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unter einander behaupteten die Kommandanten der chokandschen Bergfestungen die Herrschaft über alle; Stammesfehden, bei denen die Kirgisen an Zahl und Besitz immer mehr herabkommen, sind im Thian-Schan, seitdem und soweit Chokand dort herrschen wollte, an der Tagesordnung gewesen. Uebrigens bestand der Genuß dieser Herrschaft nur in einem geringen Tribut, den die dazu Verpflichteten sofort zu versagen pflegten, sobald die Regierung im Unterlande selbst ins Schwanken kam, was bei den vielen Thronstreitigkeiten und Verwickelungen mit Buchara in den letzten Jahrzehnten oft genug geschehen ist. Wie wenig Chokand’s Macht bei den Kirgisen galt, erfuhren Walichanof und seine Genossen, als sie bei der Reise im Narynthal aufwärts die eigenthümlichen Segnungen der kirgisischen Gastfreundschaft über sich ergehen lassen mußten. Unter den kirgisischen Stammeshäuptlingen haben sich bestimmte, durch Alter und Herkommen geheiligte Regeln herausgebildet, nach denen sie die Plünderung einer Karawane vornehmen, eine gesetzliche Plünderung. Diese Regeln bestehen in Folgendem: 1) jede Karawane, welche die Ulusse eines kirgisischen Stammoberhauptes durchzieht, muß den Seket (Grenzzoll) bezahlen; 2) eine Loskaufsumme geben für den freien Durchzug (Transitzoll), 3) dem Stammoberhaupt Geschenke darbringen, die seiner Bedeutung und Macht entsprechen; 4) keine Karawane darf die Auls berühmter Anführer übergehen, sondern muß Halt machen, um die Gastfreundschaft derselben zu genießen. Die letztere[WS 1] besteht darin, daß die Karawane zum Abendessen einen oder zwei magere Hammel empfängt und gehalten ist, dafür am andern Tage Gegengeschenke zu machen. Wenn aber diese der Bedeutung des bewirthenden Häuptlings nicht angemessen sind, so verfällt 5) die Karawane in Strafe. Der 1. Punkt ist durch chokandsches Gesetz verboten und gilt für das, was er ist, offenbare Erpressung. Punkt 2 und 3 werden von Chokand nicht gebilligt, aber auch nicht[WS 2] geradezu untersagt. Punkt 4 ist als Recht der Kirgisenhäuptlinge ausdrücklich anerkannt. Daß dieses Recht nicht verletzt werden dürfe, mußte die Karawane zu ihrem Schrecken und damit eine Bestätigung des 5. Punktes kennen lernen, als sie sich fast noch unter den Augen der Festung Kurtka, 10 W. von derselben entfernt, der Gastfreundschaft des nächstgebietenden kirgisischen kleinen Herrn entziehen zu können glaubte und es vergebens versuchte. Es ist begreiflich, daß der Handel durch solche Belästigungen nicht wenig leidet. Trotz derselben indeß, sowie der auf der Herbstreise erlittenen Verluste an Schafen und Kameelen machte die Karawane Walichanof’s im Ganzen befriedigende Geschäfte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letzere
  2. Vorlage: nichl
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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_173.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2019)