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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1

als welche er die sozial vorschauenden Massnahmen versteht, 3. die sozial-ethischen Richtlinien, die auch enthalten, was für den Schutz der moralischen und religiösen Persönlichkeit bestimmend ist. In keine dieser Kategorien scheint ihm das Recht auf Arbeit hineinzupassen. Nirgendwo — so führt er weiter aus — habe es im neunzehnten Jahrhundert schon eine rechtliche Anerkennung gefunden. Dieser Fortschritt sei erst mit den Nachkriegsjahren gemacht worden, und zwar in zwei charakteristischen Formen: überwiegend theoretisch in Deutschland, ausschliesslich praktisch in England, sowohl theoretisch als praktisch in Russland. Der Verfasser hält selber hier eine theoretische Konstruktion für notwendig, denn das Recht auf Arbeit habe seinen Grund teils in dem Verhältnis, das der Arbeiter zum Produkt seiner Arbeit habe, teils im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft. Nach beiden Richtungen gibt der Verfasser nähere Ausführungen. Zunächst beruft er sich auf § 950 des deutschen BGB, das die alte Kontroverse des römischen Rechtes zugunsten der Spezifikation oder der Formgebung entscheidet, was freilich kaum jemals zugunsten der Arbeit, sondern fast immer zugunsten des Kapitals ausgelegt worden ist[1]. Richtig betont Bosse, dass das Recht auf das gesamte Arbeitsprodukt, von dem so oft die Rede gewesen ist, seiner Struktur nach durchaus von dem Recht auf Arbeit verschieden sei. Er meint, es werde überhaupt kaum gelingen, in der Frage des eigentlichen Rechtes auf das Arbeitsprouukt zu einem Ergebnis zu kommen, wenn man die Begründung auf dem ökonomischen Gebiete suche. Die Lösung liege vielmehr

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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_1.pdf/71&oldid=- (Version vom 31.8.2022)
  1. Die Auslegung zugunsten des Kapitals ist eine notwendige logische Folge aus der allgemein herrschenden Vorstellung, dass gleich dem Handwerksmeister und dem Bauern auch, wer an seine Stelle tritt, der eigentliche Urheber des geschaffenen Werkes oder Ertrages ist, dass also die Spezifikation als eine intellektuelle, Urheberschaft von ihm herrührt oder ihm zugehört; dass er dafür Arbeiter als Mitwirkende annimmt und für ihre Leistungen bezahlt, ist lediglich seine Sache, im günstigsten Falle werden sie als seine Gehilfen gewürdigt. Die rein kapitalistische Auffassung anerkennt sie kaum als solche, jedenfalls sind sie durch den Lohn völlig abgefunden, das Werk oder der Ertrag gehört dem Kapital kraft des Prinzips der Spezifikation, nicht etwa als Lohn der Arbeit des Unternehmers, sondern der Meinung nach dem natürlichen Rechte, d. i. dem Eigentumsrechte gemäss, insofern als auch die Arbeit, nachdem er sie bezahlt hat, dem Eigentümer des Stoffes und der Arbeitsmittel, also dem Unternehmer gehört. Der Pandektist Windscheid lässt das Sachenrecht zu seinem unmittelbaren Inhalte nur die Herrschaft über die Sachen haben, die Beziehung zu anderen Menschen sei nur eine Konsequenz davon. Die Einschränkung der Spezifikation im BGB, dass der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung nicht erheblich geringer sein darf als der Wert des Stoffes, kann dem Lohnarbeiter niemals zugute kommen, denn der Kapitalist darf sich in seiner Eigenschaft als Eigentümer des Stoffes ebenso sicher fühlen wie in seiner Eigenschaft als Befehlshaber der Arbeit. Bei Hedemann (Sachenrecht § 17) lesen wir, die Spezifikation schliesse geistige Probleme "von ungeheurer Tragweite" in sich. A. Elster, im neuen "Rechtslexikon" bemerkt dazu treffend, es handle sich auch um das Problem "Kapital und Arbeit".