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Stendhals Reise in Italien

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Titel: Stendhals Reise in Italien
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aus: Das Ausland, Nr. 48–49. S. 189–190, 195–196.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[189]

Stendhals Reise in Italien.

[1]

Die Berichte des Herrn von Stendhal aus den Salons von Mailand, Bologna, Florenz, Neapel und Rom, waren für uns von um so höherem Interesse, als sie uns, vom Mittelpuncte des gesellschaftlichen Lebens aus, mit der Sitte und dem Geist des italienischen Volks, seinen Vorzügen und Mängeln bekannt machen. Mit der Wahrheit einzelner Thatsachen darf man es bei dem Verfasser nicht zu genau nehmen, wie er z. B. in Ulm (seine Reise geht von Berlin über Ulm und München nach Mailand) den Schwarzwald, und im September Tannen sieht, deren düsteres Grün einen schönen Contrast zu der blendenden Weiße des Schnees bildet; daß ihm aber die Schneepartien kein Vergnügen mehr gewähren, wird man ihm glauben, wenn er anders wirklich den Feldzug nach Moskau mit gemacht hat, wie er versichert. Abgesehen von dieser historischen Leichtfertigkeit findet man in dem Verfasser einen jungen wohlunterrichteten Franzosen, höchst liebenswürdig, voll munterer Laune, einen feinen Beobachter und Weltkenner, dessen Urtheile über Deutsche und Engländer viel Absprechendes und Einseitiges enthalten, dem es aber in Italien so wohl gefällt, daß er sein Paris darüber fast vergißt. Man darf indessen nicht meinen, daß ein Franzose von der Generation der letzten Jahrzehende alle Dinge von der leichten Seite auffaßt; der ernste Charakter der Revolution hat aus den zierlichen Geschöpfen der Periode Ludwigs XV denkende Männer gemacht. Bei aller Vorliebe des Verfassers für die Italiener ist er kein blinder Verehrer und Lobhudler derselben, so wie ihn auch das Land mehr von Seiten seines jetzigen Zustandes, als seiner großen historischen Erinnerungen anzieht, während die meisten Reisenden der Gegenwart fremd, und folglich gegen die Lebenden ungerecht sind, indem sie überall nur eine untergegangene Heroenwelt anstaunen, gegen welche das jetzige Menschengeschlecht klein und zwergartig erscheint. Wir begleiten Herrn von Stendhal, und werden ihn meist selbst reden lassen. Das Theater della Scala in Mailand ist das Propyläon, durch welches er uns in die Herrlichkeiten Italiens einführt. Hier, sagt er, befindet man sich im Salon der Stadt; außerhalb desselben giebt es keine Gesellschaft. „Wir sehen uns in der Scala!“ heißt es bei allen Gelegenheiten. Das Theater faßt 3500 Zuschauer; keine einzige Lampe hängt im Saal; die ganze Beleuchtung geht von der Bühne aus. Die Einbildungskraft kann sich nichts größeres, prächtigeres, imposanteres, überraschenderes vorstellen; wer einmal hier gewesen, dem kann kein Theater der Welt mehr gefallen; es ist für die Musik gemacht. Man kann in Mailand zwei, dreimal (!) nach einander Mozart’sche Opern hören, und die Musik von Solliva erinnert in jedem Augenblick an Mozart. Aber seine Testa di Bronzo ist ein Werk des Genies: diese Wärme, dieses dramatische Leben, diese Sicherheit in allen Wirkungen konnte ihm Mozart selbst nicht geben (?); als ein Bewunderer Mozarts trägt er seine Farbe; hätte er wollen Cimarosa seyn, so wäre er ein neuer Cimarosa. Die Musik ist die einzige Kunst, die noch in Italien lebt, die noch etwas von jenem schöpferischen Feuer besitzt, welches die Brust eines Dante, Raphael, Cimarosa durchdrang.

