TBHB 1943-01-17

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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-01-17
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: Sonntag, 17. Januar 1943.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 17. Januar 1943
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Einführung[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1943-01-17 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 17. Januar 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge[Bearbeiten]

[1]
Sonntag, 17. Januar 1943.     

[1] Irak hat uns den Krieg erklärt! -

Inzwischen sind wir im Osten auf der ganzen Linie von Nord bis Süd immer noch in der Verteidigung gegen nicht nachlassende Angriffe der Russen. Nach unseren Berichten werden diese Angriffe stets unter sehr hohen Verlusten der Russen abgeschlagen, die dabei besonders ungeheuer hohe Panzerverluste haben. Wo kommen aber diese ungeheuer vielen Panzer her – nachdem wir doch schon so unzählig viele davon erbeutet u. vernichtet haben? Im Herbst 1941 sagte der Führer: von solchen Verlusten kann sich keine Armee mehr erholen! – Die Russen scheinen [2] sich aber doch erholt zu haben, – sie müssen weit im Osten eben ungeheure Fabriken haben, von denen bei uns vor Kriegsausbruch kein Mensch eine Ahnung gehabt hat. Es ist zu fürchten, daß die Leute bei uns noch von vielem anderen auch keine Ahnung gehabt haben, – u. vielleicht noch heute keine Ahnung haben!

     Herr Dr. Goebbels hat im Reich seinen üblichen Leitartikel erscheinen lassen: „Der totale Krieg“. – Daß wir einen „totalen Krieg“ führen, das war uns einfachen Menschen schon von Anfang an gesagt worden, aber nun soll er offenbar noch totaler werden! Herr Goebbels wendet sich mit einer befremdenden Gereiztheit gegen einen „gewissen kleinen Teil unseres Volkes“, der noch immer nicht die „unausweichliche u. harte Notwendigkeit“ dieses „Volkskrieges“ einsehen will. Obgleich er von einer „kleinen Minderheit“ spricht, hält er es doch für nötig, einen derartig geharnischten Sonderartikel gegen diese Leute zu schreiben, – obgleich er selbst zugibt, daß ein solcher Artikel Wasser auf die Mühle der Feindpropaganda abgeben wird. – Die Weisheit eines solchen Verfahrens bleibt mir verschlossen. Herr G. schreibt: „Wer diesen Krieg verliert, der wird von der Bühne der schicksalbestimmenden Mächte abtreten müssen; wer ihn gewinnt, der ist damit auch endgültig Herr seines eigenen Schicksals geworden,“ – u. er fährt fort, indem er die Meinung äußert, als hätten wir diese Sachlage noch nicht im vollen Umfange erkannt. – Oh doch, Herr Dr. G. – wir haben das längst erkannt, vielleicht sogar viel früher, als Sie selbst, – u. vor allem wäre es sehr viel besser gewesen, wenn der Führer diese Sachlage früher erkannt hätte. Dann wäre dieser Krieg vielleicht nie ausgebrochen. Hitler sagt in „Mein Kampf“ über die Orientierung der Ostpolitik, daß er aus zwei Gründen das Verhältnis Deutschland – Rußland besonders behandeln müsse, 1): weil es sich um die vielleicht entscheidendste Angelegenheit der deutschen Außenpolitik überhaupt handele, u. 2): weil diese Frage der Prüfstein sei, ob seine politische Fähigkeit, klar zu denken u. richtig zu handeln, ausreichend sei, – wobei er allerdings die Verantwortung etwas von sich persönlich abschiebt u. nur von der politischen Fähigkeit der NSDAP spricht. Er meint, daß ihm dieser zweite Punkt zuweilen bange Sorge mache, – – u. offenbar mit Recht! – Ausgangspunkt seiner Politik ist danach der Gedanke, daß nur ein genügend großer Raum auf der Erde einen Volke die Freiheit des Daseins sichern könne. – Ich nehme an, daß Herr Hitler diesen Satz auch für alle anderen Völker als gültig gelten läßt. – Nachdem Herr H. feststellt, daß wir bei Abfassung seines Buches keine „Weltmacht“ mehr gewesen wären, fährt er fort, daß es die große Mission der Nazis sei, aus uns wieder eine Weltmacht zu machen, d. h. neuen Grund und Boden durch Krieg zu erobern. – Nachdem er es ablehnt, sich etwa mit den alten Grenzen von 1914 zu begnügen, kommt er zu dem Schluß: „Deutschland wird entweder eine Weltmacht, oder überhaupt nicht sein!“

     Nachdem Hitler so seine Absicht, einen Krieg zu entfesseln, klar enthüllt hat, erklärt er genauerhin, daß er den alten Germanenzug vom [3] Osten nach Süden u. Westen abstoppen werde (was übrigens seit einigen Jahrhunderten bereits geschehen war) u. daß er den Blick nach dem Lande im Osten wenden wolle. Er nennt das: „Bodenpolitik der Zukunft,“ u. bemerkt dabei garnicht, wie er durch diese Schwatzhaftigkeit seine Karten aufgedeckt hat, ehe das Spiel überhaupt begonnen hatte. Er sagt schlicht u. einfach: „Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund u. Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland u. die ihm untertanen Randstaaten den denken.“

     Heute wundert sich Herr Hitler, daß die Russen das anscheinend auch gelesen haben – u. sich darauf eingerichtet haben!

