Seite:Zum Gedächtnis des Herrn Johannes Deinzer 21.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Erbe der Vergangenheit bewahre und zu Seiner Ehre noch hinzufüge!

 Der selig Entschlafene war ein männlicher Charakter, aber ohne Härte, maßvoll und das Recht des Andern achtend. Er drängte sich nicht hervor, vergab sich aber auch nichts, und wich von der Linie, die er sich vorgezeichnet hatte, nicht ab, doch mied er alles Verletzende. Schweigend hat er viel getragen; er sah der Wirklichkeit ins Angesicht und war bestrebt, die Dinge beim rechten Namen zu nennen, wenn auch in schonender Form. In seinem Verfahren gegen seine Schüler bewies er außerordentliche Geduld. Friedfertiger Natur an und für sich, hatte er doch manchen Strauß und Kampf zu bestehen, mit der Klöter’schen Bewegung und den Irvingianern. Auch der Kulturkampf ging nicht spurlos an ihm vorüber. In kräftigeren Jahren erfrischte er sich wohl in einem Ausbruch gerechten Zornes. Bei seinem letzten Geburtstag aber meinte er, er müsse milder werden im Auftreten, wenn auch stark sein in der Sache. Er verlor sich nicht ins Kleinliche, in Geschäften aber war er gewissenhaft, pflegte gern das alte, auch von Pfarrer Löhe oft gebrauchte Wort anzuführen: „Treue im Kleinen ist eine heroische Tugend“; und Treue war seine größte Tugend. Er war treu im Beruf, treu den Freunden und ihren Kindern, treu seinen Schülern, treu seinem Werk, er war treu der alten Mutter, treu seinen Geschwistern, an denen er Vaterstelle vertrat, und deren Ehen bis auf eine er selber alle einsegnete, treu den Verwandten. – Treu bewahrte und vertrat er das überkommene geistliche Erbe, treu war er seinem Herrn und Gott. Schwankungen in der Stellung zu seinem Gott konnte menschliches Auge wenigstens nicht wahrnehmen; darum konnte er anderen ein Halt sein; doch was er war, das dankte er der Gnade Gottes, dem wir allein die Ehre geben wollen, wenn wir über dem Verstorbenen sagen:

Wohl dir, du Kind der Treue,
Du hast und trägst davon
Mit Ruhm und Dankgeschreie
Den Sieg und Ehrenkron.
Gott gibt dir selbst die Palmen
In deine rechte Hand,
Und du singst Freudenpsalmen
Dem, der dein Leid gewandt.

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Zum Gedächtnis des Herrn Johannes Deinzer. C. H. Beck, Nördlingen 1897, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zum_Ged%C3%A4chtnis_des_Herrn_Johannes_Deinzer_21.png&oldid=- (Version vom 20.7.2016)