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Sevilla: der goldene Thurm

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CLXVI. Stephan Girard’s Bank in Philadelphia Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXVII. Sevilla: der goldene Thurm
CLXVIII. Die Bidassoa: Eintritt in Spanien
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DER GOLDNE THURM
in Sevilla

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CLXVII. Sevilla: der goldene Thurm.




In jeder Epoche der spanischen Geschichte macht sich Sevilla mit Auszeichnung bemerklich; bald im Kronenglanze eines weltlichen Reichs, bald im Heiligenscheine der kirchlichen Macht, bald als Schauplatz großer Begebenheiten und folgenreicher Thaten. Das Elend der Gegenwart, das Alles nivellirende, hüllt zwar auch sie in Trauer; indessen auch im Wittwenschleier der Vergangenheit ist Sevilla unter Spanien’s Städten noch eine der erhabensten Gestalten.

Hoher, ritterlicher Geist, Erbe des griechischen Heros, der die Stadt gegründet, wohnte hier von jeher, und blieb durch jeden Wechsel der Zeiten und der Herrschaft. Römische und arabische Dichter haben ihn besungen, und die neuere Geschichte füllt mit seinen Thaten einige ihrer interessantesten Blätter.

Sevilla liegt im Schooße einer weiten, fast unbegränzten Ebene, zu beiden Seiten des Guadalquivir, der früher die größten Seeschiffe bis Cordova hinauf trug. Die Stadt ist umgeben (nicht geschützt) durch eine Doppelreihe eingesunkener Wälle, von fast dreistündigem Umfange. Ueber dem Hauptthore steht die goldene Inschrift:

CONDIDIT ALCIDES, RENOVAVIT JULIUS URBEM
RESTITUIT CHRISTO FERNANDUS TERTIUS, HEROS
[1].

Unter der Herrschaft der Mauren hatte Sevilla seine goldene Zeit, und das spanische Sprüchwort:

„Quien no ha visto Sevilla,[2]
No ha visto Maravilla.“

deutet auf seine damalige Pracht. Noch im 15. Jahrhundert zählte es mehr Einwohner als gegenwärtig Paris, und zwanzig Stunden im Umkreise war die Gegend, die jetzt eine Wildniß ist, ein großer Garten, in dem Haine von [86] Orangen, Granatäpfeln und Oliven mit den köstlichsten Weinpflanzungen und unzähligen Landhäusern und volkreichen Flecken abwechselten. Der erste arabische Eroberer, Muza, machte es zu seiner Residenz; und von hier, als dem Mittelpunkte der maurischen Macht, schwang sich das Panier des Propheten durch die Halbinsel von Stadt zu Stadt bis auf der Pyrenäen umwölkte Zinnen. – So fest gegründet war Sevilla’s Wohlstand durch Handel und Gewerbe, daß ihn die Verlegung des Hofs nach Cordova nicht erschütterte. Bis in die letzten Zeiten der arabischen Herrschaft war es der Mittelpunkt des Verkehrs zwischen Afrika und Europa und 3000 Seeschiffe entlöschten jährlich an seinen Kayen.

Das christliche Kreuz wurde für Sevilla zum Kreuz auf dem Grabe seines Wohlstandes. – Als Ferdinand der Heilige, nach 16monatlicher Belagerung, durch die Thore der Ueberwundenen einzog, war ihre paradiesische Gegend in eine Wüste verwandelt, alle Dörfer und Städte ringsum waren Aschenhaufen, ein großer Theil Sevilla’s selbst rauchender Schutt, Hunger und Pestilenz und das Geschoß und Schwerdt der Belagerer hatten die Zahl der Einwohner unter die Hälfte herabgebracht. Dreimal hundert Tausend, die Ueberbleibsel der maurischen Bevölkerung, schleppte Ferdinand als Gefangene hinweg, oder er schickte sie in die Verbannung, und bald nach der Errichtung des christlichen Staats gab eine Zählung die Gesammtbevölkerung auf kaum 256,000 an. Von 90,000 Seidenwebestühlen, die zur maurischen Zeit hier in Thätigkeit gewesen, fanden sich im Jahre 1700 noch 16,000 vor; die Zählung von 1800 ergab eine weitere Verminderung derselben auf 2318, der Einwohner waren nur noch 80,568. Gegenwärtig übersteigt die Zahl der letztern 40,000 nicht; die Hälfte der Häuser steht öde und verfällt. – Handel und Gewerbe sind geflohen und der Guadalquivir selbst ist nicht einmal für große Boote mehr fahrbar, Folge der Nachläßigkeit, welche in Spanien alle Werke des öffentlichen Nutzens verderben läßt.

Doch troh seines Verfalls hat das heutige Sevilla, der Menge seiner alterthümlichen Prachtgebäude wegen, von Außen ein herrliches und von Innen mehr als irgend eine andere Stadt Spaniens ein ächt maurisches Ansehn. Die Straßen sind winklich, finster, und oft so eng, daß ein Erwachsener mit ausgestreckten Armen die Häuserwände zu beiden Seiten der Straße zugleich berührt. Die vielen großen öffentlichen Gebäude, Moscheen und Palläste aus der arabischen Zeit, wurden nach der christlichen Eroberung fast ohne Ausnahme kirchlichen Zwecken gewidmet; Ferdinand gründete 85 Klöster, die er mit den Gütern der Vertriebenen königlich dotirte. An keinem Orte in der Welt, Rom allein ausgenommen, zeigte die Kirche solchen Pomp und solche Pracht in Prozessionen und Feierlichkeiten ähnlicher Art und über dem blendenden Heiligenschein sah man die tiefe innere Verderbniß nicht. Jedoch auch der Nimbus ist nun hin, und das gränzenlose öffentliche Elend, nicht mehr versteckt in prunkenden Prozessionen und nicht mehr gemildert durch das Almosenspenden der nun geschlossenen Klöster, liegt vor dem entsetzten Blicke entschleiert da. Raubsucht gattet sich zur Arbeitsscheu des Volks und führt den Banden in den Gebirgen, die [87] bald als Christinos plündern, bald als Carlisten morden und brandschatzen, immer neue Genossen zu. In einem kürzlich an das Ministerium zu Madrid erlassenen Bericht des Corregidors von Sevilla wurde die Zahl der binnen 3 Jahren muthmaßlich den Banden zugelaufenen Einwohner auf 5000 angegeben! Wäre es blos hier so! Aber dasselbe Schauspiel wiederholt sich mehr oder weniger in allen Städten Spaniens, und so wird der gegenwärtige Zustand eines Volkes erklärlich, dessen eine Hälfte vom Raube und der Plünderung der anderen lebt.


Der goldene Thurm, ein Werk der Römer, und von diesen ursprünglich zur Vertheidigung des Hafens errichtet, hat seinen Namen daher, weil in den ersten Jahrzehnten nach der Entdeckung von Amerika die Goldsendungen aus der neuen Welt in demselben aufbewahrt wurden. Während der Feldzuge Julius Cäsars diente das feste Gebäude diesem Feldherrn zweimal zum Aufenthalt. Auch der einstigen Anwesenheit des tapfern Sartorius, Pompejus Nebenbuhler im Ruhme und in der Herrschaft, gedenkt eine Inschrift. –

Zu dem merkwürdigsten Gebäude in Sevilla, dem weltberühmten Alcazar, wird uns dessen Bild später führen.





  1. Vom Alciden gegründet, wieder aufgebaut vom Julius,
    Wieder erobert für Christus vom Heros Ferdinand dem Dritten.
  2. Wer Sevilla nicht sah, hat das Wunder nicht gesehen.