     Herr H. verrät nun auch seine Ansicht, warum wir das mächtige Rußland besiegen würden. Er meint, der Bolschewismus habe die Russen ihrer Intelligenz beraubt u. grade diese sei germanischer Herkunft gewesen. Jetzt sei bloß noch minderwertiges Slaventum vorhanden u. damit sei das russische Reich so wie so reif zum Zusammenbruch. Natürlich sind auch die Juden an diesem angeblichen Zusammenbruch des minderwertigen Slaventums schuld, das ist selbstverständlich. – Es scheint, als ob uns gegenwärtig das Slaventum seine „Minderwertigkeit“, klar u. deutlich vor Augen führte!

     Herr H. entwickelt dann seinen schönen Plan, sich mit England gegen Rußland zu verbünden, da er offenbar dem deutschen Volke doch nicht allein einen Sieg über das minderwertige u. schon zusammengebrochne Slaventum zutraut. Er tut dabei so, als käme es beim Abschluß eines Bündnisses mit England nur auf uns an u. er schiebt Bedenken dagegen ganz naiv beiseite, indem er meint, daß den Nazis ein solches Bündnis selbstverständlich gelingen würde. – Nun, es ist Herrn H. eben nicht gelungen. Herr H. hat sich offenbar niemals überlegt, welches die Ursachen der Rivalität zwischen England u. Deutschland sind. Diese Ursachen wollte – u. konnte er garnicht beseitigen, aber er bildete sich ein, England würde auf alles verzichten, wenn er diesem Lande seine treudeutsche, biedere Hand erst einmal reichen würde. Er hat sich hier ebenso getäuscht, wie er sich in der Einschätzung Rußlands getäuscht hat, – u. auf Grund dieser Irrtümer hat er uns in diesen elenden Krieg geführt, aus dem wir niemals als Weltmacht hervorgehen werden. Also wird Deutschland „nicht sein“, wie Herr H. gesagt hat. – Und das merken die Herren nun allmählich u. deshalb fangen sie an, von einem totalen Krieg zu reden u. dem Volk den Teufel an die Wand zu malen für den Fall der Niederlage.

     Noch an einer anderen Stelle seines Buches führt Herr H. solche Gedanken spazieren. Er meint, daß, wenn man Grund u. Boden haben will, dies nur auf Kosten Rußlands geschehen könne, aber, fügt er hinzu, daß man dazu England als Bundesgenossen haben müsse. Dazu dürfe kein Opfer zu groß sein, man müsse auf Kolonien u. auf Seegeltung verzichten u. man dürfe den britischen Industrie keine Konkurrenz machen u. auf jeden Welthandel verzichten. Nun gut, – aber die Nazis haben seit ihrer Machtergreifung [4] das Gegenteil davon getan u. haben sich dazu noch als ihren Vertreter in London Herrn von Ribbentrop bestellt, der nach Möglichkeit das noch vorhandene Porzellan zertrampelt hat. Dafür ist dieser unfähige, aber gerissene Handelsvertreter heute unser Außenminister. –

     Wie aber werden wir aus dieser Sache wieder herauskommen? Einen eindeutigen Sieg wird es, wie ich glaube, jetzt so wenig geben wie im ersten Weltkriege, selbst wenn Rußland seinen Vormarsch noch weiter fortsetzen sollte. Ein Ende wird erst eintreten, wenn einer der Beteiligten schlapp macht. Der Kriegseintritt Iraks ist ein böses Zeichen u. rückt die Gefahr eines Kriegseintritts der Türkei nahe. Bulgarien u. Rumänien sind dann schwer gefährdet. Schließlich wird der Aufmarsch der Amerikaner in Afrika ja auch so weit sein, daß sie uns von dort endgültig verdrängen u. dann ist Italien nicht weniger gefährdet. Dort liegen also die schwierigen Punkte u. von dort her wird wahrscheinlich der Zusammenbruch erfolgen.

Abends.

     Heute abend gab der Heeresbericht endlich zu, daß Wilikije Luki von den Russen erobert worden ist. An allen übrigen Stellen der Front, auch bei Stalingrad, wurden natürlich alle Angriffe der Russen abgewiesen. –

     Zwischen 7 u. 8 Uhr kamen englische Flieger in sehr großer Zahl über das Dorf geflogen, man hörte noch bis gegen 10 Uhr Fliegergeräusch. Eine Bombe wurde irgendwo in der Nähe abgeworfen. Bei klarem Mondschein war der Himmel kreuz u. quer bedeckt mit Kondensstreifen. Gestern kamen sie auch schon zur selben Zeit, doch blieben sie nicht so lange, sie haben lt. Heeresbericht in Berlin Bomben geworfen. Die Rostocker Flak schoß heute abend, aber nur schwach. –

     Was mag in Stalingrad sein! – Die armen Jungens!

     Gestern abend war ich beim Frisör. Die Bude war wie stets sehr voll, denn der Frisör Bernhard Saatmann ist Grenzschutz u. kann sein Gewerk nur Sonnabends ausüben. Alle Leute dort waren sehr gedrückt. Der Sohn des Frisörs steht am Ihnensee. –

     Morgen sind es, glaube ich, zehn Jahre her, daß Hitler am Ruder ist, (Nein, daß die NSDAP zum ersten Male in Lippe eine Mehrheit erhielt.)

     Der Marschall Antonescu ist beim Führer gewesen. „Es wurde volle Uebereinstimmung festgestellt!" – Merkwürdig, daß der Mann dazu eine so weite Reise machen mußte! –