Canova und Alfieri sind isolirte Erscheinungen, wie sie die Urkraft der Natur unter diesem schönen Klima zuweilen noch jetzt hervorbringt. Alle Genüsse der Seele, außer denen der Musik, sind eingeengt; das Mißtrauen erstickt die Freundschaft; man stirbt aus Schwermuth, wenn man Bürger ist; nur die Musik und die Liebe ertragen keinen Zwang. Die Liebe ist die einzige Leidenschaft, in welcher sich die Falten des italienischen Charakters enthüllen; Ungezwungenheit, Offenheit, Frohsinn sind in ihrem Gefolge; die Musik ist die Kunst, deren Wirkungen man auf den Gesichtern sieht. Fragt man die Italiener, warum sie nicht schreiben, so sagen sie: „Denken ist schon gefährlich; schreiben wäre mehr als Wahnsinn. Hier diese herrliche, wollustathmende Luft: soll man sich der Gefahr aussetzen, daß man in die Eisfelder von München oder Berlin unter diese traurigen Menschen verbannt wird, die kein Glück kennen als ihre Orden und sechszehn Ahnen? Unser Klima ist unser Schatz!“

Italien bekommt keine Literatur, ehe es zwei Kammern bekommt: bis dahin ist alles falsche Bildung, Akademie-Literatur: ein Alfieri hat kein Publikum; zu dem was er war, hat ihn sein Genie gemacht, nicht Italien. Unwissenheit, Faulheit, Wollust herrschen noch zu sehr unter den jungen Italienern, als daß nicht eine lange Zeit vorübergehen müßte, bis man sich dort zur Höhe der Civilisation erhebt. Napoleon führte dahin, vielleicht ohne es selbst zu wissen; er hat der Lombardei und der Romagna den persönlichen Muth gegeben. Die Schlacht bei Raab wurde durch die [190] Italiener gewonnen. Napoleon hat Italien moralisirt. Die Erziehungsanstalten für junge Frauenzimmer, die er zu Verona und Mailand unter der Leitung der Madame Delort errichten ließ, hatten den wohlthätigsten Einfluß auf die guten Sitten (?). Unter seiner vierzehnjährigen Diktatur ist Mailand die intellektuelle Hauptstadt Italiens geworden, da es vorher kaum durch etwas anders so sehr, als durch seine Gourmandise berüchtigt war. Es wird hier zehnmal mehr gedruckt, als in Florenz, und in den Straßen begegnet man noch einigen hundert vormaligen französischen Beamten, die sich als Männer von Geist vor ihren Landsleuten auszeichnen. Sie spielen die Rolle der Bonapartisten Frankreichs: ihrer Meinung nach brauchte Italien noch zwanzig Jahre des Despotismus und der Gendarmerie Napoleon’s, bis es für zwei Kammern reif würde. Gegen das Jahr 1808 war es in Italien guter Ton, Bücher zu haben. Die Söhne dieser Beamten gehören zu der Elite der italienischen Jugend. Man sehe diese jungen Lombarden in Pavia, wo sie studieren, und man wird denselben Geist, auf italienisch, der in der französischen Jugend ist, auch in ihnen, erkennen. „Welcher Unterschied zwischen diesen jungen Leuten und den Burschen von Göttingen! Die Studenten, welche die Straßen Pavia’s anfüllen, haben nicht die Rosenfarbe der Studenten von Göttingen: ihr Auge, man sieht es, verliert sich nicht in jenes contemplative Schwelgen im Reich der Chimären (?). Sie sind mißtrauisch, schweigsam, menschenscheu; ein eingedrückter Hut auf einem ungeheuern schwarzen Lockenbau aufgepflanzt, bedeckt eine finstere Gestalt, deren olivenfarbene Blässe die Abwesenheit der Behaglichkeit und des Leichtsinns junger Franzosen verkündet. Erscheint eine Frau in der Straße, so nimmt der düstere Ernst dieser jungen Patrioten alsbald einen andern Ausdruck an. Eine elegante Pariser Schöne, welche hieher käme, geriethe in Todesangst; sie hielte alle dieses jungen Leute für