Stanley im dunkelsten Afrika

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Titel: Stanley im dunkelsten Afrika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 421; 428–436
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Stanleys Emin-Pascha-Expedition
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[421]

Emin Pascha.
Nach der neuesten Aufnahme in Sansibar.

[428]

Stanley im dunkelsten Afrika.

Jahrelang umgab ein undurchdringliches Dunkel das Schicksal der kühnen Forscher, welche in die Waldeswildnisse des tropischen Afrika ausgezogen waren, um Emin Pascha und der Handvoll Leute, die mit ihm in der Provinz Aequatoria geblieben waren, Hilfe und Rettung zu bringen. Endlich, nach Jahren, waren von ihnen Nachrichten eingetroffen, und die Heimkehrenden wurden mit Jubel an den Grenzen Deutsch-Ostafrikas begrüßt. Aus Briefen und kurzen Mittheilungen der Befreier und des Befreiten sind im Laufe von Wochen und Monaten einzelne Stücke aus jenem Afrikazuge bekannt geworden, welcher, was die Größe der überstandenen Gefahren, die Fülle der erduldeten Leiden, die Bitterniß der Enttäuschungen betrifft, zu den tragischsten, was die Tragweite der gemachten Entdeckungen anbelangt, zu den denkwürdigsten aller Afrikazüge gezählt werden muß. Leider begrüßte die Welt die Heimkehrenden mit getheilten Empfindungen; denn die jüngste Unternehmung Stanleys war keine reine Hilfs- und keine reine Forscherexpedition. Wohl waren die Helden, welche mit der wilden Natur und kriegerischen Stämmen rangen, bestrebt, den Schleier von dem dunkelsten Theile des dunklen Welttheiles zu reißen, wohl waren ihre Herzen von dem edlen Gefühl geleitet, einem Häuflein Hilfloser Rettung zu bringen, – aber die Wissenschaft und die Menschlichkeit waren nicht die einzigen Triebe, welche sie zu Thaten anspornten. Koloniale Pläne, politische Erwägungen bildeten gleichzeitig die Richtschnur des Unternehmens, und wie die Politik die Menschen trennt, so beeinflußt sie auch unser Urtheil. Der Ruf: „Hie Stanley, hie Emin!“ erscholl bereits, bevor man mit bestimmter Klarheit erfuhr, daß die beiden Helden nicht in einem herzlichen Einvernehmen den weiten Weg von den Quellen des Nils, von dem schneebedeckten Mondgebirge bis zur Küste des Indischen Oceans zurücklegten. Was später in die öffentliche Meinung durch weitere abgerissene Mittheilungen sickerte, konnte diesen Gegensatz nicht ausgleichen, obwohl es auch auf das Verhältniß der beiden hervorragenden Männer zu einander kein klares Licht zu werfen vermochte.

Stanley und seine Offiziere.
Dr. Parke. Nelson.     Stanley.     Stairs     Mounteney Jephson.

Mit um so größerer Spannung harrte man, bis Stanley und Emin die Geschichte des Zuges, den Fall von Aequatoria im Zusammenhange erzählen würden. Emin hat keine Zeit gefunden, Bücher zu schreiben, im Dienste Deutschlands wirkt er wieder im Innern Afrikas. Inzwischen ist nun Stanleys neues Werk, das so lang erwartete, erschienen. „Im dunkelsten Afrika. Aufsuchung, Rettung und Rückzug Emin Paschas, Gouverneurs der Aequatorialprovinz“[1] lautet der Titel. Durch die ausführlichen Mittheilungen Stanleys wird der Gegensatz zwischen ihm und Emin nicht gemildert. Im Gegentheil, wir erfahren, daß der Bruch zwischen beiden ein vollständiger ist, daß nicht nur politische Erwägungen ihn veranlaßt haben, sondern daß auch der Gegensatz der Charaktere, grundsätzliche Verschiedenheit [429] der Anschauung, persönliche Kränkungen mitgewirkt haben, um die Kluft zu erweitern. Leider hat bis jetzt nur der eine Theil gesprochen, und darum ist die Streitfrage keineswegs aufgehellt.

Wie aber auch die Verhältnisse in Wirklichkeit beschaffen sein mögen, die Gestalt Emins kann durch die Anklagen Stanleys nicht verkleinert werden, sie bleibt dieselbe, wie sie uns aus den früheren Mittheilungen Felkins, Junkers und Schweinfurths, aus den eigenen Briefen Emins bekannt ist. Emin bleibt für uns, was er uns war. Er ist kein General, das wußten wir längst; aber er ist muthig und unerschrocken, ein Mann der rastlosen Arbeit, ein Mann, dessen Herz auch für den Neger schlägt, ein Mann, den Afrika braucht; er ist, um einen treffenden Ausdruck zu gebrauchen, „ein Kolonist, der ein rechter Mensch ist“.

Und Stanley? Wenn er im englischen Interesse gewirkt hat, so darf uns das billigerweise nicht befremden. Das steht aber auch fest, daß er unbekümmert um Gefahren und die schlimmsten Entbehrungen den Bedrängten Hilfe bringen wollte, daß er mit eiserner Entschlossenheit die übernommene Aufgabe zu vollbringen bestrebt war. Auch er hat Großartiges geleistet in der Art, wie er litt und wie er stritt, um die Vorräthe an Pulver zu unserem tapferen Landsmann nach Aequatoria zu bringen.

Der Kirangosi oder vorderste Mann der Kolonne.

Lassen wir darum, wenn wir den Leser in das neueste Werk Stanleys einführen sollen, für jetzt den politischen und persönlichen Streit bei Seite, betrachten wir Stanley als Führer, als Forscher! Das ist erfreulicher, trotz der Tragik, mit welcher die betreffenden Seiten des spannenden Werkes gefüllt sind. Greifen wir die Ereignisse heraus, deren Schauplatz die düsteren Wälder im Herzen Afrikas bilden!

Unsere Leser wissen, daß Stanley seine Truppe nach Jambuja, einer Reihe von Dörfern am Aruwimi, dem Nebenflusse des Kongo, gebracht hatte. Von hier wollte er nach dem Albertsee vordringen und hatte durch Boten, die von der Ostküste abgesandt wurden, Kawalli am Südende des Sees Emin Pascha als den Vereinigungspunkt bezeichnet.[2] Tippu-Tib, der bekannte Araberhäuptling, hatte versprochen, 600 Träger zu stellen. Bevor aber diese erschienen waren, brach Stanley mit einer Vorhut von 389 Mann mit 357 Gewehren und einer Schnellfeuerkanone sowie einem zerlegbaren Boote nach dem Albertsee auf, um baldigst die erste Hilfe zu bringen. Major Barttelot sollte mit der Nachhut folgen.

Am 28. Juni 1887 hatte die Marschkolonne am Ende der Dörfer von Jambuja Halt gemacht.

„Welches ist der Weg, Führer?“ fragte Stanley den „Kirangosi“, den wahrscheinlich stolzesten Mann der ganzen Kolonne – denn es ist ein höchst erhebendes Gefühl, die Spitze des Zuges zu bilden. Der Mann trug einen griechischen Helm wie Achilles.

„Dieser hier, der nach Sonnenaufgang führt,“ erwiderte er.

„Wie viele Stunden sind es bis zum nächsten Dorfe?“

„Das weiß nur Gott!“ antwortete er.

„Kennst Du kein Dorf oder Land in jener Richtung?“

„Nicht ein einziges; wie sollte ich auch?“ war die Entgegnung.

Das war alles, was der Klügste von der Mannschaft wußte.

„Nun denn, vorwärts in Gottes Namen! Möge Gott stets mit uns sein! Halte Dich an jeden Pfad, der am Flusse entlang führt, bis wir eine Straße finden.“

„Bismillah!“ erscholl das Echo der Pioniere, die Trompeten der Nubier bliesen das Signal „Vorwärts“, und kurz darauf verschwand die Spitze der Kolonne in dem dichten Gebüsch an den äußersten Grenzen der Lichtung von Jambuja.

