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slavischen Mohammedaner gänzlich umarbeiten, wie etwa, lehrt uns unser Guslarenlied. Da erscheint kein Geist, weder bei den Freunden, um Hilfe zu suchen, noch am Grabe selbst, auch führt Mustaphas Halil am Grabe des toten Freundes keinerlei pathetische Gespräche. Er nimmt nicht einmal vom Grabe Abschied. Wozu denn? „Was fragt der Tote um der Menschen Liebe?“ Der Dichter hilft sich jedoch klug, indem er den Unglücksvogel Kuckuck als Boten des Verstorbenen entsendet. Im Gebirge aber hilft dem heftig bedrängten Halil Mustaphas die treue Wahlschwester, die Vila, nicht aber der Geist des Toten, der sich selber nicht helfen kann.

Der Kuckuck (im slavischen Kukavica, ein Femininum) gilt bei den europäischen Völkern im allgemeinen und bei den Südslaven insbesondere als ein Orakeltier, als ein geheimnisvolles und darum gescheutes Flugtier, das mehr kann als nur Kuckuck rufen. In Bosnien hält man es für eine frevelhafte Versündigung, einem Kuckuck den Ruf nachzurufen oder den Vogel gar zu töten, weil man glaubt, dem betreffenden Spötter oder Töter werde bald der Vater oder die Mutter nachsterben müssen.

Zur Erläuterung dieses Glaubens erzählten uns bosnische Bauersleute folgende Sage: Die Kukavica oder pjevačica (die „Sängerin“ genannt, weil man sich scheut, den vorbedeutungsreichen Namen Kukavica auszusprechen) war Kaiser Lazarus’ Schwester. Nachdem der Kaiser zu Leiten Kosovo = Leiten oder schiefes Feld. Die Deutschen halten noch immer an der falschen Übersetzung Amselfeld fest, als ob die Gegend: Kospolje hiesse) in der Schlacht gegen die Türken das Leben verloren, weinte und kuckte (kukala) die Schwester ohne Unterlass. Am Fest der heiligen drei Könige (bogojavljenje = Tag der Gotteserscheinung) wurde sie von Gott verflucht mit den Worten: Du sollst in alle Ewigkeit vom Lazarussamstag (Lazarova subota = der Samstag vor dem Palmsonntag) bis zum St. Peterstag (29. Juni) „Kuckuck“ rufen! So geschah es und geschieht es noch alleweil. Verspotten Kinder den Kuckucksvogel, so flucht der Vogel dem Spötter: „In Kuckucksrufen ergehe sich deine Mutter bis zum St. Petrustag, und vom St. Petrustag mögen dir sowohl Vater als Mutter „Kuckuck“ nachrufen!“

Kukala ti majka
do Petrova danka;
ot Petrova danka
i otac i majka!

Das Guslarenlied.
Mehzar Bojičić Halije.

Mujagin Halil pogubijo Gavran Kapetana.

     Prokukala kukavica sinja
u sred zime, kad joj vakta nije,
na Kunaru visoku planinu,
na mehzaru Bojičić Halinu.

Halil Bojičić’s Grabhügel.

Mustaphaga’s Halil brachte den Hauptmann Gavran ums Leben.

     Es hub zu kucken an ein grauer Kuckuck
zur Unzeit in der Zeit der Wintersmitte,
auf Kunar auf dem schroffen Hochgebirge,
am Grabeshügel Bojičić Haline's.


Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_275.png&oldid=- (Version vom 7.4.2024)