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Stunden aus Szentowo wieder in Berlin eingetroffen. Während der Eisenbahnfahrt von Malchin hatte Kommerzienrat Kammler, der Beauftragte der Wettgegner Harsts, diesem die zweite der zwölf Aufgaben genannt, die mein Gönner und Brotherr sämtlich zu lösen verpflichtet war, falls er eben nicht seinen Wetteinsatz, eine runde Million, einbüßen wollte.

Diese neue Aufgabe lautete: „Restlose Aufklärung des an dem Geldbriefträger Wilhelm Schmiedicke im Hotel Sonnenschein verübten Raubmordes.“ – Ich brauche über dieses Verbrechen, das acht Tage lang das Tagesgespräch in Berlin hauptsächlich wohl deswegen bildete, weil den Mördern nicht weniger als 13/4 Million an Bargeld und Wertpapieren in die Hände gefallen war, hier nur das Nötigste anzugeben, denn es dürfte noch ziemlich frisch in aller Erinnerung sein.

Am 3. Mai kehrte der Geldbriefträger Schmiedicke von seinem Bestellgang, auf dem er sehr viele Banken, Geschäfte und Privatleute zu besuchen hatte, nicht zurück. Da kurz vorher schon ein anderer Geldbriefträger in eine Falle gelockt, ermordet und ausgeraubt worden war, wurden an demselben Abend die sorgfältigsten Nachforschungen nach Schmiedickes Verbleib angestellt. Doch erst am 4. Mai mittags fand man ihn zufällig im Hotel Sonnenschein in Zimmer Nr. 47 tot auf, gefesselt an einen Stuhl und mit einer Leine erdrosselt. Die Kriminalpolizei hätte fraglos noch längere Zeit nach ihm suchen müssen, wenn eben nicht dem Zimmerkellner von Nr. 47 aufgefallen wäre, daß er die beiden Herren, die die Zimmer 46 und 47 seit etwa vierzehn Tagen bewohnten, seit dem 3. Mai mittags nicht mehr gesehen hatte. Er meldete dies dem Hotelbesitzer August Schütze. Ein Schlosser öffnete dann die Tür von Nr. 47, da die beiden Herren in die Schlösser mit Schützes Erlaubnis Schloßsicherungen hatten anbringen lassen, die ohne Hilfe eines Fachmannes sich nicht aufsprengen ließen, wollte man nicht die Tür halb zerstören. Zum Entsetzen der Eintretenden entdeckte man nun den verschwundenen Postbeamten, neben dem die völlig geleerte Ledertasche lag, tot auf dem Stuhl unter einer darüber geworfenen Bettdecke. Die beiden Bewohner von 46 und 47, die sich als Vater und Sohn, Kaufleute Emil und Viktor Reupert aus Bremen ausgegeben

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/87&oldid=- (Version vom 1.8.2018)