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Seite:Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde - Band IV.djvu/266

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Dr. W. Mannhardt (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, Band IV

mit dem mitgebrachten beile schlägt er den kopf herunter, aber ein mächtiger blutstrom dringt ihm entgegen und verlöscht die einzige noch übrige kerze. nur mit mühe glückt es ihm in der fast gänzlichen finsterniß etwas blut in einem becher aufzufangen und mit diesem heimzukehren. er verfällt in eine hitzige krankheit, die ihm beinahe das leben kostet. die leiche mit dem haupt zwischen den füßen ist bis heutigen tages in der gruft des klosters Jacobsdorf und zwar in der mittleren kammer, wo sich das erbbegräbniß des geschlechts von Wollschläger befindet zu sehen[1]. vor unlanger zeit verstarb zu Borchfeld bei Danzig, wie mir eine bäuerin in diesem dorfe erzählte, eine alte frau. man nannte sie stets ‚die alte Welmsche.‘ sie war als leiche roth im gesicht. man achtete jedoch nicht darauf. sobald sie beerdigt war, kam sie allnächtlich aus dem grabe hervor, peitschte und prügelte ihre tochter, ein junges mädchen im bett, kratzte sie auch mit ihren langen spitzigen nägeln blutig. da das unwesen kein ende nahm, wandte man sich an den in der gegend berühmten zauberkundigen priester von Mariensee[2], ließ die todte ausgraben, ihrer leiche den kopf abschlagen und unter den arm legen. sie ward nun auf einem kreuzwege verscharrt, nachdem man den sarg voll mohn gestreut.

Sebastian Moelers hss. chronik bringt bereits zum jahre 1343 eine freilich etwas verdunkelte und abgeschwächte Gierhalssage bei. als in genanntem jahre die pest in Preußen wüthete, entwich der deutsche ordensritter, bruder Steino von Netten, um ihr zu entgehen, von Marienburg; aber nach Lauenburg gelangt erlag er dem tode, welchem er hatte entrinnen wollen. der vogt vom Lauenburg ließ ihn noch denselben abend feierlich bestatten, am folgenden morgen jedoch ward die leiche außerhalb des grabmals gefunden. als dem hochmeister dies wunder berichtet wurde, sandte er einen comthur dorthin, welchen er den


  1. Tettau und Temme, volkssagen Ostpreußens, Lithauens und Westpreußens s. 275.
  2. Dieser mann, der jetzt in unfreiwilliger muße zu Schoeneck lebt, beschäftigte sich hauptsächlich damit weichselzöpfe zu besprechen.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. W. Mannhardt (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, Band IV. Dieterische Buchhandlung, Göttingen 1859, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_deutsche_Mythologie_und_Sittenkunde_-_Band_IV.djvu/266&oldid=- (Version vom 1.8.2018)