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des Nordens gelegene, betrat er etwa um halb zwölf. Abermals spendete er den Kellnern je ein Zehnmarkstück und wartete nun, bei Eislimonade in einer Ecke allein sitzend, den Erfolg ab. Der Treppenaufgang zu den Billardsälen lag gerade vor ihm. Mit wachsamen Augen verfolgte er das Leben und Treiben in dem nur mäßig gefüllten, großen Raume. Auf der Treppe vor ihm erschien jetzt ein Kellner, dessen Gesicht ihm schon vorhin aufgefallen war. Er hatte diesen blassen, schielenden Menschen fraglos bereits irgendwo und –wann im Gerichtssaal gesehen. Als Angeklagten kaum, denn dann hätte er ihn sofort wiedererkannt. Also wohl als Zeugen. Der Schielende schlenderte der Drehtür des Ausganges zu. Harsts kritische Blicke stellten in den Bewegungen dieses krankhaft bleichen Menschen etwas gemacht Nachlässiges und Harmloses fest. Er hatte den Eindruck, als wollte der Kellner so recht zum Ausdruck bringen, daß er ganz von ungefähr und ganz ohne bestimmte Absicht der Tür zuschritt, hinter deren Radwindfang er nun verschwand. Harst stand auf, trat an das nahe Fenster und spähte an der Seite durch einen Vorhangspalt hindurch, sah den Schieläugigen mit fliegenden Frackschößen über die Straße laufen und war kaum zwei Minuten später hinter dem Manne drein, der seiner Überzeugung nach irgend etwas Besonderes im Schilde führte. Er besann sich jetzt auch, daß jener, als er ihm genau wie den anderen Kellnern zehn Mark heimlich zugesteckt und ihn gefragt hatte, ob ihm eine Claire Ruckser bekannt wäre, leicht zusammengefahren war, dann aber sofort gemurmelt hatte: „Das verdammte Nervenzucken!“ Und er hatte auch wirklich noch verschiedentlich ein paar ruckartige Bewegungen mit dem Kopf gemacht. – Daß dieses Nervenzucken nur eine schlaue Bemäntelung des ersten leisen Zusammenschreckens gewesen, bezweifelte Harst jetzt nicht weiter. Der Mensch kannte Claire Ruckser, das war gewiß.

Harst erkundigte sich bei zwei Streichholzverkäufern nach dem Verbleib des Kellners. Ein Mensch im Frack und ohne Kopfbedeckung, der es so eilig hatte, mußte auffallen, zumal der Fußgängerverkehr hier nur gering war. Er hatte jedoch kein Glück. Der Schielende blieb verschwunden. Harst überlegte,

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)