Räuber. Das ist es eben, warum ich sie liebe. Nichts von affektirter Süßlichkeit, Lustigkeit, noch weniger Sorglosigkeit. Ein junger poco curante käme mir wie ein Herr vom Serail vor. Der Haß gegen die Tedeski unter den Studirenden zu Pavia ist wüthend. Derjenige genießt einer besonderen Achtung, der Nachts in einer abgelegenen Straße einem jungen Deutschen ein paar Streiche versetzen, oder ihn, wie sie sagen, laufen machen kann. Diese jungen Leute kennen ihren Petrarcha auswendig, und zum wenigsten die Hälfte von ihnen macht Sonnette. Sie sind bezaubert von der leidenschaftlichen Stimmung, die in dem platonischen und metaphysischen Pathos Petrarcha’s sich nicht immer verbirgt.“ Das Mittelalter hatte Italien durch den Haß der Menschen gegen die Menschen, der Städte gegen die Städte vergiftet. Das Heer, welches Napoleon schuf, wo der Bürger von Reggio und Mailand, der düstere Novarrese und der muntere Venetianer oft in derselben Kompagnie dienten, hatte zur Folge: einmal die Bildung einer neuen Sprache, wo der Dialekt der Romagna, welche die tapfersten Soldaten geliefert hatte, vorherrschte; zweitens das Verschwinden jenes Hasses und des Patriotismus der Vorzimmer. – Jede Regierung in Italien hat dem Italiener gegenüber ein schwieriges Verhältniß: seit Jahrhunderten ist man gewohnt, den Souverän für einen Feind zu betrachten, dem man dient, weil er bezahlt, aber dem man nie mit Eifer dient. So ist namentlich der Mailänder ziemlich republikanisch gesinnt: indessen hatte Napoleon verstanden, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, wiewohl mehr die des Adels und der Reichen; Eugen aristokratisirte die Maßregeln seines Stiefvaters fast mehr als politisch war. Doch gilt das Kreuz der eisernen Krone, das Napoleon bewilligte, noch jetzt für den wahren Adel, weil man bei Ertheilung desselben streng auf die Würdigkeit sah. Ein Maire war in die Ordenspromotion aufgenommen. Anonyme Briefe benachrichtigten den Vicekönig von einer Niederträchtigkeit, die jener früher begangen hatte, die man aber nicht beweisen konnte; auf den einfachen Verdacht hin, gab man dem Maire in der Stille 20,000 Franken, und behielt das Kreuz zurück. Dieses Beispiel wirkte auf die Moralität. In Florenz glänzte das System Napoleons mit allen seinen Vortheilen. Die kleinen Plackereien der französischen Verwaltung waren nirgends sichtbar als in den sogenannten Droits-réunis. Das französische Gesetzbuch, ein Werk der Treilhard, der Merlin, der Cambacérès folgte hier auf die grausamen Gesetze Carl V und Philipp II. In der Lombardei ist der theokratische Einfluß gebrochen seit Joseph II, in Venedig seit Fra Paolo. In Mittelitalien ist am meisten Unsicherheit für die Literatur; Galilai (1633), Giannone (1758), Pellico (in unsern Tagen) büßten im Gefängniß. Nirgends jedoch findet man dieses Heer bezahlter Schriftsteller, das in andern Ländern die Meinung des Volks betrügt. Der italienische Gelehrte arbeitet nach seiner Ueberzeugung; er läßt aber, aus Furcht vor Verbannung oder Gefängniß, selten etwas drucken, so leicht es ihm auch wäre, dieß zu Brüssel unter falschem Namen zu thun. Der Italiener liest nicht wie der Franzose zum Behuf jener pläsanten Conversation, die auf dem Boden des Hoflebens entspringt; wie man eine Leidenschaft für Voltaire und La Bruyêre haben kann, ist ihm unbegreiflich; er liest mit ganzer Seele, und kein Wort darf ihm nur halb verständlich bleiben, so daß auch der Schriftsteller für die ganze Aufmerksamkeit des Lesers schreibt.

