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meines Lebens. Eindrücke von solcher Majestät, solcher Eigenthümlichkeit und solcher Tiefe können nie wieder verwischt werden.

Nichts ist falscher, um die Wirkung dieser Eindrücke zu bezeichnen, als die übliche Phrase: Eine schöne Aussicht. Rundsichten von hohen Bergen sind überhaupt selten schön, wenn man nicht den Ausdruck Schönheit in einem Sinne gebraucht, den kein Maler dafür gelten lassen würde. Höchstens die Farbenharmonie, die Mannichfaltigkeit und Mischung der Farbentöne kann man hier schön finden. Die Formen, welche man von einem hohen, isolirten Berggipfel erblickt, die Vertheilung von Licht und Schatten, ist meistens nichts weniger als schön. Es sind ganz andere Ursachen, welche solchen erhabenen Rundsichten ihren eigenthümlichen und unendlichen Reiz verleihen.

Vor Allem kommt hierbei die Größe des Erdenstückchens in Betracht, welches man hier mit einem Blicke überschaut, die Masse der verschiedenartigen, theils bekannten, theils unbekannten Gegenstände, welche sich hier in dem engen Rahmen eines Panorama’s zusammendrängen. Die ungewohnte Ausdehnung und Höhe des Horizonts giebt uns eine dunkele Vorstellung von der Unendlichkeit des Raums. Die tiefe, durch keinen Laut unterbrochene Stille, das Bewußtsein, daß längst alles animale und vegetabilische Leben hier erloschen ist, erzeugt in dem Gemüthe das Gefühl der tiefsten Einsamkeit. Mit einem gewissen Stolze fühlt man sich einen Augenblick als Herrn des Standpunktes, den man mit so vielen Mühen und Gefahren erkämpft hat. Bald aber fühlt sich der Mensch wieder als das, was er ist, als eine vergängliche Welle in dem unendlichen Meere des Lebens, als eine vorübergehende Combination einer verhältnißmäßig geringen Anzahl organischer Zellen, welche in letzter Instanz den eigenthümlichen chemischen Eigenschaften des Kohlenstoffs ihre Entstehung und Bedeutung verdanken! Wie verächtlich und elend erscheint in solchen Augenblicken das kleinliche Spiel der menschlichen Leidenschaften, welches tief unten in den Stätten der sogenannten Civilisation seinen endlosen Wechsel entfaltet! Wie groß und erhaben ist dagegen die freie Natur, welche uns hier im Rahmen eines einzigen Bildes die ganze Majestät und Herrlichkeit ihrer schaffenden Gewalt empfinden läßt.

Es würde ein vergebliches Unternehmen sein, ein anschauliches Bild von den zahllosen Einzelnheiten des unendlich großartigen Panorama’s entwerfen zu wollen, in dessen Genuß wir uns in jener unvergeßlichen Stunde versenken durften. Ich beschränke mich daher kurz auf die Hervorhebung des Wichtigsten.

Den großartigsten Eindruck macht zunächst zweifelsohne der ungeheure Meereshorizont. Nach welcher Himmelsgegend sich auch der

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_025.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)