„Emin Pascha ist angekommen!“

Das war am 28. Juni, und bis zum 5. Dezember, also 160 Tage, ist die Vorhut durch Wald, Busch und Dickicht marschirt, ohne je ein Stück freies Land zu erblicken. „Eine afrikanische Straße,“ schreibt Stanley, „ist meist ein Fußpfad, welcher durch das Beschreiten in der trockenen Jahreszeit eine außerordentliche Glätte und die Härte des Asphalts bekommt. Da die Eingeborenen im Gänsemarsch, einer hinter dem andern, zu marschiren pflegen, ist der Weg nur 30 cm breit. Ist der Pfad alt, so gleicht er einer gewundenen schmalen Gosse, die in der Mitte mehr als an den Seiten ausgetreten ist, da das Regenwasser hindurchgeströmt ist und sie etwas ausgespült hat. Ein gerader Weg würde im Durchschnitt um etwa ein Drittel kürzer sein als der Pfad, auf welchem die Eingeborenen zu marschiren pflegen. Das ungefähr hofften wir zu finden, als wir aus dem Thore des verschanzten Lagers bei Jambuja marschirten, weil es uns auf vier früheren Expeditionen ins Innere von Afrika stets gelungen war, einen solchen Pfad Hunderte von Meilen zu verfolgen. Wir marschirten, eine Kompagnie nach der andern, im Gänsemarsch. Jede Kompagnie hatte ihre Fahnen, ihren Trompeter oder Trommler, sowie eine bestimmte Zahl von Ueberzähligen, [430] während 50 ausgesuchte Leute als Vorhut voraufmarschirten, um Haumesser und Axt zu handhaben, die jüngeren Bäume zu fällen, von den Stämmen einen handbreiten Streifen Rinde abzuschälen[3], die Blätter und Sprossen des Rotangs zu durchhauen, alle den freien Durchzug der Hunderte von beladenen Trägern hindernden Zweige zu entfernen, Bäume für den Uebergang über Flüsse zu fällen und nach Beendigung des Tagemarsches aus Buschwerk und Zweigen Seribas oder Bomas (Dornverhaue) und das Hüttenlager zu bauen. Die Vorhut muß den Pfad aussuchen oder, wenn keiner zu finden ist, die schmalste Stelle des Dickichts wählen und sich sofort durchbohren, da es außerordentlich ermüdend ist, mit einer schweren Last auf dem Kopfe in der erhitzten Atmosphäre still zu stehen. Findet sich kein dünneres Dickicht, dann geht es irgendwo hindurch, so undurchdringlich die Stelle auch erscheinen mag; die Leute müssen tüchtig darauflos hacken, sonst entsteht unter den ungeduldigen Trägern hinter ihnen ein unheilverheißendes Murren.“

Aber die Bezeichnung Wald genügt uns nicht, um die Schwierigkeiten des Marsches zu verstehen. Afrika hat verschiedene Wälder; trockene lichte Wälder im Osten, wo die Bäume ohne Unterholz, mit spärlichem Laub behangen, schattenlos weit auseinander stehen – der innerafrikanische Urwald am Aruwimi und oberen Kongo ist anders beschaffen. Einige Auszüge aus Stanleys Schilderung desselben mögen uns in seine düsteren Hallen einführen:

„Man denke sich das ganze Frankreich und die Iberische Halbinsel besetzt mit Bäumen von 6–50 m Höhe, glatten Stämmen, deren Blattkronen sich so nahe befinden, daß sie sich untereinander verwickeln und den Anblick des Himmels und der Sonne verhindern, Bäume, die bald wenige Centimeter, bald über einen Meter dick sind. Alsdann laufen von einem Baum zum andern Taue von 5–40 cm Durchmesser, welche die Form von Schlingen und Festons, eines lateinischen W und eines schlecht geschriebenen lateinischen M haben oder sich in großen dichten Kreisen wie endlose Anakondaschlangen um die Stämme ringeln, bis sie die höchste Spitze erreicht haben. Laß sie üppig blühen und Blätter treiben und sich mit dem Blattwerk der Bäume vereinigen, um die Sonne zu verbergen, laß von den höchsten Zweigen die Taue zu Hunderten bis nahe auf den Erdboden, mit ausgefransten Enden, welche die Luftwurzeln der Epiphyten (Schmarotzerpflanzen) repräsentiren, herabfallen und schlanke Ranken mit offenem Faserwerk an den Enden wie Troddeln herabhängen! Arbeite alles gehörig durcheinander, so wirr wie möglich und von einem Zweig zum andern, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Bestandtheile, und pflanze an jeder gabelförmigen Stelle der Bäume und auf jeden horizontal stehenden Ast kohlartige Baumflechten von der größten Art, Pflanzen mit breiten speerförmigen Blättern, welche die Elefantenohr-Pflanze[4] darstellen, sowie an andern Stellen Orchideen und Gruppen vegetabilischer Wunderwerke, drapiert mit den viel vorkommenden Farnen! Nunmehr bedecke Baum, Ast, Zweig, Schlinggewächs mit dickem Moos wie mit einem grünen Pelz! Wo der Wald kompakt ist, braucht man nur noch den Boden dicht mit dickem Phryniumgesträuch, Amomum und zwerghaftem Gebüsch zu bepflanzen. Wenn aber, wie es häufig vorkommt, der Blitz die Krone eines stolzen Baumes abgeschlagen und das Sonnenlicht hereingelassen, wenn er einen Waldriesen bis zu den Wurzeln hinab zersplittert hat und der Stamm verdorrt, wenn ein Wirbelsturm einige Bäume entwurzelt hat, dann schießen eine Menge junger Stämme im Wettlauf um Luft und Licht in die Höhe, drängen sich, brechen sich, treten sich und ersticken sich gegenseitig, bis das Ganze ein undurchdringliches Dickicht bildet. –

Um das geistige Bild des unbarmherzigen Waldes zu vollenden, muß der Erdboden noch dick mit halbfertigem Humus aus vermoderten Blättern, Stielen und Zweigen bedeckt sein; alle paar Meter sollte ein gestürzter Riese liegen, eine dünstende Mischung von verwesenden Fibern, abgestorbenen Generationen von Insekten und lebenden Ameisenkolonien, halb verborgen unter der Masse von Reben und umgeben von dem Blattwerk einer Menge junger Bäumchen, langer Epheuranken und viele Meter hoher Rotangpalmen; und jeden Kilometer müßte ein schlammiger Fluß, ein stagnirender Bach oder flacher Tümpel kommen, bedeckt mit Wasserlinsen, Lotus- und Lilienblättern und einem fettigen, grünen Schaum, der aus Millionen von Pflanzentheilen besteht. Bevölkere dann diese ungeheuere Waldgegend mit unzähligen Fragmenten von Völkerstämmen, die untereinander im Kriege sind, 15 bis 80 Kilometer von einander getrennt inmitten der zu Boden gestürzten Bäume, zwischen denen sie Paradiesfeigen, Bananen, Maniok, Bohnen, Tabak, Kolokasien, Kürbisse, Melonen u. s. w. gepflanzt haben, leben und, um ihre Dörfer unzugänglich zu machen, jedes Vertheidigungsmittel angewandt haben, welches die Natur und das Leben im Walde den Wilden in die Hand gegeben hat. Sie haben Holzsplitter eingegraben und schlau unter scheinbar zufällig dort liegenden Blättern verborgen, nicht nur auf ihren Pfaden, sondern auch an der Seite von Baumstämmen, sodaß der Eindringling, wenn er mit dem nackten Fuße darauf tritt, sich diesen durchbohrt und entweder an dem auf die Holzstücke geschmierten Gift stirbt oder Monate lang lahm bleibt. Sie haben die Aeste aufgethürmt und mit den großen Bäumen Verhaue hergestellt, hinter denen sie mit Köchern voll vergifteter Pfeile und mit im Feuer gehärteten und mit Gift bestrichenen hölzernen Speeren im Hinterhalte liegen.

