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erklären, dass damals bereits die romanistisch-canonistische Corporationslehre, nicht minder aber auch die gerade in jener Zeit mächtig hervorbrechenden publicistischen Theorien, die in manchen Punkten bis auf die Staatslehre des Aristoteles zurückgriffen, in lebendiger Wechselwirkung Begriff und Wesen der menschlichen Gesellschaftsordnung im Allgemeinen, von Kirche und Staat im Besonderen neu erfassten und dadurch auch auf die Gestaltung der Verhältnisse im deutschen Reiche nachhaltigen Einfluss übten[1].

Uns interessiren hier natürlich in erster Linie jene publicistischen Streitschriften[2], die der Kampf Ludwig des Bayern mit der Curie hervorgerufen hatte, deren Verfasser zu den Rathgebern des Königs zählten. Soweit die Aenderung der Anschauungen für unser begrenztes Thema in Betracht kommt, äusserten sie sich vor Allem darin, dass man den Kurfürsten, ähnlich wie kirchlicherseits den Cardinälen und Capitelsmitgliedern, eine eigenartige Stellung zuerkannte, sie als Repräsentanten des an und für sich wahlberechtigten Reichsvolkes betrachtete und daraus ihre Rechte, insbesondere ihre Berufung zur Wahl des Königs ableitete[3]. Das Kurfürstencollegium selbst fasste man alsbald als eine Corporation auf[4], verfocht die Anwendung corporativer Regeln auf Form

  1. Gierke, a. a. O. Bd. III. S. 419 ff., 502 ff., insbesondere S. 603. Vgl. dazu auch Harnack, Kurfürstencollegium S. 66 ff.
  2. Riezler a. a. O. § 3–13. Uns interessiren die Schriften Marsiglio’s von Padua: Defensor pacis (1324–1326) und De translatione imperii (nach 1324), dann von Lupold von Bebenburg: De iuribus regni et imperii (1338–1340), endlich von Wilhelm Occam: Super potestate summi pontificis octo quaestionum decisiones (nach 1339).
  3. So schreibt Marsilius von Padua im Defensor pacis I. Buch. c. 12 anknüpfend an Aristoteles das Gesetzgebungsrecht der „universitas civium aut eius pars valentdor“ zu und sagt, dass diese den ganzen Staat (totam universitatem) repräsentiren. Lupold von Bebenburg spricht bereits deutlich die repräsentative Stellung der Kurfürsten aus, indem er a. a. O. c. 5 im Anschluss an den Canon „Legimus“ der 93. Distinctio, wo von der Erwählung des Kaisers durch das Heer die Rede ist, behauptet: qui exercitus seu populus Romanus eo tempore repraesentavit totum populum Romano imperio subiectum; unde etiam facere poterat imperatorem. Sicut hodie principes electores ratione dictae institutionis populum huiusmodi repraesentant. Vgl. auch caput 6 eod. und bei Wilhelm Occam quaestio VIII. c. III.
  4. Während noch
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_203.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)