Statt der Vorrede ein Gespräch.

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Statt der Vorrede ein Gespräch.
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aus: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung
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Erscheinungsdatum: 1785
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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[(2)]
S t a t t   d e r   V o r r e d e
ein Gespräch.
_______


     Theano. Hier bin ich wie eine Sibylle mit Ihren zerstreuten Blättern.

     Demodor. In denen Sie auch vielleicht nicht mehr als in den Sibyllinischen gefunden haben. Ich bin selbst begierig, zu sehen was Sie fanden und darüber Ihren Spruch zu hören.

     Theano. Den sollen Sie hören, mit dem Beding, daß Sie mich auch die Geschichte der Blätter selbst hören lassen: denn Sie wissen, Weißagung wird nur aus Geschichte. Hier sind zuerst – Blumen, [(3)] aus der Griechischen Anthologie gesammlet.

     Demodor. Also fielen Sie auf diese zuerst. Ihre Geschichte ist die: sie wurden frühe gesammlet.

     Theano. Desto besser, da sind uns die Blumen noch Knospen. Ich habe mich an der Griechischen Einfalt sehr ergötzt und mir that es wohl, ohne alle Kritik, ob dies kleine Geschöpf ein Epigramm oder eine Elegie oder gar nur ein Sittenspruch sei, den Ausdruck des Witzes, der Wahrheit und der Empfindung in ihnen zu genießen. In Uebersetzungen kannte ich nur sehr wenige davon; und mich dünkt, vor manchen andern, was übersetzt ist, waren diese Kinder der Flora einer Verpflanzung werth. Wie sind Sie zu ihnen gerathen?

[(4)] Demodor. Wie ich sage, unter so manchem Andern fiel mir auch die griechische Anthologie frühe in die Hände und gerade fiel ich auf Stücke, die mich, den Jüngling, sehr vergnügten. Ich kleidete verschiedne davon zuerst in gereimte Verse –

     Theano. Die ich doch nicht gefunden habe.

     Demodor. Sie sind längst vertilgt, weil ich fand, daß das Griechische Epigramm sich in den gereimten Vers selten so glücklich kleiden lasse, daß es nicht das Meiste von seiner Einfalt, von seiner Ründe oder von seinem naiven Witz verliere. Indessen verfolgte mich die Anthologie und fiel mir in anderen Zeiträumen wieder in die Hände.

[(5)] Theano. Ich begreife das wohl. Eine Blume zu pflücken ist man gerade in den Stunden der Erholung aufgelegt, wenn man langer gelehrten Arbeiten satt ist –

     Demodor. Und sich aufs neue zu ihnen stärket. Eben dies war mein Fall. Zwischen Arbeiten, auf Spatziergängen gefiel mir diese griechische Aue so wohl, daß ich, was mir gefiel, meiner Sprache eigen zu machen suchte und nur immer bedauerte, es nicht besser thun zu können. Manches der kleinen Dinge ward zwei-dreimal verflucht –

     Theano. Und zum drittenmal gerieth es gewiß am mindsten. Die Kleinigkeit eines Epigramms zu übersetzen ist oft eine schwere Kleinigkeit, zumal muß sie es seyn bei so verschiednen Sprachen. [(6)] Ich muß Ihnen sagen, Demodor, daß ich einige derselben in Prose übersetzt gelesen habe und oft nicht wußte, was man damit wollte.

     Demodor. Machen Sie es mit dem Epigramm jeder Sprache so, zumal mit dem, was auf naiver Empfindung oder gar einer Wortstellung beruhet; es wird derselbe Fall seyn. Oft mußte ich den ganzen Gedanken umkehren oder wenigstens für unsre Zeit anders wenden und so löslich ich dies that: so fürchte ich doch manchmal zur reinen Milch etwas Zucker hinzugethan zu haben, nur damit es in unsre Sprache paßte.

     Theano. Immerhin. Wir sind leider keine Griechen: o die Griechen! –

[(7)] Demodor. Und doch sind die meisten dieser geretteten kleinen Stücke nur aus sehr späten Zeiten. Geschmack und[WS 1] Sitten waren in ihnen schon sehr verfallen; indeß, die Sprache und ältere gute Vorbilder halfen auch dem Armseligen auf. Die Form war gleichsam gegeben.

