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zum Frasse.“ Bleichende Menschengebeine zeigten noch nach Jahren die Stätten an, wo Meinungsverschiedenheit durch Waffen geschlichtet wurde.

Wenn in friedlichen Zeiten einer in der Heimat aus dem Kreise seiner Angehörigen mit dem Tode abgeht, so bekommt er auch ein ehrliches Grab. Auf die Bestattung halten die Südslaven aller Konfessionen im Frieden ungemein viel. Auch pflegt man alljährlich die Gräber und ehrt die Heiligkeit des Grabes. Besonders tief dürfte die Achtung vor der Unverletzbarkeit der Gräber bei den Südslaven in alter Zeit nicht gewesen sein, ebensowenig als dies in der Gegenwart der Fall ist. So las ich z. B. nicht selten auf altbosnischen und herzogsländischen Grabsteinen aus dem 13.–15. Jahrhundert neben dem Namen des Bestatteten nur noch die Bemerkung: Molju ti se nemoj mi ticati kosti! (Ich bitte dich, lass meine Gebeine unangetastet!), oder den Fluch: proklet ko će taći moje kosti (verflucht sei, wer meine Gebeine berühren sollte), oder auch am gewöhnlichsten: proklet, ko će tugjin leći u moje pleme! (verflucht sei der Fremdling, der sich im Friedhof meines Stammes betten sollte!), O du menschliche Eitelkeit und Habsucht bis übers Grab hinüber!

Im kroatischen Gebirgslande, dem sogen. Zagorje, hält man es für einen ruchlosen Frevel, ein Grab zu beackern oder zu bebauen. Man sagt, die Erde bliebe im selben Jahre tot, d. h. sie werde keine Frucht gedeihen lassen, In meiner alten Heimatsstadt Požega in Slavonien macht man sich keine derartigen Skrupel. Dort wird der grosse Gottesacker „zum heiligen Elias“ alljährlich verpachtet, und gerade auf den Gräbern wächst das beste Kraut und gedeihen die fleischigsten Rüben. Das Pachtgeld fliesst in die Taschen des hochwürdigen Herrn Pfarrers. In Kroatien ist man darin ungleich strengerer Anschauung. Gegen überhandnehmende Grabesschändung schützt der Glaube, dass, wer etwas aus dem Friedhof stiehlt und es heimträgt, noch vor Ablauf des Jahres sterben müsse. Nach dem Volksglauben darf man auf dem Friedhofe überhaupt nichts ungestraft antasten. Riecht z. B. einer an eine Friedhofsblume, so wird er den Geruch für jede andere Blume verlieren. Unter den Serben gilt als einer der schrecklichsten Flüche: zemlja ti kosti izbacala! (Die Erde soll deine Gebeine ausspeien!) Es gönnt also der Flucher dem Feinde nicht einmal Ruhe im Grabe.

Ich führe diese Sachen nur darum an, um zu beweisen, dass Mustaphas Halil durch die Bestrafung eines Grabschänders ein nach der Volksanschauung höchst rühmliches Werk vollbracht hat, dessen man noch in späten Tagen mit Befriedigung gedenken darf, zumal mit Hinblick auf die schwierigen Umstände, unter denen die Rache ausgeführt wurde.

Entkleidet man die Fabel unseres Guslarenliedes der kleinen dichterischen Schildereien, so muss man wirklich dem Volksdichter Bewunderung zollen, wenn man sieht, mit wie geringen Mitteln er ein abgerundetes Kunstwerk schafft. Bei den westeuropäischen Völkern, die durchschnittlich im mittelalterlichen Gespensterglauben stecken, kann der Volksdichter in einem solchen Falle sehr wirksam den Geist des Verstorbenen auftreten lassen. Auch dem kroatischen Katholiken, der gleichfalls vom Höllenbreugel mönchischen Wahnglaubens durchsättigt ist, steht dieses Mittelchen zu Gebote. Der slavische Mohammedaner dagegen sieht sich ratlos gegenüber dem Gespenste im Hamlet. Dieses Schauerstück Shakespeares müsste man für den

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_274.png&oldid=- (Version vom 19.7.2023)