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ganz andere als die, welche in den byilinyi der Russen offenbar durch Einfluss derselben Wäringer eingedrungen sind.

Es gibt noch eine dritte Art, auf welche skandinavische Traditionen zu den Finnen und Esthen herübergekommen sein können. Sowohl an der südwestlichen Küste unseres Landes, wie auf manchen esthnischen Inseln gibt es eine schwedische Bevölkerung, die früher viel mehr verbreitet war als jetzt. Von der ersteren gibt Agricola ausdrücklich an, dass sie schon zu heidnischer Zeit aus Gottland herübergekommen sei, und die alte Gautasage lässt die frühere schwedische Bevölkerung von Dagö von derselben Gegend abstammen. Diese Schweden lebten jahrhundertelang mit den Finnen und Esthen im selben Lande als ihre nächsten Nachbarn, und die Verbreitung ihrer Traditionen konnte daher leicht vor sich gehen. Auch gibt es, soviel ich weiss, keinen bestimmten Grund, ihre Übersiedelung in eine so frühe Periode zu verlegen, dass sie nicht zusammenpassen würde mit Bugges oben angeführter Hypothese. Zu dieser Zeit, möglicherweise von 900—1000, gehören somit wahrscheinlich die sechs Stoffe in der Kalevala, welche genommen sind aus den Gesängen von den Niflungen, von Völunder, Grotte, vom Odhrönir-Meth, vom Kesselholen Thors, vom Gastmahle Ägirs, vom Tode Balders, vom Yggdrasilbaume, vom Sährimnereber, nicht zu reden von manchen anderen Abenteuern Odins und Thors.

Aber ausser diesen gibt es mehrere germanische Stoffe, welche in der Edda teils nicht vorkommen, teils dort ihre ursprüngliche Natur verloren haben. Zu diesen würde ich die Stoffe in der Kalevala rechnen, welche auf eine Bekanntschaft mit dem Mythus von der Fruchtbarkeit bringenden jährlichen Ankunft der Nerthus von einer Insel, von der Befreiung der Sonne vom Wolkengefängnisse [WS 1], von der Verfolgung des Sonnenhirsches (der ewige Jäger) und vom Zerbrechen des Rades des Sonnenwagens. Man wäre versucht, hier einen gothischen Einfluss anzunehmen von der Zeit vor der Völkerwanderung; aber der Umstand, dass die eben genannten Stoffe sich fast alle nur in Finnland vorfinden, die meisten nicht einmal bei den Esthen, noch weniger bei anderen östlicheren Zweigen des finnischen Volkes, weist darauf hin, dass sie von der skandinavischen Bevölkerung erhalten worden sind, welche bei der Ankunft der Finnen, in ihr jetziges Land, das südwestliche Finnland (ganz Tawastland darin inbegriffen), eingenommen zu haben scheinen.

Und da die Einwanderung der Finnen, nach Aspelin, in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts vor sich gegangen sein mag, so haben wir dazu die möglichst frühe Grenze für diese Entleihungen und für allen skandinavischen Einfluss überhaupt bestimmt.

Auch litauische Mythen und Sagen haben im wesentlichen, wenn auch im Vergleich mit dem skandinavischen Einflusse in bedeutend geringerem Grade, zum Entstehen des finnischen epischen Gesanges beigetragen. Was den Zeitpunkt für diese Einwirkung betrifft, so lehren uns die zahlreichen, dem Litauischen entliehenen Worte zwischen drei verschiedenen Perioden litauischen Kultureinflusses zu unterscheiden.

Ein bedeutender Teil der genannten entliehenen Worte findet sich bei allen oder fast allen Zweigen des finnischen Volkes wieder (bei den Finnen, Esthen, Liven, Woten, Kareliern und Wepsern), ebenso viele, ausschliesslich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wolkengefängisse
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_213.png&oldid=- (Version vom 11.4.2024)