     Theano. In den Anmerkungen über das Epigramm haben Sie mich darüber belehret.

     Demodor. Also sind auch diese Ihnen in die Hand gefallen. Lassen Sie sehen . . Die Abhandlung ist nicht ganz; der zweite Theil muß sich anderswo finden.

     Theano. Und gerade setzen Sie uns bei der Stelle nieder, wo man das Meiste, die Theorie des Epigramms selbst, erwartet.

[(8)] Demodor. Die Theorie einer Blume? was ist Ihrem Geschlecht daran gelegen?

     Theano. Wenn’s mir indeß daran gelegen wäre –

     Demodor. So werden Sie sie bei einem andern Blumenstrauß finden, der zu ihrer Entwicklung noch fehlte.

     Theano. Ich freue mich darauf; lieber aber wäre mirs, diese einzelnen Stückchen geheftet und –

     Demodor. Nur ja nicht, gedruckt zu sehen. Sie wissen, was ich von dieser schwarzen Kunst des ehrlichen D. Fausts halte. Denken Sie! eine gedruckte Blume.

     Theano. Und woher haben Sie sie denn? haben Sie sie nicht auch vom [(9)] Druck her? und sähen Sie es nicht gern, wenn Ihnen unvermuthet Meleagers vollständige Anthologie gedruckt zugesandt würde? Denken Sie also, daß es mehrern ungriechischen Seelen bei dieser verpflanzten kleinen Anthologie seyn kann, wie es Ihnen bei der ursprünglichen Anthologie wäre.

     Demodor. Der Seelen, glaub’ ich, giebts nicht viel.

     Theano. Rechnen Sie denn auf die Viele? Ei doch, ein Blumenstrauß für die Menge; der müßte sehr bunt und vollwichtig seyn. Ich dächte, Sie sähen von der Seite ganz weg und hingen das Kränzchen für mich und meinesgleichen auf; was soll es da noch etwa zehn oder zwanzig Jahre in Ihren Papieren? Auch suchen Sie mir fein den Verfolg derselben auf, [(10)] damit ich das Chaos zersprenge und die armen Gefangenen aus dem Kerker erlöse.

     Demodor. Worinn sie sich doch so wohl befinden. Aber weiter. Sie haben ja noch ein ganzes Archiv im Vorrath.

     Theano. „Ob die Musik oder die Malerei eine größere Wirkung gewähre? ein Göttergespräch.“ Davon die Geschichte.

     Demodor. Sie wird diesmal wie ein Mährchen lauten. Es war einmal eine Blumengesellschaft –

     Theano. Ein Mährchen also aus den Zeiten der Provenzalen.

     Demodor. Vielleicht. – In dieser Blumengesellschaft also wurden allerlei Spiele des Geistes getrieben und unter [(11)] andern auch Fragen aufgegeben. Diese Frage war Eine der ausgestellten und ich buhlte um den Preis –

     Theano. Den Sie kaum werden erhalten haben.

     Demodor. Also wenn Sie Blumenkönigin wären, würden Sie ihn mir nicht geben.

     Theano. Höchstens drei Viertheile des Preises; vorausgesetzt nämlich, daß jeder Richter in der Welt nach Vorurtheilen[WS 2] urtheilt und dies den Richterinnen noch viel mehr erlaubt seyn muß. Offenbar haben Sie, lieber Demodor, der Musik zu viel eingeräumet.

     Demodor. Das ich nicht wüßte.

     Theano. So etwas weiß der Liebhaber nie, aber der Philosoph sollte es [(12)] wissen. Sagen Sie mir: empfinden die Thiere Musik.

     Demodor. Allerdings manche, ob sie sie gleich nicht menschlich empfinden.

     Theano. Menschlich oder nicht: sie werden durch sie zu Gemüthszuständen aufgeregt, in die die Menschen vollkommner versetzt werden. Empfinden aber auch die Thiere etwas von dem Schönen nachgeahmter Formen?

     Demodor. Nein.

     Theano. Sie sehen also, daß die Musik einen Grad niedriger sei.

     Demodor. Darum wirkt sie aber auch um so stärker.

