Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 282.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

im Gesichte und entfernte sich schweigend. Später, nach erfolgter Aussöhnung, sagte er zu Dragičević: „Es wäre mir lieber gewesen, du hättest mich auf der Stelle getötet, als dass du mich vor Leuten der Lüge geziehen.“ So erzählt Mehmed, habe er die Lieder gelernt: „Als ich ein Knabe bei meinem Vater in Rogatica weilte, ging ich allabendlich in die Gasthausschenke (han) und hörte in einem Winkel kauernd zu, wie die Guslaren zur Sprache der Guslen (uz govor gusle) Lieder singen. Ich sprach leise in grösster Aufmerksamkeit dem jeweiligen Sänger die Worte nach, und wenn man spät nachts die Versammlung aufhob, eilte ich heim, streckte mich auf meinem Lager aus und sann über das Gehörte nach. Am selben Abend wäre ich nie im stande gewesen, ein Lied nachzusingen. Sinnend und träumend schlief ich ein und wenn ich erwachte, konnte ich Wort für Wort treulich die Lieder „aufzählen“ (izbrojio) und vergass dann nie wieder, was ich so erlernte. Als Knabe besass ich keine Guslen, sondern half mir mit zwei Stäbchen. Das eine vertrat das Instrument, das andere die Fiedel. So geigte ich mir und sang die Lieder.“

Die Hölzchen brauchte Mehmed wie der Guslar sonst die Guslen, nur um den Takt einhalten zu können. Mehmed ist auch jetzt noch von seinem Instrumente abhängig, indem er ohne solche Begleitung nicht im stande ist, korrekt rhythmisch vorzutragen. Sein Gedächtnis ist auch gegenwärtig so bewunderungswürdig, dass er sich nach einmaligem Anhören jedes Lied, mag es selbst 1800 Verse lang sein, mit allen Eigentümlichkeiten genau merkt. Er bedient sich in seinen Liedern der reinsten herzogsländischen Mundart und vermeidet es, Eigenheiten der bosnischen Mundart des Savelandes, wo er seit Jahren lebt, mit einfliessen zu lassen. Sein Vortrag ist unbedingt klar. „Jedes Wort steht bei ihm auf der Zungenspitze“ (svaka mu riječ stoji na vrh jezika), sagen von ihm seine Zuhörer. Ein armer Mann hat unter den Bosnjaken keinen Anspruch auf ein Lebensbeschreibung, ist aber der Arme ein Guslar gleich unserem Mehmed, so findet sich leicht jemand, der ihn auch in der Fremde zu Ehren und Ansehen bringen mag. Wir beschenkten Mehmed mit einer silbernen Uhr und einem goldenen Siegelringe. In dem Stein ist Mehmeds Name und die laufende türkische Jahreszahl mit arabischen Schriftzeichen eingegraben. Ein Wiener Meister hat die Arbeit besorgt.

Der doppelte Titel, welcher dem Texte vorgedruckt ist, rührt von Mehmed her.

V. 3. visoku planinu. Korrekter wäre: visokoj planini, doch ist der Fehler auf die unbewusste Vorliebe des Sängers für den Stabreim zu setzen.

V. 6 ff. Das Gespräch mit dem Toten im Grabe ist ein in der lyrischen Poesie oft benutztes Motiv. Vrgl. Krauss: Sitte und Brauch der Südslaven, Wien 1885. S. 190.

V. 13. Odbih für odbi. Das ,h’ ist hier rein parasitisch.

V. 16. vlaše mit verächtlicher Nebenbedeutung, wie man etwa bei uns Franzmann für ,Franzose’ sagt. Vlah (Walache) bedeutet dem Mohammedaner bloss den Angehörigen einer andern Konfession, namentlich den Christen vom orientalischen Kitus, seltener den Katholiken, nie aber den Juden.

V. 22. Wäre in wörtlicher Übersetzung ein Unding. Dem Sänger war es nur um einen kräftigen Innenreim zu thun, und darum wagte er die kühne Metapher von Rücken, die sich nicht (mit Schwertern) hauen können.

V. 24. Über die Anrufung zur Wahlschwesterschaft und der Wahlbruderschaft vergl. Krauss: Sitte und Brauch der Südslaven, Kap. XXIX. S. 619–643, und Kr.: Wahlbrüder im XVI. Bd. der Mitt. der Wiener Anthrop. Gesellschaft, dann Kr.: in den Monatsbl. des wissensch. Klub, Wien, am 10. März 1887, und K.: Die vereinigten Königreiche Kroatien und Slavonien, Wien 1889. S. 127 f.

V. 25. eski (türk, alt). Kladuša, gegenwärtig an der Bosnisch-Likaer Grenze

V. 28. dikat: findet sich noch in keinem Wörterbuche verzeichnet.

V. 40.rukom i rukavom = mit der Hand und dem Ärmel. Ein sog. Hendiadyoin. Vergl. V. 168 u. 175 und Krauss: Smailagić Meho S. 123 f. Anm. zu V. 1064.

V. 38–46. Die gewöhnliche Beschäftigung adliger Frauen und Mädchen. Auch Janja, die Tochter des Burggrafen von Pressburg, schleudert ähnlich wie die Mustaphagin das Stickgestelle weg von sich. Vergl. Krauss: Das Burgfräulein von Pressburg in Herrmanns Ethnol. Mitt. aus Ungarn. Heft III. 1889. Die Szene ist stereotyp in der Guslarenepik.

V. 56. Des Vaters Mustaphas und Halils wird niemals in den Liedern gedacht, nur der greisen Mutter, eines heldenmütigen Weibes sondergleichen. Wir besitzen ein köstliches, grosses Lied über einen Kriegszug jener alten Frau ins Küstenland zur Befreiung ihrer zwei in Gefangenschaft der Christen geratenen Söhne. Omer, Mustaphagas Sohn, tritt in den Liedern oft als frühreifer Jüngling auf, der ausserordentliche Thaten vollbringt.

V. 58. Die Anrufung aller Heiligen im Munde einer Mohammedanerin kann darum nicht überraschen, weil die Zeile nur einen stereotypen Ausruf vorstellt, bei dem sich der Mohammedaner


Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_282.png&oldid=- (Version vom 9.4.2024)