[195] Die Franzosen verdanken ihrer Galanterie, ob sie jetzt gleich ziemlich aus der Mode gekommen ist, die Leichtigkeit des Stils; aber in Italien ist die Liebe eine sehr ernsthafte Sache, welche man, fast wie in Paris Börsengeschäft, mit der größten Wichtigkeit behandelt. Die Damen lesen keine Romane, wie in den romantischen Ländern, Deutschland, Frankreich u. w. w. Dieses Nichtvorhandenseyn einer andern Lektüre als der strengen Geschichte ist einer der Hauptgründe, warum die Unterhaltung mit italienischen Damen so interessant ist. Da wo es eine neue Heloise oder irgend einen Moderoman gibt, wird eine Dame immer davon etwas darstellen, was sie nicht selbst ist; manchmal ist die zärtlichste Unterhaltung belesener Damen nichts als ein Flickwerk aus den Romanen, die sie bewundern: ihre Gefühle sind Phrasen, die ihnen erhaben geschienen. Die Italienerin erhält ihre Natur rein von solchen angelernten tausend Sachen, womit eine verschrobene Bildung prunkt. Die Lebhaftigkeit eines jungen Parisers, Mitglieds der Gesellschaft für die christliche Moral, Verfassers einiger deliciösen Gedichte, der mit feinem Witz unter allen Arten von literarischen Anspielungen herumhüpft, der in Einem Athem von Homer, von der Staatswirthschaft, von Bolivar, von Raphael, von der Chemie, von Canning, vom Handel der Römer, vom Vesuv, vom Kaiser Alexander, von Erasmus, von Paisiello und von tausend andern Dingen spricht, würde bei einer Italienerin weniger Glück machen, als ein Unterlieutenant aus dem mittäglichen Frankreich. Wenn der Italiener spricht, so ist er gedrängt, wie Tacitus, gerade das Gegenstück zum Franzosen; die Hälfte seiner Darstellung liegt in Gebehrde und Auge; wenn er aber schreibt, will er schöne toscanische Redensarten machen, und dann ist er geschwätziger, als Cicero; er läßt nirgends eine Ellipse gelten, als in der heftigen Leidenschaft, und doch ist trotz alles Strebens nach Deutlichkeit die italienische Prosa nichts weniger als leicht verständlich – eine Erscheinung, die sich nur aus dem Tiefsinn des Volks erklären läßt. Es hat Italien in keiner Periode seiner Geschichte an denkenden Männern und an großen Gelehrten gefehlt, und einige der größten Italiener gehören zu den größten des Menschengeschlechts. Das Herrlichste in der Natur, wie das Herrlichste in der Kunst giebt Ein Boden. Der Comersee, sagt ein Italiener, ist in der Natur, was die Ruine des [196] Coliseums in der Architektur, der heilige Hieronymus des Correggio in der Malerei ist. Italien ist das Land, das ein zweifaches klassisches Alterthum besitzt, das zweite fast geistig größer, als das erste: als die Heimath der Scipionen kann es gewiß auch auf seine Dante, Raphael, Machiavelli stolz seyn. Sollte die neuere Zeit keine Namen aufweisen? Zu bitter spricht sich Alfieri aus, wenn er sagt: „Auf dem Gipfel seiner Verworfenheit und Nichtigkeit zeigt das jetzige Italien selbst in den ungeheuren Verbrechen, die jeder Tag begehen sieht, wie reich es mehr als jedes andere Land in Europa an feurigen und fruchtbaren Geistern ist, denen, um großes zu tun, nichts fehlt, als ein Schlachtfeld und Mittel.“ Dieses Beweises aus der Kraft des Bösen bedürfen wir nicht. Ist auch der Abstand des Volks und der gebildeten Klassen in Italien, wie in Spanien und Portugal, so unermeßlich, daß man einen neapolitanischen Bauer mit einem Afrikaner oder einem Südseeinsulaner vergleichen darf, wie sich Herr von Stendhal wirklich dieses Gleichnisses bedient; ist auch die Gleichgültigkeit gegen Verbrechen, wie der Meuchelmord, so gräßlich, daß der Bandit von seiner That bloß als von einem Unglück reden kann; zeigt sich auch der Aberglaube in seiner lächerlichsten Gestalt, wenn z. B. ein Marquis, dem es vor dem Teufel bange ist, sich den Mund einsegnen läßt, damit der leidige Gast nicht durch diese Pforte hineinkomme, oder wenn die Furcht vor dem Behexen durch den Blick[2] manche Leute, denen man diese Eigenschaft zuschreibt, aus der Gesellschaft verbannt; so giebt es auf der andern Seite Vorzüge des Geistes und des Charakters, die dem Italiener einen bedeutenden Rang unter den Völkern Europa’s bestimmen. An den Mailändern rühmt der Verfasser die schöne Harmonie der Sitten, die Natürlichkeit in den Manieren, die Gutmüthigkeit, die große Kunst, glücklich zu seyn, die hier ausgeübt werde, ohne daß die Leute wissen, daß dies