     Theano. Und wie wirkt sie? Sie regt das innre Organ der Empfindung auf; [(13)] aber sie giebt der Seele durchaus keinen bestimmten Gedanken. Vielmehr läßt sie ihr, so lange sie ohne Worte ist, frei, was sie will, aus dem Schatz der Erinnerung zu holen und macht also in verschiednen Gemüthszuständen auch sehr verschiedne Effekte. Die zeichnende Kunst bestimmt ihren Gegenstand aufs genaueste; also ist die Wirkung, die sie macht, viel mehr die ihre, eine bestimmtere, menschliche Wirkung.

     Demodor. Mich dünkt, das habe ich gesagt.

     Theano. Angedeutet wohl; aber nicht so scharf bezeichnet, wie ichs wünschte. Im Grunde aber freilich bleiben beide Künste in den meisten Stücken gegen einander ganz unausmeßbar.

[(14)] Demodor. Ausser sofern sie eine gemeinschaftliche Seele berühren und eben deßhalb halte ich, so wenig man mit allen Gegeneinanderstellungen je auf den Grund kommen wird, die Vergleichung selbst immer nützlich.

     Theano. Ich auch; und ich wünschte, daß Sie solche zwischen mehreren Sinnen und Seelenkräften nach einigen sonderbaren Erfahrungen, auf die ich Sie zu einer andern Zeit bringen will, anstellten. Jetzt lassen Sie das Gespräch gut seyn und ich wollte auch nicht, daß sie meine Anmerkung einschalteten: sie würde das Gemählde des Gesprächs vielleicht zerstören und Gesichtspunkte zum weitern Nachdenken haben Sie gnug angeleget.

     Demodor. In diesen andern Gespräch also werden Sie selbst, Theano, die [(15)] Schiedsrichterin seyn, wie es hier die Muse mit den schönen Haarlocken auf dem Schoos Apolls war. Was haben Sie weiter?

     Theano. Etwas, was mich nebst den Blumen am meisten vergnügt hat, Paramythien. Was bedeutet das Wort?

     Demodor. Paramythion heißt eine Erholung; und wie Guys erzählt, nennen noch die heutigen Griechinnen, die Erzählungen und Dichtungen, womit sie sich die Zeit kürzen, Paramythien. Ich konnte den Meinen noch aus einem dritten Grunde den Namen geben, weil sie auf die alte griechische Fabel, die Mythos heißt, gebauet sind und in den Gang dieser nur einen neuen Sinn legen.

     Theano. Ein schöner Name zu einer schönen Sache: denn Demodor, ich [(16)] wünschte, daß ich alle abgetragne, zu oft gebrauchte Mährchen der Mythologie wenigstens in einer neuen Absicht wieder kommen sähe. Ja mir wäre es lieb, wenn ich jeden schönen Gegenstand um mich her mit einer Dichtung aus alten Zeiten gleichsam zu verwandeln und neu zu beleben wüste.

     Demodor. Versuchen Sie es, Theano, und Sie werden unvergleichbar-schönere hervorbringen, als hier versucht sind. Wissen Sie, wie diese entstanden? Durch das Spiel eines Wettstreites auf einigen Spatziergängen.

     Theano. Es scheint, Sie setzen die Geschichte Ihrer Blumengesellschaft fort.

     Demodor. Ungefähr. Zwei Einsiedler gaben sich auf einigen ihren Spatziergängen Gegenstände auf, darüber eine Fabel, eine Dichtung oder was ihnen sonst [(17)] einfiele zu sagen. Ich war einer derselben, setzte auf, was gesagt wurde und so sind diese Erzählungen worden. In einigen werden sie noch Spuren des Wettstreites finden.

     Theano. Ein Spiel, das nicht jedem glücken wird.

