Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 222.png

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— was leider die Folge des seltenen Waschens bei dem in betreff seiner Wohnungen keineswegs gleich unreinlichen Volke hat — oder nichts Unreines an das Ostfenster der Hütten, dem der erste Gruss der Sonne zukommt, zu bringen, u. dgl. m., so liegt dies ja in der Natur aller Anfänge der Ethik zu tief begründet, als dass man darauf grosses Gewicht legen könnte. Auf alle Fälle sind wirkliche Sittengesetze in das Bewusstsein des Volkes tief eingeprägt, und man kann sie nicht anders als aus dem innersten Wesen der Volksreligion erklären.

Dem entsprechend haben aber die Sagen und Volksmärchen ebenfalls einen Zug, auf welchen auch Chamberlain a. a. O. gebührend aufmerksam macht, und der sich bei den Japanern so gut wie gar nicht findet, nämlich den der moralischen Nutzanwendung und — um es kurz auszudrücken — der poetischen Gerechtigkeit. Bestrafung des Bösen, Belohnung des Guten ist ein Charakterzug vieler Aino-Traditionen, und wenn daneben auch die Belohnung der Schlauheit gegenüber der Dummheit manchmal eine vorragende Rolle spielt — wie dies einem immerhin etwas kindlich fühlenden und dem Jägerhandwerk ergebenen Volke nur natürlich ist — so geschieht es doch eigentlich nicht in einer verletzenden Weise. Ein Frohlocken über grausame Massregelung eines Wesens, welches vielleicht kein anderes Verbrechen begangen hat, als dass es sich gegen seine Widersacher verteidigte, bemerkt man bei den Aino nicht, während es in den Sagen und Märchen der Japaner einen stehenden Zug bildet und fast nur in solchen Erzählungen gemildert und mit Rücksicht auf moralische Momente umgeformt ist, aus deren Fassung ein Einfluss der buddhistischen Lehre mit Sicherheit zu entnehmen ist.

Dass die Aino ihre Götter mit einem Namen bezeichnen, welcher dem japanischen Kami (Herr) sehr ähnlich und vielleicht aus ihm entstanden ist, nämlich mit dem Worte Kamui, ist sicherlich etwas Äusserliches. So wenig der Verkehr mit irgend welcher Nation das innere Naturell der Aino berührte, so beträchtlich ist doch an allen Berührungspunkten der Handelsverkehr, und bei dem äusserst sanften, wenig widerstandsfähigen Wesen der Aino lässt sich begreifen, dass er in seiner Sprache sich den Fremden vielfach anzupassen suchte. Auf solche Weise liesse sich die Übereinstimmung des Namens für die Gottheit also schon ohne Zwang erklären; noch wahrscheinlicher aber dürfte es sein, dass gerade in Japan das Wort Kami mit den Mythen und Sagen von den Naturgottheiten eingeführt wurde, welche unleugbar vom Festlande her ihren Weg auf das Inselreich fanden, und unter dieser Voraussetzung wird jener Umstand alles Auffällige verlieren.

Die Götter, welche von den Aino am meisten verehrt werden, sind die Himmelslichter, Sonne und Mond, beide Tschup kamui genannt. Der Mond heisst, wenn man ihn unterscheiden will, kunne chup, ein Ausdruck, der viel missdeutet ist — als „schwarze Sonne“ oder doch „trübe, nicht leuchtende Sonne“ — aber nichts anderes heissen soll, als „Sonne der Nacht“. Obgleich ausser der Angabe, dass der Morgenstern Diener der Sonne und der Abendstern der des Mondes ist, keine Mythen über sie vorliegen, und obgleich selbst die Bezeichnung des Geschlechtes der Himmelslichter schwankt, so ist doch namentlich die Sonne Gegenstand fortwährender

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_222.png&oldid=- (Version vom 20.11.2023)