Der Urwald, d. h. das alte, vom Menschen noch nicht berührte und seit den frühesten Zeiten sich überlassen gebliebene Wachsthum, ist leicht von demjenigen Theil zu unterscheiden, der früher oder später einmal den Menschen Schutz gewährt hat. Die Bäume sind höher und gerader und haben einen kolossaleren Umfang, es finden sich öfter Durchgänge, wo der Marsch weniger Schwierigkeiten bietet und das Hinderniß unabänderlich in Arum, Phrynium und Amomum besteht. Der Grund ist fester und kompakter, und es befinden sich an solchen Stellen die Lieblingslagerplätze der zwerghaften Nomaden. Wenn die Pflanzen und kleinen Büsche weggehauen werden, hat man einen luftigen, kühlen Waldtempel, in dem sich angenehm leben läßt.“ –

Wild giebt es wohl in diesem Walde, aber man sieht es nicht, denn der Lärm der Karawane verscheucht es. Auf die Jagd zu gehen, ist gefährlich, denn wer sich hier verirrt, der ist rettungslos verloren, der Wald giebt nichts wieder heraus, wie das Wasser hinter dem Kiel des Schiffes schließt er sich hinter dem Verlorenen. Vögel hört man überall, aber sie sitzen unerreichbar wie auf dem Dache eines 15 Stockwerke hohen Hauses. Zahllos sind die Insekten, mit deren Beschreibung man ganze Bücher füllen könnte, die aber auch zahllose Plagen über den Wanderer verhängen. „Diese großen und kleinen Bienen, die Wespen, die Herden von Motten zur Nachtzeit, die Haus-, Tsetse-, Viehfliegen, Mücken und Schmetterlinge bei Tage, die riesenhaften Käfer, welche, durch das Licht im Zelte angezogen, durch die Dunkelheit dahersegelten, wüthend gegen die Leinwand stießen, in ihrem Zorn, immer mit heiserem Brummen, von einer Seite nach der andern zurückgeworfen wurden und schließlich mit lärmender Wuth sich auf mein Buch oder mein Gesicht stürzten, als wollten sie aus irgend einem Grunde Rache an mir nehmen; dann die Schwärme von Ameisen, welche auf meinen Teller marschirten, in meine dünne Suppe liefen und über meine Bananen krochen, die Heimchen, welche wie Dämonen umhersprangen und sich mir auf den Kopf oder die Stirn setzten, die Cikaden, deren schrilles Zirpen einen noch verrückter machte, als die hysterischen heulenden Manjemafrauen. Der Pascha (Emin) behauptet, diese Stämme zu lieben, ich gestehe aber, ich habe ihnen so viel Schaden wie möglich zugefügt.“

Da gab es kleine Bienen, deren beliebteste Angriffspunkte Augeb, Ohren und Nasenlöcher waren, kleine Käfer, die durch ein Nadelöhr hätten schlüpfen können und, durch ein Vergrößerungsglas betrachtet, besonders auf das Peinigen des Menschen eingerichtet zu sein schienen. „Selbstverständlich waren auch unsre alten Freunde, die Moskitos, in zahllosen Scharen auf den größeren Lichtungen. Wenn wir aber bei Tage von Ameisen und unzähligen Arten von Insekten gebissen und gestochen wurden, was, wie jeder zugeben wird, ebenso schlimm ist, als ob man mit Nesseln gepeitscht würde, so hatte auch die Dunkelheit ihre Unruhe, Schrecknisse und Aengste. In der Stille der Nacht, wenn die ganze Karawane im Schlummer lag, wurde plötzlich jeder von einer Reihe von Explosionen erweckt. Allnächtlich wurde ein großer Baum vom Blitze getroffen und war die Gefahr vorhanden, daß die Hälfte des Lagers von dem fallenden Stamme zermalmt wurde; das Rauschen der Aeste während eines Sturmes war wie das Getöse der Brandung und das Rollen der Wogen am Strande. Wenn es regnete, vermochte keine Stimme im Lager sich Gehör [431] zu verschaffen; es war wie ein Katarakt mit seinen tosenden Wassermassen. Fast jede Nacht fiel plötzlich ein abgestorbener Baum krachend, berstend und rauschend und schlug mit einem die Erde erschütternden Getöse auf den Boden auf.“

Düster, mit Nebeln verhüllt, mit dichtem Gebüsch am Ufer bewachsen, war auch der Strom, der anfangs in dieser Waldwildniß als Wegweiser diente. Das zerlegbare Boot und einige Kanoes bildeten die Wasserabtheilung der Karawane, der Rest zog zu Lande. Der schlimmste Feind, dem Stanley in diesem Walde begegnete, war der Hunger. Jede Banane, jedes Huhn mußte theuer erkauft oder erkämpft werden. Die Leute wurden, wenn sie einzeln auf Nahrungsmittelsuche ausgingen, von den im Hinterhalte liegenden Eingeborenen angegriffen, mit vergifteten Speerspitzen oder von den vergifteten Pfeilen verwundet, und manche erlagen trotz sorgfältigster Pflege nach Tagen und Wochen im schrecklichen Starrkrampf den gefährlichen Wunden. Die anderen waren von den Mühsalen und der schlechten Nahrung erschöpft – und immer war noch das Ende der Wildniß unabsehbar. Am 1. September 1887 war man damit beschäftigt, das Boot über Land zu befördern, um eine Stromschnelle zu umgehen. Da stürzte der europäische Diener Stanleys herbei und schrie: „Herr, o Herr, Emin Pascha ist angekommen!“

„Emin Pascha?“

„Ja, Herr! Ich habe ihn in einem Kanoe selbst gesehen. Seine rothe Flagge, gerade wie die unsrige (die ägyptische), ist am Heck aufgezogen. Es ist ganz gewiß, Herr!“

Bittere Täuschung! Man war mit Manjema[5], Sklavenjägern der Araber, zusammengekommen und näherte sich einer ihrer Ansiedelungen. Der Führer derselben hieß Ugarrowa, früher war er als Uledi Zeltdiener des Entdeckers der Nilquellen, J. Spekes, gewesen.

Stanley wurde von dem Araberhäuptling freundlich empfangen; er rückte weiter ins Innere vor, wo sich etwa 20 Tagemärsche weit eine zweite Kolonie unter Befehl des Arabers Kilonga Longa befinden sollte. 50 Invaliden mußten bereits in dem Lager Ugarrowas zurückgelassen werden. Die Vorhut begegnete wirklich einer Abtheilung der Leute Kilonga Longas und erfuhr, daß sie nur etwa fünf Tagemärsche von der Burg der Sklavenjäger entfernt sei, daß aber dazwischen ein völlig unbewohntes Land liege. Und man hatte schon so lange gehungert! Kapitän Nelson, einer der weißen Offiziere Stanleys, litt an Geschwüren und 52 Neger waren invalid, zu Skeletten abgemagert.

Da wurde beschlossen, daß die Kranken unter Befehl Nelsons in einem Lager am Flusse bleiben, die Gesunden aber Kilonga Longa zu erreichen suchen sollten, um dann den Geschwächten Nahrungsmittel zu bringen.

