Seite:Zwei Johannistage.pdf/2

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Zwei Johannistage (Salonblatt, Jahrgang 6, No. 42)

durch den ganzen undefinierbaren Hauch, der das Mitglied der guten, besten Gesellschaft umweht. Gewiß, Gerd, – mein Vater ist nur ein armer Postbeamter mit einer großen Kinderschar, aber ich, ich habe doch eine Erziehung genossen, die mich dir gleichwertig macht. So oft hast du mir das ja gesagt und mich dadurch so glücklich gemacht. … Du bist ja so reich, Gerd, du duldest nicht, daß sie mich dem Manne verschachern, … denn lieben … lieben könnte ich ihn ja nie …“

Also das erhoffte sie von mir … heiraten sollte ich sie … heiraten. … Noch nie hatte sie davon gesprochen, noch nie. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf mich diese Eröffnung. Und ich dachte an meine Eltern, meinen stolzen Vater, meine Mutter mit ihren starren Ansichten, an den Onkel Präsident, an die ganze Verwandtschaft mit ihren alten Namen, an die exklusiven Kreise, in denen ich verkehrte … und dazu Leni Müller … Leni Müller …! – Unmöglich – unmöglich! Zu sehr wurzelte ich selbst mit all meinen Empfindungen und Anschauungen in dieser streng abgesonderten Kaste, das fühlte ich jetzt erst so recht. …

Und langsam, möglichst zart löste ich ihre Arme von meinem Halse, trat zurück und begann zu sprechen, redete, redete mit Eifer und Überzeugung von dem, was hindernd zwischen uns sich erhob als unüberwindbare Schranke. Aber anzusehen wagte ich sie nicht. Schließlich hörte ich ein leises Aufschluchzen, einen halbunterdrückten Wehlaut. … Leni war in die Ecke des hohen Paneelsofas gesunken, hatte das Gesicht in beide Hände verborgen, und immer wieder lief’s über ihre Gestalt hin wie ein Beben. Ich beugte mich über sie, suchte sie zu trösten … Kein Wort der Erwiderung, keins … Und dann ging sie. Nur an der Tür reichte sie mir mit einem trostlosen Blick die Hand.

„Ich kamt dir nicht zürnen, Gerd, … du magst wohl recht haben mit all dem, was du mir sagtest, – trotzdem … trotzdem …“ Und da versagte ihr die Stimme, die Tür fiel ins Schloß. Ich war allein. …

Das war der Johannistag vor einem Jahre.

***

Und heute … heute wieder ein Johannistag. Aber heute regnet’s; der Regen klatscht gegen meine Fenster, und das rieselnde Geräusch stimmt mich traurig. Ein Jahr ist es her … ein Jahr! Ich habe heute nachmittag, als die Turmuhr drei schlug, mir ihre Briefe vorgesucht und ihr Bild, bin in den großen, stillen Park gegangen, in die bewußte Laube und habe gelesen. Wie anders alles war – die Wege aufgeweicht und die Bänke feucht und grünschimmernd von angesetztem Moos, kein Vöglein in den Zweigen, das lockte und sang und Hochzeit feiern wollte – nur trübe, neblige Luft. Trübsinn in mir auch … Es ist ja nun alles vorüber, alles. … Dann bin ich wieder heimgekehrt, habe ihre Briefe verbrannt, kurz bevor ich zum Abendessen an den Stammtisch ging, wo ich die alten Witze hörte und dieselbe Langeweile mich anödete wie sonst. Sie sprachen von Weibern und Pferden, von den Schulden des Jüngsten unter uns, und simpelten Fach; – es war wie immer! Und ich habe Antwort gegeben auf Fragen, die wie aus weiter Ferne zu mir tönten, und dabei an ein blasses, schlankes Mädchen gedacht, die jetzt die Frau eines andern ist. … Meine Zigarette ist mir oft ausgegangen, und mechanisch habe ich sie immer wieder angezündet, einige Züge getan, dem blauen Rauch nachgesehen, der sich in dem weiten Raum an der Decke in fahlen Schwaden zusammenzog. Dann vergaß ich die Zigarette wieder und vertiefte mich mit schmerzlicher Wollust in meine Erinnerungen. Bald haben sie es am Stammtisch gemerkt. Sie haben mich geneckt und gehänselt, und die sogenannten Lebemänner haben Witze gerissen, Anspielungen gemacht, die mich heute empörten … sonst nie …! Daher brach ich auf und wanderte im Regen langsam heim, ohne Schirm, hörte die schweren Tropfen mit dumpfem Ton auf meinen Hut aufschlagen und sah vor mich hin, auf die im Laternenschein blinkende pfützenreiche Straße. Und da ist’s über mich gekommen wie eine alte Sehnsucht nach Alleinsein, nach etwas Unnennbarem, vielleicht nach einem Weibe, dem ich meinen Kopf in den Schoß betten könnte und mich ausweinen. … Bisweilen ist’s mir heiß in die Augen gestiegen, daß ich die Blicke der Leute fürchtete … mir …! Und daß ich jetzt ruhiger geworden bin, verdanke ich auch nur meiner Feder und dem kleinen Talent, meine Gedanken zu Papier bringen zu können. So habe ich doch mit ihr geplaudert, ihre lieben Züge mir so deutlich zurückgerufen, habe ihr Bild geküßt und gedacht, alles wäre noch wie einst. … Ich liebe sie ja noch, meine süße Leni mit den dunklen Augen und dem warmen, dankbaren Herzen, habe nur sie geliebt. Und könnte ich dieses letzte Jahr von meiner Lebensrechnung abstreichen, käme der erste Johannistag wieder mit seinem leuchtenden Sonnenschein und dem jubelnden Glück, dann würde ich mich nicht um Vater und Mutter, um die ganze feudale Verwandtschaft scheren … Zwischen zwei Johannistagen liegt ein langes Jahr, in dessen sehnsuchtsvollen Nächten ich all die Vorurteile in mir besiegt und mich durchgerungen habe zu der Erkenntnis, daß das Leben so kurz ist und es nur ein Glück, eine Zufriedenheit gibt. Und beide habe ich versäumt … für immer …

Aber Elsa v. Asten werde ich ein musterhafter Gatte sein. Und an meinem Hochzeitstage werde ich verbindlich lächeln und vielleicht … vielleicht an Leni denken, meine kleine, süße Leni, und den Stationsvorsteher … so groß … und so dick … und an den … Wachtmeisterschnurrbart …


Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Johannistage (Salonblatt, Jahrgang 6, No. 42). „Salonblatt“ G.m.b.H., Dresden 1911, Seite 1338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Johannistage.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)