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Dieser Zug der Klage um verlorene frühere Herrlichkeit wiederholt sich in anderen Sagen, welche bald von Okikurumi, bald von dessen und Tureschs Sohne Wariunekuru — ein ebenfalls bis jetzt unerklärter Name — erzählt werden. Eine einzige Tochter wird in diesen Sagen dem alten Gotte zugeteilt, und ein listiger und verschlagener Feind der Aino, den man gewöhnlich mit dem japanischen Sagenhelden Yoschitsune identifiziert, erlangte deren Hand und allmählich Kenntnis von allen Zauberkünsten und -kräften[WS 1] seines Schwiegervaters. Er benutzte dies, um ihm mit den wichtigsten Schätzen und Zaubermitteln, unter denen auch Bücher genannt werden, zu entfliehen. Der Schwiegervater verfolgte ihn vergebens; denn obgleich derselbe mit Hilfe eines Stockes dem unglaublich rasch fahrenden Zauberwagen seines Schwiegersohnes ganz nahe war, wusste dieser ein ganzes Gebirge zwischen sich und seinen Verfolger zu bringen, zauberte auch, als er über Hakodate — einen der südlichsten Punkte der Insel Yeso — hinausgekommen, ein Heer herbei und schreckte den ebenfalls mit grossem Gefolge anrückenden alten Gott zurück. Nach anderer Lesart geschah Flucht und Verfolgung zur See mit Zauberschiffen. In beiden Fällen entkam der Betrüger und nahm die „Schriften“ der Aino mit, so dass sie seitdem „unwissend und des Schreibens unkundig“ blieben.

Irgend welcher Zusammenhang der Ainosagen mit Japan ist hieraus unbedingt nicht zu folgern; der Yoschitsune der ersteren steht in keinerlei Zusammenhange mit der japanischen Sagengestalt dieses Namens, und an historische Begründung obiger Ainoerzählung zu denken, wäre vollends ungerechtfertigt. Die Heranziehung eines japanischen Halbgottnamens überhaupt ist ohne Frage neuen Datums und hat ebensowenig Belang wie etwa die künstliche Identifizierung des japanischen Fischergottes Yebisu mit dem „Wellengotte“, Kaibezup Kamui, der Aino. Denn wenn der Name jenes Yebisu, oder Yemischi (sprich Ebisu, Emischi), der zugleich die nördlichen, unzivilisierten Japaner der alten Zeit bezeichnet, später auch die direkte Veranlassung zu dem üblichen Namen der Insel Yeso gab, so ist dieser Name doch ausschliesslich japanisch; die Aino nennen diese Insel nur Aino-Muschir, d. h. Aino-Insel oder Aino-Land. Übrigens ist die Einführung des Namens Yoschitsune nicht einmal überall gleichartig, denn es scheint, dass manche Aino, z. B. auch die, aus deren Erzählungen Miss Bird ihre Notizen schöpfte, ihn geradezu mit Okikurumi verwechselt haben.

Als Sitz dieses Gottes gibt die Sage auf Yeso in der Regel das schon erwähnte Piratoru an, neben welchem der nächstgelegene Küstenort Sara wohl die grösste Rolle spielt. Weit weniger kommt Akeschi in Betracht, welches weiter östlich an der Südküste liegt; sonst weist man auch noch auf Karafuto als eigentliches Ainoland hin. Dass die Aino im Osten Yesos auch von den Kurilen ihren Ursprung herleiten — wie Batchelor berichtet — kann, falls es wirklich begründet, bei der Buntschekigkeit der Angaben weder überraschen noch zu irgend welchen Folgerungen berechtigen; überhaupt möchte dies von den Ursprungsorten gelten, von welchen die Aino erzählen. Jedenfalls ist indessen der Umstand sehr zu beherzigen, dass die Aino nirgends von einem südlichen Wohnorte etwas wissen, den sie früher gehabt hätten. Chamberlain, welcher dies ausdrücklich bestätigt, meint zwar kein Gewicht darauf legen zu sollen, indem die Aino vielleicht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: -Kräften
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_251.png&oldid=- (Version vom 20.11.2023)