„Man hätte,“ schreibt Stanley über das Lager Nelsons, „keinen düstereren Ort auswählen können, als diese Terrasse. Rundherum von Felsen umschlossen, war sie von den dunkeln, vom Flußrande bis zur Höhe von etwa 185 m aufsteigenden Waldungen eingeengt und von dem unaufhörlichen Tosen umgeben, welches der kochende wirbelnde Strom und die beiden sich gegenseitig an Getöse überbietenden Wasserfälle verursachten. Die Phantasie schaudert bei dem Gedanken an die hilflose Lage der Verkrüppelten, die verdammt waren, unthätig zu sein, jeden Augenblick das schreckliche Getöse der erzürnten, in unversöhnlicher Wuth dahinstürmenden Gewässer und den eintönigen, anhaltenden Donner der fallenden Wassermassen zu hören, die springenden, rollenden und im ewigen Kampfe um die Herrschaft sich überschlagenden Wellen zu beobachten, wie sie von der unaufhörlichen Kraft der dahinschießenden Strömung in weit auseinandergerissene weiße Schaumfetzen zerpeitscht wurden, und auf die dunklen unbarmherzigen Wälder hinabzublicken, welche sich flußaufwärts und rundherum ausdehnen und beständig in ihrem langweiligen Grün dastehen und über vergangene Zeiten, Jahrhunderte und Generationen trauern. Man denke sich dann die Nacht mit ihrer greifbaren Dunkelheit, dem tiefschwarzen Schatten der bewaldeten Hügel, dem ewigen wüthenden Getöse, dem unaufhörlichen Aufruhr der Katarakte, den unbestimmten Gestalten, welche Nervosität und Furcht schaffen, dem Elend, welches die Einsamkeit und die heranschleichende Besorgniß vor dem Verlassenwerden hervorruft, und man wird sich die wahre Lage dieser armen Leute vergegenwärtigen können.“

Und nicht besser war es mit denjenigen bestellt, welche nach Kilonga Longa am 7. Oktober um 6½ Uhr morgens im Leichenträgerschritt aufgebrochen waren. „Als ich die armen Burschen betrachtete,“ erzählt Stanley, „wie sie ermattet sich weiter schleppten, schien es mir nur einiger Stunden zu bedürfen, um ihr Schicksal zu besiegeln. Noch einen, vielleicht zwei Tage, dann würde das Leben entschwinden. Wie sie mit den Augen das wilde Dickicht nach den rothen Beeren des Phrynium, den hochrothen länglichen herben Früchten des Amomum durchsuchten! Wie sie sich auf die faden Bohnen des Waldes stürzten und nach seinen Schätzen von Schwämmen stierten! Kurz, in dieser schweren Noth, in welcher wir uns befanden, wurde nichts zurückgewiesen, außer Blättern und Holz.“

Freudentage waren es, wenn die Fouragiere hier oder dort verlassene Hütten entdeckten und in ihnen etwas Vorrath gefunden wurde. Ein paar Bananen oder Tassen Mais für den Mann – das bedeutete den Aufschub des Todes. Zu Kilonga Longa waren einige Boten vorausgesandt worden; jetzt mußte auch das Boot zurückgelassen werden unter Obhut Uledis, des kühnen Steuermanns Stanleys auf dessen Kongofahrt durch den dunklen Welttheil. Langsam rückte Stanley vorwärts, der Weg durch das Dickicht führte jetzt bergan und die Ermatteten mußten mit klopfendem Herzen steile Hänge ersteigen, sich fortwährend Bahn hauend. „O, es war ein trauriger, ein unaussprechlich trauriger Anblick, so viele Männer blindlings durch den endlosen Wald sich arbeiten zu sehen, einem Weißen folgend, dessen Ziel niemand kannte und von dem die meisten glaubten, daß er es selbst nicht wüßte. Sie befanden sich schon jetzt in einer wirklichen Hölle des Hungers. Auch mein armer Esel, den ich aus Sansibar mitgebracht hatte, zeigte Symptome, daß es mit ihm zu Ende gehe. Seit dem 26. Juni jeden Tag Arum und Amomum waren keine passende Nahrung für einen zierlichen Esel aus Sansibar, und ich erschoß ihn deshalb, um seinem Elend ein Ende zu machen. Das Fleisch wurde so sorgfältig getheilt, als wenn es das kostbarste Wildpret gewesen wäre, da die wilde, halbverhungerte Menge der Disciplin zu trotzen drohte. Als das Fleisch in unparteiischer Weise vertheilt worden war, entstand eine Prügelei wegen des Fells. Die Knochen wurden ergriffen und zerschlagen, die Hufe stundenlang gekocht, und von meinem treuen Thier blieb nichts übrig als das vergossene Blut und die Haare; eine Schar Hyänen hätten nicht gründlicher mit demselben aufräumen können.“

Die fünf Tagemärsche waren längst vorüber und von den Manjema keine Spur zu sehen. Endlich am 16. Oktober brachen die Pioniere durch ein Dickicht von Amomum und stießen auf eine Straße. Und siehe da, an jedem Baum war das besondere Zeichen der Manjema, eine Entdeckung, welche von der Spitze der Kolonne bis zum letzten Mann der Nachhut von allen wiederholt und mit frohlockendem Jubel aufgenommen wurde. Noch eine Nacht im Walde, dann begegnete man den Bewohnern der Niederlassung, und zwischen schönstehenden Feldern mit Mais, Reis, süßen Kartoffeln und Bohnen rückten die Hungernden in Kilonga Longas Lager Ipoto ein.

Anfangs wurde die Karawane Stanleys freundlich empfangen. „Für uns selbst,“ schreibt er, „erhielten wir drei Ziegen und zwölf Körbe Mais, bei deren Vertheilung jeder Mann sechs Kolben erhielt. Sie dienten uns zu zwei Mahlzeiten, nach denen viele wie ich sich neu belebt und erfrischt gefühlt haben müssen. In den ersten Tagen unseres Aufenthalts in Ipoto litten wir beträchtlich an Mattigkeit. Die Natur giebt uns entweder Hunger und nichts zu essen oder bereitet uns ein Fest und beraubt uns jeglichen Appetits. An diesen zwei Tagen hatten wir reichlich Reis und Pilau sowie geschmortes Ziegenfleisch gegessen und infolgedessen begannen wir an allerlei Beschwerden zu leiden. Die Kauwerkzeuge hatten ihre Funktion vergessen, die Verdauungsorgane wollten die Leckerbissen nicht annehmen und schienen in Unordnung zu sein.“

Die Freundlichkeit der Manjema wurde jedoch abgekühlt, als sie bemerkten, daß Stanley nicht die von ihnen gewünschten Stoffe und Perlen besaß, da diese zum Theil im Lager bei Kapitän Nelson zurückgeblieben, zum Theil auf dem Marsche verloren gegangen waren. Sie verkauften die Lebensmittel immer theurer, [432] und die ausgehungerten Sansibariten trennten sich zunächst von ihrem persönlichen Besitz, von ihren Hemden, Turbanen, Ueberkleidern, Westen, Messern und Gürteln; dann opferten sie für ein paar Maiskolben ihre Munitionstaschen, Lädestöcke, Haumesser und endlich die Remingtongewehre. „Wir waren also,“ ruft Stanley aus, „nachdem wir den schrecklichen Leiden des Hungertodes und dem Schaden, den die vielen wilden Stämme uns hätten zufügen können, entgangen waren, in drohender Gefahr, die Sklaven der arabischen Skaven zu werden.“

Um das Schlimmste zu verhüten, griff Stanley zu abschreckenden Mitteln; ein Sansibarite, der überführt worden war, daß er ein Gewehr entwendet und verkauft hatte, wurde aufgeknüpft. Diese Maßregel stellte die Disciplin wieder her, und die Entschlossenheit machte auch auf die Manjema den gewünschten Eindruck. Aber erst am 26. Oktober konnte der Offizier Mounteney Jephson mit 40 Sansibariten und 30 Manjemasklaven, die genügende Lebensmittel trugen, den Marsch zum Entsatz Nelsons antreten. Auf bereits gebahntem Wege, der von Leichen und Gerippen der verhungerten Karawanenmitglieder bezeichnet war, ging er rasch zurück.

Die Station Kilonga Longas.

„Sobald es am 29. Oktober Tag wurde,“ heißt es in seinem Berichte an Stanley, „brach ich auf, da ich entschlossen war, Nelson an diesem Tage zu erreichen und die Frage zu entscheiden, ob er noch am Leben sei. In Begleitung von nur einem Mann befand ich mich bald meinen übrigen Leuten weit voraus. Als ich mich dem Lager Nelsons näherte, überkam mich eine fieberhafte Ungeduld, sein Schicksal zu erfahren, und ich drang rasch vor, durch Fluß und Bach, über Ufer und Sumpf, über welche sich unsere verhungernden Leute mit den Abtheilungen des Bootes langsam und mühsam weiter gearbeitet hatten.