eine Kunst, ja die schwerste Kunst sey. Der Ton der Gesellschaft gleiche dem Stile Lafontaines. Die Florentiner nennt er die polirtesten unter den Menschen, voll sorgfältiger Aufmerksamkeit auf alles, was schicklich ist, sicher und bestimmt im Benehmen. In Bologna ist viel Freiheit der Rede: dadurch gewinnt der Charakter an Offenheit, der Geist an Feuer und Originalität. Zu thun was vernünftig ist, schämt man sich in Italien nicht, wie in manchen Ländern, wo die Ehre à la Louis XIV zu sonderbaren Vorurtheilen Anlaß gegeben hat; hier macht z. B. ein Offizier, ohne daß ihm dieß in seiner Reputation schadet, auf einem Theater den Buffo. Dagegen ist in andern Dingen der Italiener delikater als der Franzose: dieser macht seine Epigramme auf die Narrheit, jener wendet sich davon weg. Reichthum ohne Bildung ist in Italien verachtet, während sich in Paris ein Commis, der zu der Bourgeoisie gehört, ziemlich in Positur setzen darf. Der Schriftsteller kann bei seinen Geistesprodukten auf keinen Geldgewinn, wohl aber auf die Bewunderung des Volks rechnen. Man zahlt in Italien die Künstler schlecht, aber ganz Mailand hat einen Monat lang von der Francesca da Rimini gesprochen. Silvio Pellico hätte aus Mangel an Vermögen seine Tragödie nicht drucken lassen können, wenn ihm nicht fremde Großmuth zu Hülfe gekommen wäre. In Paris erwirbt sich ein Mann von Geist des Monats 3000 Franken. Die Mittelmäßigkeit wird nicht geduldet; der Italiener verlangt Kraft, Einfachheit, Natur, keine frostige akademische Nachahmung; das gesuchte affektirte in der Kunst ist ihm so verhaßt als jenes Ceremoniell der Gesellschaft, womit sich die Leute vom guten (französischen) Tone quälen. Im Sinn für das Schöne, in jener Entzündbarkeit des Gemüths, das sich dem Eindrucke freudig hingibt, hat der Marquis vielleicht nicht viel vor dem Bauer voraus. Noch besitzt Italien seine Dichter, Geschichtschreiber und Philosophen. Nichts ist so naiv als ein italienischer Dichter: Grossi, Pellico, Porta, Manzoni, Monti. Wenn man einen nordischen Dichter liest, so braucht man seine Person nicht zu kennen: er spricht nicht selbst, sondern die Muse. Bei Porta und Grossi aber ist es gerade ihre Individualität, welche ihre lieblichen Gedichte noch bezaubernder macht. Monti ist der Dante des achtzehnten Jahrhunderts: er hat sich auch nach Virgil gebildet. Dem armen Pellico hat das Gefängniß dichterische Muße gegeben. Manzoni, devot wie la Mennais, ist in der Lyrik ein Byron. Beccaria, Verri, Parini, Visconti und Gioja sind die Philosophen Italiens. Die beiden erstern begründeten eine neue philosophische Schule in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, sehr verschieden von der gleichzeitigen in Frankreich: beschäftigt mit den ernsten Gegenständen des Lebens war es ihnen um keine Schönheiten des Stils, nicht um den Beifall der Salons, und den Ruhm der Schriftsteller des Tages zu thun. Veccaria war auf dem Puncte, in Paris Mode zu werden wie Hume, als er sich diesem Glück entzog, und nach Mailand zurückeilte, weil er befürchtete, seine Geliebte möchte ihn vergessen. Verri, der Freund Beccarias, hat die Geschichte Mailands im großen Geist der Alten geschrieben. Man findet darin nicht jenes Schwanken in Begriff und Urtheil, wie in so vielen französischen Werken des neunzehnten Jahrhunderts: Verris Geschichte ist ein kühnes, mit fester Hand gezeichnetes Gemählde. Wer Tamburini’s Vera idea della Santa Sede nicht gelesen hat, kennt Rom nicht. Auch Pignotti, der Geschichtschreiber Toscanas, gehört in diese Reihe. – Wenn man von der italienischen Literatur spricht, so kann von Neapel kaum die Rede seyn: denn dort haben sie bei der Katastrophe von 1799 Alles gehängt, was Geist hatte. Den Hang zur Satire haben sich indessen selbst die Neapolitaner nicht nehmen lassen, und sie besitzen in ihren Marionetten ein treffliches Mittel, diesen Hang zu befriedigen; wo dagegen die Lage der Menschen weniger genirt ist, da sind Charakterrollen wie Dom Procolo und Cassandrino, ersterer der Vater oder Ehemann einer großen Sängerin, letzterer bei den Römern ein alter Geck in den Manieren eines Abbé, der sich in jede junge Frau verliebt, eine reiche Fundgrube für den nationalen Witz des Italieners.

  1. Rome, Naples et Florence par M. de Stendhal, Trois. edit.
  2. Die Jetatura, das böse Auge, auch bei den Neugriechen.