     Demodor. Ihnen gewiß und ich sehe schon schöneren Paramythien über einige Ihnen geliebten Gegenstände entgegen. Niemals dichtet die Seele angenehmer als in solchen Spielen und ich wollte, wie schon Leßing bei der Aesopischen Fabel gesagt hat, daß man auch Kinder darinn übte. Die alte Mythologie würde ihnen durch diese Verwandlung lieb werden, ihre Erfindungskraft wird geschärft und ich habe Proben, wie naive Gedanken zuweilen aus der Seele eines Schooskindes der Natur, das alle Gegenstände [(18)] noch mit neuer frischer Liebe ansieht, lieblichen Knöspchen gleich, hervorkeimen. Da Sie diese kindliche Einfalt lieben, Theano, will ich Ihnnen zu einer andern Zeit einige derselben mittheilen.

     Theano. Und ich will versuchen, ob ich auch noch Kind seyn kann und mir einige Gegenstände jugendlich mahlen. Wenn nicht so Blumenreich –

     Demodor. Das Blumenreiche gehörte hier zu den Gegenständen; sonst wäre es ein Fehler. Je schöner Ihre Dichtung seyn wird, desto weniger hat sie des Schmuks nöthig. Sie kennen das griechische Epigramm:

     Schön bist du, Aglaja, die ringsum Alles verschönet,
          Schön im Schmucke; doch nackt bist du die Schönheit selbst.

[(19)] Theano. Hier sind Gespräche über die Seelenwandrung, die ich im deutschen Merkur schon gelesen habe.

     Demodor. Sie sind hier sehr verändert. Ich habe weggethan, was auch nur von fern dem Widerspruch einer neuern Meinung gleich sähe; Theages und Charikles sprechen für sich, unbekümmert, ob jemand der Jetztlebenden oder Todten mit ihnen gleich denke. Auch erinnere ich mich nicht, die Gründe, die Charikles anführt, in irgend einer Schrift beisammen angetroffen zu haben. Auf wessen Seite sind Sie, Theano?

     Theano. Sie wissen, daß ich mich gern der Unterdrückten annehme. So gern ich also Theages schwärme und seinen Gründen Gerechtigkeit widerfahren lasse: so dünkt mich, läßt der warme [(20)] Mann seinen Gegner doch viel zu wenig ausreden, Ich will mich also an ihm rächen und Charikles Parthei verstärken.

     Demodor. Durch ein viertes Gespräch, Theano? Das wäre recht in meinem Plan. Bemerken Sie, daß bis zu Ende hin Charikles mehr übertäubt als überzeugt ist und daß er nur so zu guter Letze d. i. zum freundschaftlichen Abschiede einen Ausweg findet. Setzen Sie also das Gespräch fort, Theano –

     Theano. Kein Gespräch; Sie sollen aber von meiner Rache nichts wissen, bis Sie sie sehen. Hier ist Liebe und Selbstheit. Das Stück hat aber mals einige Saiten meines Herzens getroffen, die sich so gern berühren lassen; ich habe Ihnen dafür schon gedanket. Aber Demodor, Sie werden plötzlich so nachdenkend –

[(21)]      Demodor. Nichts, Theano.

     Theano. Hat mein Gespräch Sie auf einen dunkeln Weg gebracht?

     Demodor. Nicht Ihr Gespräch, aber die Sache selbst; und die Einöde ist angenehm-traurig. Ich dachte den verschiednen Zeiten, Gemüthsfassungen und Situationen nach, in denen ich diese einzelnen, viele Jahre hin von einander entfernte Stücke aufgesetzt habe. Wo sind sie? sie sind wie ein Traum verschwunden. Wie Licht und Schatten streifen Phantasieen über den Weg unsres Lebens und wir –

     Theano. Wir bleiben.

          Leid und Freude, sie gehen oder wir gehn sie vorbei.

sagt das griechische Epigramm. Ich will mirs merken und das, was in [(22)] mir bleibt, immer mehr von dem Vorübergehenden zu unterscheiden suchen. So habe ich mir noch verschiedne ausgezeichnet, die mir hie und da gute Wegweiserinnen seyn werden. Sehen Sie diese Arbeiten auch so an, als Denkmale und Erinnerungen aus früheren Zeiten und überlassen Sie sie nun dem Shaftesburi’schen Amanuensis[1]: sie werden manchem wohlthun.

     Demodor. Meinen Sie, Theano?


  1. his Amanuensis (for so he calls his Bookfeller or Printer. Characteristicks Vol. II. Misc. 2. I.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage nnd
  2. Vorlage: Vourtheilen