Als ich von dem Hügel in Nelsons Lager hinabkam, hörte ich keinen weiteren Laut als das Aechzen zweier Sterbenden in einer nahen Hütte; der ganze Platz hatte das Aussehen des Verlassenseins und der Trauer. Ich ging leise um das Zelt herum und fand Nelson dort sitzen; wir schüttelten uns die Hand, dann wandte der arme Bursche sich ab und seufzte und murmelte etwas über seine sehr große Schwäche. Das Aussehen Nelsons hatte sich sehr verändert; er sah matt und hager aus und hatte tiefe Ringe um die Augen und Linien am Mund. Er erzählte mir von seiner Sorge, als ein Tag nach dem andern verstrich und keine Hilfe kam; endlich war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß uns etwas passirt sei und wir gezwungen gewesen seien, ihn zu verlassen. Er hatte hauptsächlich von Früchten und Schwämmen gelebt, die seine beiden Jungen ihm täglich brachten. Von den 56 Mann, die Sie bei ihm gelassen haben, waren nur 5 übrig, und von diesen lagen 2 im Sterben. Alle übrigen waren desertirt oder umgekommen.“

Bonny (einer der weißen Offiziere Stanleys) brachte die Geretteten in die Niederlassung der Manjema nach Ipoto, wo Kapitän Nelson sich allmählich erholte, so daß er später alle weiteren Strapazen des Zuges theilen konnte.

Rettung des Kapitäns Nelson und der Ueberlebenden im Hungerlager.

Nachdem Stanley die Kranken unter Obhut Dr. Parkes und das Boot bei Kilonga Longa zurückgelassen hatte, trat er mit der geschmälerten Mannschaft den Weitermarsch an. Er gelangte jetzt in das Land der Balesse, das sich durch eine eigenthümliche Bauart der Dörfer auszeichnet. Auf den ersten Anblick scheinen diese Dörfer ein langes mit schrägem Dach versehenes Gebäude zu sein, welches genau dem First des Daches entlang in der Mitte durchgeschnitten ist, und es sieht aus, als ob beide Hälften des Hauses 6 bis 9 Meter zurückgeschoben und dann an den inneren Seiten mit Brettern bekleidet und mit niedrigen Thüren versehen worden seien, welche die Eingänge in die verschiedenen Gemächer bilden. Der Marsch durch den Wald der Balesse bot neue Schwierigkeiten. Die nachfolgende Schilderung möge uns darüber belehren:

„Eine weitere Eigenthümlichkeit des Balesselandes ist der Zustand seiner Waldlichtungen, die zum Theil sehr ausgedehnt sind, einen Durchmesser bis zu 2½ km haben und sämmtlich überall mit den Ueberresten, Trümmern und Stämmen des Urwaldes bedeckt sind. In der That läßt sich eine Lichtung der Balesse mit nichts besser vergleichen, als mit einem das Hauptdorf umgebenden mächtigen Verhau, über welchen der Reisende sich einen Weg zu suchen [433] hat. Tritt man aus dem Schatten des Waldes heraus, so führt der Pfad anfänglich vielleicht 30 Meter dem Stamme eines großen Baumes entlang, wendet sich dann im rechten Winkel einen Meter längs eines starken Astes und führt darauf einige Schritte über den Erdboden, bis man vor einem gefällten dicken Baume von 1 Meter Durchmesser steht, über den man hinwegklettern muß, um sich im nächsten Augenblicke dem ausgedehnten Geäst eines weiteren Baumriesen gegenüber zu finden, durch welches man kriechen, gleiten und sich winden muß, um festen Fuß auf einem Zweige zu bekommen. Aus dem Geäst gelangt man auf den Stamm, worauf man eine halbe Wendung nach rechts macht, dem an Stärke zunehmenden Baum entlang geht, bis man einen auf und über den ersten hinweg gefallenen Stamm zu erklettern hat, dem man nach einer halben Wendung nach links aufwärts folgt, bis man die Höhe von 6 Metern über dem Erdboden erreicht hat.

Gefangener Zwerg.

Zwischen dem Geäste in dieser Höhe muß man vorsichtig, kaltblütig, überlegt und nervenstark sein. Unter mißlichem, gefährlichem Balanciren setzt man den Fuß auf einen Zweig und steigt dann vorsichtig von der steilen Höhe herab, bis man etwa 2 Meter vom Erdboden ist, von wo man wieder auf einen andern allmählich dünner werdenden Ast springt, um ihn bis zur Höhe von 6 Metern zu verfolgen. Darauf geht es wieder über einen Baumriesen, dann nach dem Erdboden hinab und auf diese Weise stundenlang weiter in der heißen brennenden Sonne und der dumpfen, dunstgefüllten Atmosphäre der Lichtung, bis der Schweiß in Strömen aus den Poren fließt. Dreimal bin ich bei diesen schrecklichen gymnastischen Uebungen nur mit genauer Noth dem Tode entgangen. Ein Mann blieb nach dem Falle auf der Stelle todt, mehrere andere erhielten fürchterliche Verletzungen. Und doch ist der Uebergang über den Verhau für den fast nackten Fuß nicht so gefährlich wie für den Stiefel, namentlich am frühen Morgen, wenn der Thon noch nicht getrocknet ist, und nach einem Regenguß oder wenn die Vorhut die Stämme mit schmierigem Thon beschmutzt hat. Ich bin innerhalb einer Stunde sechsmal gefallen. – Das Dorf steht im Mittelpunkt der Lichtung. Wir haben uns oft, wenn wir zu der Zeit, um welche wir das Lager aufzuschlagen pflegten an einer Lichtung eintrafen, beglückwünscht, dann aber oft noch anderthalb Stunden gebraucht, um das Dorf zu erreichen. Es ist ein seltsamer Anblick, eine mit schweren Lasten beladene Karawane über dieses Wrack eines Waldes, über die mit Stämmen bedeckte Lichtung und die Flüsse, Moräste, Wasserzüge und Gräben schreiten zu sehen, die oft 6 bis 7 Meter unter einem zu passirenden dünnen, nur 15 Centimeter starken, gleichsam eine Brücke bildenden glatten Baum liegen, von dem die Rinde herabgefallen ist. Einige Leute stürzen, andere taumeln, einer oder zwei sind bereits gefallen, einige befinden sich in der Höhe von 6 Metern, andere kriechen auf dem Erdboden unter den Bäumen hindurch; viele dringen durch ein Gewirr von Aesten, dreißig Mann oder mehr stehen auf einem einzigen geraden, dünnen Stamm, etliche sind wie Schildwachen auf einen Zweig postirt und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Alles das wird aber noch viel beschwerlicher und viel gefährlicher, wenn aus hundert Richtungen die todbringenden Pfeile der im Hinterhalt verborgenen Eingeborenen herumfliegen, die, Gott sei Dank, nicht sehr zahlreich waren. Wir waren so vorsichtig, daß dies nicht oft vorkam, obwohl wir selten eine dieser schrecklichen Lichtungen haben verlassen können, ohne daß diesem oder jenem der Fuß durch ein spitzes Holzstück verletzt oder der eine oder andere gelähmt worden war.“

Die Zwerge im Vergleich zu Casatis Diener Okili.
Nach einer am Albertsee aufgenommenen Photographie.

