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in den Schoß, deutete auf etwas ganz dick Gedrucktes: Amnestie-Erlaß! – Dann ging er, angeblich zu dem berühmten Professor, den ich konsultieren wollte. Ich aber las – las und mein Herz hüpfte vor Freude. Mit Recht. Ich hatte ja noch etwas – auf dem Kerbholz, hatte ja einst als Komiker-Maxe eine traurige Berühmtheit als Taschendieb gehabt und war erst auf Harsts warmes, verstehendes Herz wieder auf den schmalen Pfad der Ehrlichkeit gelangt. Und jetzt die Amnestie! Ich brauchte nicht mehr zu fürchten, daß ich als aus der Strafanstalt entwichener Häftling wieder ergriffen würde! Ich war frei, frei, konnte ohne heimliche Angst unter den Menschen mich bewegen, brauchte nicht mehr als „Max Schüler“ Harsts Privatsekretär zu sein wie damals in Szentowo! –

Gegen elf Uhr fuhr ein Auto vor und brachte einen neuen Hotelgast. Ich hatte mich gerade mit Herrn August Schütze, dem Gründer des „Sonnenschein“, unterhalten und von ihm auch glücklich herausgeholt, daß die Reuperts nie bei sich Besuch gesehen hätten – niemals. Noch manches andere hatte er über die beiden jetzt steckbrieflich verfolgten Mörder erzählt, über ihre Lebensweise, ihr bescheidenes Auftreten und ihr Bestreben, mit all und jedem gut Freund zu sein.

Da kam das Auto. Ich habe vorzügliche Augen. Ich sah, daß der kleine, überelegant gekleidete Herr, der ihm entstieg und der zwei große Koffer mit sich führte, Pockennarben im Gesicht hatte, sah’s trotz des blonden Spitzbarts, der die Wangen bedeckte und den ich sofort für unecht hielt, bemerkte weiter zwei sehr lange Arme und dazu Hände von Handschuhnummer 12 etwa.

Ich saß nun buchstäblich wie auf Nadeln. Wo nur Harst so lange blieb! Er wollte doch spätestens um halb zwölf zurück sein. Wo war er überhaupt? Etwa wieder hinter der holden Gertrud her?

Dann drückte sich unser Karl in meiner Nähe herum. Ich ahnte, daß er etwas wollte. – Ich rief ihn an: – „Bringe mir ein paar Zeitschriften, Junge!“ – Es dauerte gut fünf Minuten. Dann erschien er wieder, legte mir Sport im Bild

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/96&oldid=- (Version vom 1.8.2018)