behaarten Blättern und gelben Blüthen. Der Alpenginster dagegen oder die „Retama blanca“ wie sie hier genannt wird (Cyticus nubigenus) ist ein unserm Goldregen nahe verwandter Strauch, welcher herrlich duftende weiße Blüthentrauben trägt. Er erreicht 9–10 Fuß Höhe und ist die Hauptnahrung der wilden Ziegen und Kaninchen, welche die einzigen Bewohner dieser menschenleeren Einöde sind.

Nach mehr als fünfstündigem ununterbrochenem Berganreiten hatten wir gegen 6 Uhr Morgens die Bergpforte oder den Portillo erreicht. Diesen Namen führt ein Engpaß, welcher in den sogenannten Circus des Pik hineinführt. Die beiden ungeheuren Bergrücken, welche, vom Fuße des eigentlichen Pik in das Meer hinabziehend, das blühende Thal von Orotava zwischen sich nehmen, Montagna Tygaiga im Westen und Montagna Cuchillo im Osten, nähern sich hier derartig, daß der Portillo wie eine riesige Thorespforte zwischen Beiden erscheint, Dieser Punkt liegt schon ungefähr 7000 Fuß hoch, und da unsere Maulthiere von dem ununterbrochenen beschwerlichen Bergansteigen sehr erschöpft waren, wir selbst aber von der eiskalten Morgenluft ganz erstarrt, beschlossen wir, etwas weiter oben eine halbe Stunde zu rasten. Im Schutze eines mächtigen schwarzen Lavablocks loderte bald ein lustiges Feuer, welches wir mit den Zweigen der Retamabüsche nährten. Bald waren die erstarrten Glieder wieder erwärmt und durch einen guten Schluck heißen Glühweins gelenkig gemacht. Die Pferde und Maulthiere vergnügten sich unterdeß mit dem Abweiden der Retama-Schoten. Dieser Ort heißt Estancia di cera, die Wachsstation, weil die Insulaner im Frühlung ihre Bienenkörbe, ausgehöhlte Stämme des Drachenbaums, hier hinauftragen und den Sommer über stehen lassen. Die Bienen bereiten aus den weißen duftenden Retama-Blüthen einen überaus köstlichen Honig, und im Herbste werden die gefüllten Stöcke wieder herab geholt.

Inzwischen begann das Morgengrauen das helle Mondlicht zu verdrängen, und um 6½ Uhr schwangen wir uns wieder in den Sattel. Auf sanftgeneigtem Lavaboden, der mit weißem und gelbem Bimsstein dicht bestreut war, ging es nun eine lange Strecke in munterem Galopp fort. Wir hatten durch den Engpaß des Portillo hindurch die Hochebene des Circus betreten und überschauten nun mit einem Blick den ganz eigenthumlichen Bau des Pikgipfels. Mit dem Namen des Circus bezeichnet man ein ungeheures kreisrundes Amphitheater, in

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_017.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)