In dem Distrikt Ibwiri erreichte die Karawane zunächst die Grenze der Verwüstungen der Manjema und fand reichliche Lebensmittel. Gestärkt trat sie den Weitermarsch an und stand bald darauf auf der Spitze eines Berges, von dem sie über das grüne Dach des grausamen Waldes nach dem Graslande, den gesegneten Weiden von Aequatoria, hinüberblickte. Frohen Muthes stiegen alle von dem Berge Pisgah ins Thal, in einigen Tagen mußte ihre bittere Noth ein Ende erreichen, und wahrlich, am 5. Dezember stießen sie auf ein Dorf mit runden Hütten, deren spitze Dächer [434] mit Gras bedeckt waren. Dieser Anblick versetzte alle in ungestüme Freude, und ein Bursche aus dem Zuge stürmte vorwärts und küßte das dürre Gras. Dann zerstreuten sich einige Leute, und einige kehrten mit frischen grünen Grasbüscheln zurück und wurden von den im Lager Zurückgebliebenen mit derselben Freude begrüßt wie die Taube mit dem Oelzweige vom Vater Noah und seiner Familie!

Am 13. Dezember endlich erreichte die Karawane den Rand eines Hochplateaus, zu dessen Füßen sich das ersehnte Ziel ihrer Reise, der Albertsee, ausbreitete. Aber eine Enttäuschung ward ihr zu Theil – Emin Pascha, der zu Befreiende, war nicht da! Stanley entschloß sich, da er den weiteren Landmarsch nach Wadelai mit seiner erschöpften Mannschaft nicht wagte, das Boot aber bei Kilonga Longa zurückgelassen hatte, zu dessen Station zurückzukehren und sein Fahrzeug herbeizuholen. Für alle Fälle wurde unterwegs in dem fruchtbaren Bezirke Ibwiri das Fort Bodo, das „Friedensfort“, angelegt. Dann ging’s abermals vorwärts nach dem Albertsee, und hier erfolgte endlich – am 29. April 1888 – das erste Zusammentreffen mit Emin.

Stanley hatte nun dem „Geretteten“ drei Vorschläge zu unterbreiten, die sich in der Kürze dahin zusammenfassen lassen: 1) Emin und seine Truppen verlassen mit Stanley die von Aegypten aufgegebene Provinz, ziehen hinab nach Sansibar und kehren von da nach Kairo zurück; wollen sie aber in der Aequatorprovinz bleiben, so mögen sie dies auf ihre eigene Verantwortung thun. 2) Emin übergiebt seine Provinz an den Kongostaat und tritt selbst in dessen Dienste. 3) Emin Pascha macht mit seinen Soldaten Eroberungen für die britisch-ostafrikanische Gesellschaft.

Zur unangenehmen Ueberraschung Stanleys ging aber Emin auf keinen dieser Vorschläge ein, sondern berief sich einfach auf die Entscheidung seiner Leute, deren Schicksal er auch ferner zu theilen gesonnen sei. So ging denn der schon genannte Mounteuey Jephson mit Emin nach dessen Provinz ab, um dort diese Entscheidung einzuholen. –

Die in Jambuja zurückgelassene Nachhut Stanleys war inzwischen nicht eingetroffen, und Stanley entschloß sich, noch einmal den Weg durch den Wald nach Jambuja zurückzulegen, um die Hauptvorräthe zu holen.

Auf dem bereits gebahnten Wege drang er rasch bis Banalja, wenige Tagemärsche oberhalb Jambuja, vor, wo er die Trümmer der Nachhut fand und erfuhr, daß Major Barttelot von einem Skaven Tippu-Tibs erschossen worden war. Er ordnete die Nachhut frisch und brach zum dritten Male nach dem Albertsee auf.

In den von den Sklavenjägern ausgeplünderten Distrikten trat noch einmal das furchtbare Gespenst der Hungersnoth an die vielgeprüfte Expedition heran. Das geschah im Dezember 1888 in der Nähe des Zusammenflusses des Ihuru und des Dui.

In den Bananenpflanzungen von Ngwetsa ließ Stanley jeden Mann genügenden Mundvorrath mitnehmen, um damit Fort Bodo zu erreichen, bei welchem von der Expedition Felder bestellt worden waren. Alles lief verhältnismäßig gut ab. Man bestand Kämpfe mit den Eingeborenen, schlug sie aber immer zurück; auch einige Zwerge wurden gefangengenommen und sagten unter anderem aus, daß man in einigen Tagen eine herrliche Bananenpflanzung erreichen werde. Stanley ahnte nicht, wie verhängnißvoll die Aussage der Zwerge für ihn werden sollte. Er erfuhr es erst am 8. Dezember. Bald nachdem das Zelt des Hauptquartiers aufgeschlagen und das aus blattreichen Pflanzen bestehende Unterholz etwas ausgerodet war, beobachtete Stanley einen jungen Burschen, welcher wankte. Er ging zu ihm und fragte ihn nach der Ursache, woraus er zu seiner Ueberraschung erfuhr, daß Schwäche infolge Mangels an Lebensmitteln der Grund seines schwankenden Ganges sei. „Habt Ihr denn Eure ganzen fünftägigen Rationen schon aufgegessen?“

Nein, er hatte sie fortgeworfen, weil die gefangenen Zwerge gesagt hatten, daß sie in einem Tage eine Pflanzung erreichen würden, die wegen ihrer Bananen, „der größten in der Welt“, berühmt sei.

Nachforschungen im Lager ergaben, daß mindestens 150 Leute dasselbe gethan hatten und nun nichts mehr besaßen. Man war wieder in einem Hungerlager. Ngwetsa war nur 19½ Marschstunden entfernt. Am 9. Dezember morgens brachen darum etwa 200 Mann nach den Bananenpflanzungen auf, nachdem sie für die 130 Personen im Lager etwa 200 Pfund Mehl zurückgelassen hatten.

Tage vergingen und die Fouragierer kehrten nicht zurück.

Die Leute sahen jämmerlich aus. Stanley öffnete die Kisten mit europäischem Proviant und vertheilte Butter und kondensirte Milch zur Verbesserung der Mehlsuppe, je einen Topf Butter und Milch für 130 Personen, die sich nach dieser Mahlzeit im Walde zerstreuten, um Beeren und Pilze zu suchen. Einige verirrten sich und wurden vermißt, andere starben im Lager.

„Nachts auf meinem Lager,“ schreibt Stanley, „beunruhigte mich der Gedanke an die Abwesenden; aber wie unangenehm die Idee, daß ein schreckliches Unglück – sie konnten sich im Walde verirrt haben und vor Hunger zusammengebrochen sein, ehe sie die Bananenpflanzung erreicht hatten – sich ereignet habe, auch sein mochte, ich konnte nicht umhin, auch die dunkelsten Aussichten zu berücksichtigen und das Schlimmste zu erwarten, um wenn möglich die Ueberbleibsel der Expedition zu retten, damit die Nachricht an den Pascha und durch ihn eines Tages an die Civilisation gelange. Ich malte mir aus, daß die ganze Kolonne in diesem Lager umgekommen sei, wie der Pascha einen Monat nach dem andern sich wunderte, was aus uns geworden sei, wie wir in diesem unbekannten Winkel des großen Waldes vermoderten und verwesten, jedes Zeichen an den Bäumen verwuchs und jede Spur von uns innerhalb eines Jahres verwischt sein würde, so daß unser Begräbnißplatz auf ewige Zeiten unbekannt bleiben würde. In der That schien es mir, als ob wir gerade solchem Schicksal stetig entgegengetrieben würden. Da waren ungefähr 200 Mann, welche ohne Lebensmittel 55 km weit gingen, um solche zu suchen. Nicht 150 von ihnen würden den Ort erreichen, die übrigen würden sich wie die Madi[6] auf den Boden werfen, um zu warten und von den andern zu betteln, falls diese etwa zurückkehren sollten. Und wenn den 50 Tapfersten ein Unglück zustieß, was dann? Einige werden einzeln von den Zwergen niedergeschossen, die übrigen im ganzen von den größern Eingeborenen angegriffen. Die Leute haben keinen Führer, sie zerstreuen sich, verlieren den Kopf, verirren sich und werden einer nach dem andern von den Speeren der Wilden niedergemacht. Während wir warten und ewig warten auf Leute, die nicht wiederkehren können, sterben die meinigen erst zu dreien, sechsen, zehnen, zwanzigen, bis alles vorüber ist, wie ein erloschenes Licht. Nein, es muß irgend etwas geschehen. – –

