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Wäre die Kommune nicht mehr gewesen als die Revolutionen, die ihr vorangegangen, die Revolution vom Juli 1830, vom Februar 1848, vom September 1870, wäre sie also eine bloß politische Revolution geblieben, dann hätte sie wohl bis zum Schluß die Gunst und Unterstützung wenigstens eines Teiles des fortschrittlichen Bürgertums genossen und hätte wenigstens teilweise zum Sieg geführt. Da aber bald ihr sozialer Charakter hervortrat, wurde sie allmählich von all den republikanischen Elementen des Bürgertums im Stich gelassen, die ihr einen Augenblick gefolgt waren, und sie sah sich zu ihrer Verteidigung auf die Kräfte des Proletariats allein angewiesen.

Aber das Proletariat war noch nicht reif für die ungeheure Aufgabe, die die Ironie des Schicksals ihm auferlegt hatte. Es fehlte nicht nur der großen Masse, sondern auch der Elite des Proletariats fast völlig an den notwendigen Fähigkeiten. Es konnte zahlreiche Kämpfer und Märtyrer stellen, aber keine Organisatoren und keine Führer großen Stils. Sein dürftiger Generalstab war an Quantität und Qualität ungenügend; das sollte sich bald zeigen. Aber selbst wenn diese erste Schwierigkeit überwunden, dieses erste Hindernis bewältigt worden wäre, hätte sich alsbald ein noch größeres Hemmnis gezeigt. Hätte die Kommune statt eines Varlin, eines Frankel, eines Vaillant, eines Tridon deren je zehn besessen, so wäre diese Elite des Proletariats doch nicht imstande gewesen, die Masse zu sich emporzuheben. Eine Revolution, vor allem eine soziale Revolution, läßt sich eben nicht improvisieren und auch nicht von oben her kommandieren. Dazu bedarf es einer langen, allmählichen und ausreichenden Vorbereitung. Die Klasse, die ihr Träger ist, muß imstande sein, die Herrschaft selbst zu übernehmen. Eine kühne Minorität kann sich offenbar an die Stelle einer anderen herrschenden Minorität setzen, indem sie sich dem Milieu anpaßt. Eine Klasse aber kann nur dann einer anderen die Herrschaft entwinden, den alten sozialen Zustand durch einen neuen verdrängen, wenn sie die Fähigkeiten erworben hat, die notwendig sind, um die neue Gesellschaft in ihrem Bestand zu sichern und ihre wesentlichen Bedürfnisse sorgfältiger und vollständiger zu befriedigen als die Klasse, die sie verdrängt oder in sich aufnimmt.

Die Geschichte der Kommune, ihre Schwächen und ihr Sturz, überzeugt uns also davon, wie notwendig es ist, unsere ganze Energie, unsere ganze Tatkraft darauf zu verwenden, das moralische und intellektuelle Niveau der Arbeiterklasse zu heben und seine Organisationen auszubauen. Das ist die Lehre, die sich klar aus jener Niederlage ergibt, und sie wird uns zum endgültigen Siege führen.


Zum Frauentag!
Von Adelheid Popp (Wien).

Der Frauentag, zu dem die sozialistischen Frauen rüsten, wird das weibliche Proletariat als Bannerträgerinnen des gleichen Rechtes sehen. In Deutschland und Österreich erheben sich die Frauen des Proletariats zu einer imposanten Kundgebung für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes. Und die Kunde kommt, daß auch das weibliche Proletariat der Schweiz am selben Tage, am 19. März, sich unserer Kundgebung, wenn auch in kleinerem Umfang, anschließen wird.

Empfohlene Zitierweise:
Adelheid Popp: Zum Frauentag! In: Die neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie 29,1 (1911), Heft 24, S. 836–838, hier S. 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zum_Frauentag_1.gif&oldid=- (Version vom 9.3.2024)