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dass sich der Forscher mit wenigen vereinzelten rein volkstümlichen Proben begnügen musste. Die Zahl der Varianten ist seitdem natürlich stark gewachsen. Es ist jedoch nicht meine Absicht, das Märchen hier genauer zu untersuchen, dazu fehlt mir allein schon die erforderliche Literatur[1]. Ich möchte vielmehr diesmal den Märchenforscher mit einigen Fassungen bekannt machen, die wegen der Fremdheit der Sprache schwerer zugänglich sind. Der grösste Teil von ihnen existiert nur handschriftlich.

Wir wenden uns zuerst den finnischen Varianten des Märchens zu. In Finnland scheint es nicht sehr häufig zu sein. Obwohl ich sämtliche Handschriftensammlungen der Finnischen Literaturgesellschaft durchgesehen habe, in denen von ein und demselben Märchen oftmals 50–60 Fassungen, mitunter sogar noch mehr, vorliegen, habe ich von diesem Märchen nur 11 Varianten angetroffen. Wir beginnen mit einer ostfinnischen, im Kirchspiele Jaakkima (Län Wiborg) aufgezeichneten Variante[2], die auch gedruckt unter dem Titel ‘Die sprechenden Tannen’ in der Sammlung ‘Suomen kansan satuja’ (Finnische Volksmärchen) Bd. 2, Nr. 5 erschienen ist. Der Held des Märchens ist hier ein Jäger, der mit seinen beiden Hunden in den Wald auf die Jagd geht. Als er unter einer grossen Tanne ein Feuer angemacht hat, bemerkt er in dem Baume eine Schlange. Sie verspricht dem Mann alle Sprachen der Welt mitzuteilen, wenn er sie aus dem Feuer rette. Nach ihrem Rate fällt er einen anderen Baum und stellt denselben an die Tanne, und daran kriecht die Schlange herunter. Der Mann lernt die Sprachen, darf aber niemandem etwas von seinem Können sagen. Während er ruht, hört er seine Hunde und die Bäume sprechen. Der eine Hund sagt zu dem anderen: „Bleib du hier und halte beim Herrn Wache, ich gehe nach Hause, dahin kommen Räuber.“ Eine dem Sterben nahe Tanne sagt zu einer zweiten, sie falle auf etwas Gutes, und der Mann findet unter der Wurzel der Tanne einen schwarzen Fuchs und eine Geldkiste, wodurch er reich wird. Zu Hause lacht er einmal, als er ein Spatzenweibchen zu seinen Jungen sagen hört: „Fresst nicht von der Erde, fresst von der Spitze! Was auf der Erde liegt, gehört uns“, und veranlasst dadurch seine neugierige Frau, die gerade Pirogen backt, sich nach dem Grund des Lachens zu erkundigen. Des unausgesetzten Drängens seiner Frau überdrüssig, beschliesst der Mann zuletzt das Geheimnis zu verraten und bereitet sich zum Sterben vor. Aber da hört er den Hahn sagen: „Ich habe 50 Weiber und kann sie alle regieren, mein Herr hat nur eins und kann nicht einmal mit dem fertig werden.“ Der Mann wird dadurch ermutigt, prügelt seine Frau gehörig, und danach leben sie einträchtig miteinander.

Sehr ähnlich sind eine südfinnische, eine westfinnische und eine mittelfinnische Version. Die erste von diesen stammt aus dem Kirchspiel Ingå[3] in Län Nyland, die zweite aus dem Kirchspiel Kauvatsa[4] in Län Åbo und Björneborg. Die


  1. [R. Köhler. Kleinere Schriften 2, 610 f. Dazu noch F. v. d. Leyen, Archiv f. neuere Sprachen 116, 19. Katona, Keleti Szemle 2, 45. G. v. d. Gabelentz, ZdmG. 52, 287. Brandes, Tijdschrift voor indische Taalkunde 41, 460 Nr. 7. Bezemer, Javaansche en malaische Fabelen 1903 S. 202. Kampffmeyer, Mitt. des Berliner Seminars f. oriental. Sprachen 8, 2, 231 (Südalgerien). Junod, Les Bas-Ronga 1898 p. 316. P. Schullerus, Siebenbürg. Archiv 33, 649 (rumänisch). Kristensen, Skattegraveren 8, 157.]
  2. Handschriftlich, Ahlqvist, Nr. 21. [Deutsch im Magazin f. d. Lit. des Auslandes 1858, 107 und bei Asbjörnsen-Grässe, Nord und Süd 1858 S. 155; französisch bei Beauvois, Contes pop. de la Norvège 1862 p. 171.]
  3. Handschrift Tyyskä, Nr. 3.
  4. Handschrift Massa, Nr. 3.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 19. Jahrgang. Behrend & Co., Berlin 1909, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_fuer_Volkskunde_19_299.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)