Bonny (der oben genannte Offizier Stanleys) erbot sich, mit 10 Mann im Lager bei den Vorräthen zu bleiben, wenn ich für ihn und die Leute Lebensmittel für zehn Tage, die Zeit, welche wir fort zu sein beabsichtigten, zurücklassen würde. Das Material, um eine dünne Brühe für eine so kleine Zahl auf zehn Tage zu bereiten, war nicht schwer zu finden. Wir maßen eine halbe Tasse voll Maismehl pro Kopf für 13 Mann und zehn Tage und zählten 4 Milchbiskuits pro Mann und Tag ab; außerdem ließen wir ihnen noch einige Büchsen mit Butter und kondensirter Milch zur Verbesserung der Mehlsuppe zurück. Für diejenigen, welche nicht gewillt oder nicht imstande waren, uns zu den Bananen zu folgen, vermochten wir nichts zu thun. Was eine kleine Besatzung von 13 Mann viele Tage unterhalten konnte, würde das Leben von 50 Leuten nicht retten, die schon so schwach waren, daß nur eine große Menge des leicht verdaulichen Bananenmehls sie möglicherweise noch erhalten konnte.

Am Morgen des 15. Dezember musterten wir alles, was im Lager noch am Leben war. Der Manjema-Anführer Sadi meldete, daß von seinen Leuten 14 nicht imstande seien, sich zu bewegen; Kibbobora berichtete, daß von seiner Abtheilung nur sein kranker Bruder nicht gehen könne, und bei Fundi war nur ein Weib und ein kleiner Knabe zu schwach für den Marsch. Die Expedition mußte 43 Personen zurücklassen, die der Auflösung nahe waren, wenn nicht innerhalb 24 Stunden Lebensmittel herbeigeschafft wurden. Einen hoffnungsvollen Ton anschlagend, obwohl das Herz mir fast brach, sagte ich ihnen, sie sollten guten Muthes sein, ich würde die Abwesenden aufspüren, die sich vermuthlich vollstopften. Höchst wahrscheinlich würde ich ihnen unterwegs begegnen, in welchem Falle sie den ganzen Weg zum Lager zurück springen sollten. ‚Betet inzwischen für meinen Erfolg. Gott allein kann euch jetzt helfen!‘“

[435] Noch eine furchtbare Nacht im Walde; dann stieß man am 16. Dezember auf die heimkehrenden mit großen Haufen grüner Früchte beladenen Fouragierer, und nachdem der erste Hunger gestillt worden war, eilte man zurück in das Hungerlager, wo die Ersehnten willkommen geheißen wurden, wie nur Sterbende die Hand willkommen heißen können, welche sie retten will.

Es war im Januar 1889, als Stanley zum dritten Male am Albertsee eintraf; aber Emins Schicksal hatte sich inzwischen ganz anders entschieden, als man noch vor 8 Monaten hatte annehmen können. Die Aegypter hatten gemeutert, Emin und Jephson verhaftet, und obwohl der Einbruch der Mahdisten den Gefangenen die Freiheit wiederbrachte, so hatte doch Emin über keine Provinz und keine Truppen mehr zu verfügen. Nunmehr blieb nichts anderes mehr übrig als der Rückzug nach Sansibar. Emin war „gerettet“, aber von den wichtigen, vielleicht wichtigsten Nebenzwecken der Stanleyschen Unternehmung war keiner erreicht.

*     *     *

Wenn die Bewohner des offenen Landes, der Grasebene, sich nur bei der ersten Begegnung den Fremden feindlich gegenüberstellten und dann, von der furchtbaren Wirkung der Feuerwaffen belehrt, sich vor den Mächtigeren beugten, verhielten sich die Stämme des Waldes ganz anders. Bei den wiederholten Zügen der Karawane durch die Waldwildnisse hatten sie bald in Erfahrung gebracht, daß sie, da ihnen die Wildniß genau bekannt war, vor den Fremden im Vortheil seien. Sie konnten ihre vergifteten Pfeile aus dem Versteck abschießen, sie konnten einzeln Dahinziehende überrumpeln und niederstechen und machten von dieser Kriegslist gerade beim letzten Marsch Stanleys durch den Wald den ausgiebigsten Gebrauch.

Pfeilspitzen der Zwerge.

In hinterlistigen Ueberfällen zeichneten sich namentlich die Zwerge aus. Seit uralten Zeiten wurde das Innere Afrikas als die Heimath der Zwerge betrachtet. Seit den Reisen Schweinfurths im Monbuttulande weiß die Welt, daß die Pygmäen keine Sagengestalten sind. Schweinfurth hat den Zwergstamm der Akka entdeckt, die vermuthlich entfernte Verwandte der Buschmänner in Südafrika sind. Zwergstämme sind auch in Westafrika im Aschantilande, in dem Kongobecken als Waldnomaden gefunden worden, und man nimmt an, daß sie den Rest einer Urbevölkerung Afrikas bilden. Ihre Lebensweise ist überall die gleiche. Sie leben von der Jagd, benutzen vergiftete Pfeile, nomadisiren im Walde. Auch die Zwergstämme, denen Stanley begegnete, zeigen dieselben Charakterzüge, wie dies die nachfolgenden Stellen aus den Schilderungen Stanleys darthun:

„Zerstreut unter den Balesse zwischen Ipoto und dem Berge Pisgah im Lande zwischen den Flüssen Ngaiju und Ituri, einer Region, welche etwa zwei Drittel so groß ist wie Schottland, leben die Wambutti, die auch Batua, Akka und Basungu genannt werden. Diese Leute sind Nomaden von weniger als normaler Größe, Zwerge oder Pygmäen, leben in dem ungelichteten Urwalde und ernähren sich von Wild, das sie sehr geschickt zu fangen verstehen. Ihre Größe ist verschieden, von 90 cm bis 1,4 m. Ein ausgewachsener männlicher Zwerg wiegt 40 kg. Sie schlagen ihre Dorflager in der Entfernung von 3–5 km im Umkreise um einen Stamm der ackerbautreibenden Eingeborenen auf, von denen die meisten schöne kräftige Leute sind. Um eine große Lichtung haben sich vielleicht 8, 10 oder 12 getrennte Gemeinden dieser kleinen Leute niedergelassen, die insgesammt 2000–2500 Seelen zählen mögen. Mit ihren Waffen, kleinen Bogen und Pfeilen, deren Spitzen dick mit Gift beschmiert sind, und Speeren, tödten sie Elefanten, Büffel und Antilopen; außerdem graben sie Gruben und bedecken sie in geschickter Weise mit leichten Stöcken und Blättern, worauf sie Erde streuen, um die unten drohende Gefahr den ahnungslosen Thieren zu verbergen. Sie stellen schuppenartige Bauwerke her, deren Dach an einer Ranke hängt, und breiten Nüsse oder reife Bananen darunter aus, um die Schimpansen, Paviane und sonstige Affen hineinzulocken, worauf bei der geringsten Bewegung die Falle zufällt und die Thiere gefangen sind. Längs der Fährten der Zibethkatzen, Bandiltisse, Ichneumone und kleiner Nagethiere stellen sie Bogenfallen auf, welche dieselben beim eiligen Durchschlüpfen festhalten und erdrosseln. Außer dem Fleisch des geschlachteten Wildes benutzen sie die Haut, um Schilde herzustellen, den Pelz und das Elfenbein; ferner fangen sie Vögel der Federn wegen, sammeln Honig im Walde, bereiten Gift und verkaufen alles an die größern Eingeborenen für Bananen, süße Kartoffeln, Tabak, Speere, Messer und Pfeile. Der Wald würde bald von Wild entblößt sein, wenn die Zwerge sich nicht auf wenige Quadratmeilen um die Lichtungen beschränkten; sobald das Wild spärlich wird, sind sie daher gezwungen, nach andern Niederlassungen weiterzuziehen.

Sie leisten übrigens den ackerbautreibenden größer gewachsenen Klassen der Eingeborenen noch weitere Dienste. Sie sind vorzügliche Kundschafter und ermöglichen durch ihre bessere Kenntniß in den Wirrsalen des Waldes, rasch Nachrichten von dem Herannahen von Fremden zu erhalten und ihren angesessenen Freunden Mittheilung davon zu machen. Sie sind alle gewissermaßen freiwillige Posten, welche die Lichtungen und Ansiedelungen bewachen. Jeder Pfad, gleichviel nach welcher Richtung er geht, führt durch ihr Lager; ihre Dörfer beherrschen jeden Kreuzweg. Gegen fremde Eingeborene, welche angriffslustig sind, würden sie sich mit ihren größern Nachbarn vereinigen, und sie sind als Feinde keineswegs zu verachten. Wenn Pfeil dem Pfeil, Gift dem Gift und Verschlagenheit der Verschlagenheit gegenübersteht, dann wird vermuthlich diejenige Partei gewinnen, der die Zwerge beistehen. Ihre kleine Gestalt, bessere Weidmannskunst und größere Böswilligkeit würden sie zu sehr starken Gegnern machen, und das sehen die ackerbautreibenden Eingeborenen sehr gut ein. Manchmal dürften sie allerdings wünschen, daß die kleinen Leute sich sonstwohin begeben möchten, da die Bevölkerung der nomadischen Gemeinden oft zahlreicher ist als diejenige der Niederlassung und letztere für kleine und oft unzureichende Gegengaben an Pelzen und Fleisch den Zwergen freien Zutritt zu ihren Bananenhainen und Gärten lassen muß. Mit einem Wort, keine Nation der Welt ist frei von menschlichen Schmarotzern; die Stämme des centralafrikanischen Waldes haben viel von diesen kleinen wilden Leuten zu ertragen, welche sich an die Lichtungen heften und ihren Nachbarn schmeicheln, wenn sie gut genährt werden, sie aber sonst durch ihre Erpressungen und Räubereien bedrücken.

Die Zwerge stellen ihre Wohnungen, niedrige Bauwerke in Gestalt eines der Länge nach durchschnittenen eiähnlichen Körpers mit einer Thür von 60 bis 90 cm Höhe an jedem Ende, roh in einem Kreise auf, dessen Mittelpunkt für die Residenz des Häuptlings und seiner Familie, sowie als gemeinsamer freier Platz reservirt ist. Etwa 100 m vor dem Lager befindet sich auf jedem Pfade ein Schilderhaus, das gerade groß genug für zwei der kleinen Leute ist und auf den Weg hinausblickt.

Es giebt unter diesen Zwergen zwei Nationen, die sich an Hautfarbe, Form des Kopfes und charakteristischen Gesichtszügen durchaus unähnlich sind. Ob die Batua die eine und die Wambutti die andere Nation bilden, wissen wir nicht, jedoch unterscheiden sie sich ebensosehr voneinander wie der Türke von dem Skandinavier. Die Batua haben längliche Köpfe, lange, schmale Gesichter und röthliche kleine, nahe zusammenstehende Augen, die ihnen einen mürrischen, ängstlichen und zänkischen Blick geben. Die Wambutti haben ein rundes Gesicht, gazellenartige, weit voneinander entfernte Augen, hohe Stirn, die ihnen den Ausdruck unverhüllter Offenheit giebt, und sind von dunkelgelber Elfenbeinfarbe. Die Wambutti bewohnen die südliche, die Batua die nördliche Hälfte des geschilderten Distrikts und dehnen sich auf beiden Ufern des Semliki und östlich vom Ituri, südöstlich bis zu den Wäldern von Awamba aus.

Das Leben in den Walddörfern ähnelt demjenigen der ackerbautreibenden Klassen. Die Weiber verrichten alle Arbeit, indem sie Brennholz und Lebensmittel sammeln, kochen und den Transport der Güter der Gemeinde übernehmen, die Männer jagen und kämpfen, rauchen und besorgen die Politik des Stammes. Einiges [436] Wild ist stets im Lager, außerdem auch Pelze, Federn und Häute. Sie fertigen Fischnetze und Fallen für kleineres Wild an. Die Knaben müssen sich stets mit Bogen und Pfeil üben, da wir niemals eins der Zwergendörfer passiert haben, ohne mehrere ganz kleine Bogen und Pfeile mit abgestumpften Spitzen zu sehen; auch scheinen sie reichlichen Gebrauch von den Aexten zu machen, da die Bäume ringsumher viele Zeichen tragen, die nur von dem Probieren der Aexte herrühren konnten. Ferner fanden wir in jedem Lager einen Baum mit Einschnitten von mehreren Zoll Tiefe, sowie etwa 450 m von dem Lager eine Anzahl rautenförmiger Einschnitte auf der quer über den Weg liegenden Wurzel eines Baumstammes, die uns jedesmal anzeigten, daß wir uns einem Dorfe der Wambutti-Zwerge näherten.“

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Das sind nur einige Proben aus der Fülle der eigenartigsten Erscheinungen, welche uns Stanleys Werk aus dem centralafrikanischen Wald am Aruwimi mittheilt. Nicht minder merkwürdig sind die Abschnitte, die uns mit den Völkern des Graslandes bekannt machen und in denen das schneebedeckte Mondgebirge, Ruwenzori, der „Wolkenkönig“, geschildert werden. Der Naturforscher und der Geograph werden das neueste Werk Stanleys mit demselben Interesse verfolgen, wie sein berühmtes „Durch den dunklen Welttheil“. Die große Masse der Leser werden die zahlreichen Abenteuer, die Kämpfe und Gefahren fesseln, und der Kolonialpolitiker wird vieles über das Verhältniß Stanleys zu Emin daraus erfahren. Leider ist diese Seite des Buches, an und für sich in unseren Tagen die spannendste und wichtigste, keineswegs eine Glanzseite desselben; denn wir erfahren daraus, daß, ganz abgesehen von den verschiedenen politischen Zielen, persönliche Gegensätze die beiden hervorragenden Männer in solchen Zwiespalt versetzt haben, so daß der Gerettete zuletzt bedauerte, sich dem Retter angeschlossen zu haben, und sogar bei den Missionaren am Viktoriasee zurückbleiben wollte!

Stanley hofft selbst, daß alles, was in seinem Werke von Emin Pascha berichtet ist, „dem hohen Begriffe von unserem Ideal“ nicht den geringsten Abbruch thun werde. Es ist aber unmöglich zu verkennen, daß die Haltung seines Buches mit diesem Ausspruch schwer in Einklang zu bringen und eher geeignet ist, Emins Größe in den Augen Europas zu verdunkeln. Uns Deutschen ist diese Haltung nur ein Grund mehr, an der Bewunderung für unsern großen Landsmann standhaft festzuhalten, bis er selbst einst auftreten wird, um wie einst seine Provinz gegen seine Feinde so seinen Namen gegen die Angriffe seines Befreiers zu vertheidigen.




  1. Die autorisirte deutsche Ausgabe erscheint bei F. A. Brockaus in Leipzig. Sie umfaßt zwei Bände mit etwa 140 Abbildungen und 3 großen Karten.
  2. Vgl. auch die Karte Seite 17 dieses Jahrgangs.
  3. Zeichen für die Nachfolgenden, damit sie den Weg finden.
  4. Großblätterige Farrnkräuter, die auf Baumästen wachsen und Elefantenohren ähnlich sehen, weshalb sie von Schweinfurth Platycerium elephantotis benannt wurden.
  5. Die Manjema bewohnen das Land östlich von Nyangwé am oberen Kongo oder dem Lualaba. Von den Arabern unterworfen, bilden sie jetzt die Helfershelfer derselben bei der Verwüstung anderer Gebiete in Innerafrika.
  6. Eingeborene aus der Aequatorialprovinz, die Emin Stanley als Träger mitgegeben hatte.