Zum Inhalt springen

TBHB 1943-01-26

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1943-01-26
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1943
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: Dienstag, 26. Januar 1943.
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 26. Januar 1943
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

Der Artikel TBHB 1943-01-26 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 26. Januar 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Dienstag, 26. Januar 1943.     

[1]      Gestern waren wir bei Familie Neumann zum Abendbrot eingeladen. Es ist das schon feststehende Tradition geworden, daß wir jährlich einmal im Januar dort zu Abend essen. Es sind einfache u. gutmütige Leute. Vater Neumann hatte vorher, ehe er hierher kam, eine Schofförkneipe in Charlottenburg, Mutter Neumann ist eine schwarzhaarige Litauerin. Die Tochter Gretl hat als sehr junges – u. recht hübsches – junges Mädchen vor vielen Jahren bei uns im Hause als Sommergast gewohnt, u. zwar in dem Zimmer, welches jetzt mein Arbeitszimmer ist u. in dem ich dieses schreibe. Damals war das Kurhaus verkäuflich. Die sehr unternehmungslustige Gretl wollte ihre Eltern bewegen, das Haus zu kaufen. Besonders Martha unterstützte sie sehr darin u. so kam schließlich die Sache zustande. Die Familie hat seitdem eine rührende Anhänglichkeit an uns bewahrt. Nach ziemlichen Anfangsschwierigkeiten ist das Haus heute sehr gut fundiert u. Gretl, die nun auch schon nicht mehr ganz jung ist, ist als künftige Erbin sehr geschickt für ihr Geschäft tätig. Sie hat sich erstaunlich den Verhältnissen im Dorfe angepaßt, ist Duzfreundin der vornehmen Villenbesitzerinnen wie der Edlen v. Paepke, der Gräfinnen Dohna usw., benimmt sich tadellos, während Vater u. Mutter Neumann mir u. mich nicht unterscheiden können.

     Die Verwandten von Mutter Neumann, besonders ihre alte, jetzt 84jähr. Mutter, sind im jetzigen Kriege nach Deutschland gekommen. [2] Sie wohnen in Essen, bei einer anderen Tochter, die dort mit einem Arbeiter verheiratet ist. Infolge der letzten Luftangriffe sind sie nun wieder hierher geflohen, d.h. die alte Mutter mit dieser Tochter u. deren Tochter. Eine andere Tochter der alten Mutter ist in E. geblieben, – ihr ist bei einem Luftangriff ein Arm völlig abgerissen worden.

     Wir hatten Gelegenheit, diese eine Tochter – die Arbeiterfrau, – also eine Schwester unserer Frau Neumann, gestern Abend zu sprechen u. dabei die vollständige Verwirrung zu erkennen, in der wir uns infolge der Nazi-Propaganda befinden. Diese Arbeiterfrau aus Essen ist fast noch mehr wie Frau Neumann selbst der Typ einer polnischen Litauerin, was sie aber nicht hindert, deutsche Patriotin u. Nationalsozialistin zu sein. Das nennt man wahrscheinlich „Reinerhaltung der Rasse“. Die Frau erzählte anschaulich von der schrecklichen Wirkung der Luftminen, die die Engländer werfen u. damit ganze Häuserblocks vernichten. Die Bevölkerung sitzt derweil in Kellern u. Bunkern, schreit „Heil Hitler“ u. schimpft auf Churchil. Auf meine verwunderte Frage meinte sie ganz ahnungslos: ja, der ist es doch, der die Bomben schmeißen läßt. – Und dann erzählte sie alles, was darüber in der Zeitung steht, daß die Engländer damit angefangen haben u. daß sie nur immer auf die Wohnviertel ihre Bomben werfen usw. – Diese Menschen sind völlig unserer Propaganda ausgeliefert, es gibt nichts anderes für sie. Zum eigenen Nachdenken sind sie natürlich zu primitiv. So finden sie auch die Judenpolitik u. ihre grausamen Metoden durchaus in Ordnung, die Frau lachte darüber. – Es ist also völlig hoffnungslos, daß diese Menschen zur Einsicht kommen. Es wird die schwerste Aufgabe werden, diese einseitig verhetzten Menschen wieder auf einen menschlichen Standpunkt zurückzuführen. Das verwunderlichste war mir, daß diese Leute auch noch Wert darauf legen, fromme evangelische Christen zu sein. Besonders die Schwester, die den Arm verloren hat. Sie erzählte, daß diese Christen sich in einem Saal treffen, wo Harmonium gespielt, gesungen u. gebetet wird. Eine Pastorenfrau leitet diese frommen Zusammenkünfte, doch ist diese bei einem der letzten Bombenangriffe verrückt geworden u. ist jetzt im Irrenhause. Auf meine Frage, wie man Christ u. Nationalsozialist zugleich sein könne, wurde mir gesagt, daß das miteinander nichts zu tun hätte. Freilich: das eine ist praktisches Leben u. das andere ist fromme Gefühlsduselei. Diese Leute können ohne weiteres Jesus Christus ihren Bruder nennen u. gleichzeitig mit den grausamen Mördern von Hunderttausenden von Juden u. Polen paktieren, obschon diese letzteren dem Blute nach ihre Verwandten sind. – Es ist das wirklich ein teuflisches Bild.

     Ueber Rassenmischung sagt Hitler: Mein Kampf, daß der Arier, – also er meint damit in erster Linie den Deutschen, – die niedrigeren Rassen, also die Polen, unterwerfen müsse, um deren Betätigung unter seinem Befehl, nach seinem Wollen u. für seine Ziele zu „regeln“. Er fährt dann fort mit der Feststellung, daß sich die Scheidewand zwischen den [3] unterworfenen Rassen u. den Ariern, – in diesem Falle also zwischen den Deutschen u. den Polen, – verliere, sobald die Polen sich selbst zu heben beginnen u. sich auch sprachlich dem Deutschen nähern. Dann, meint Hitler, gibt der Deutsche die Reinheit seines Blutes auf u. verliert dadurch „den Aufenthalt im Paradiese“, er sinkt unter in der Rassenvermischung und verliert seine kulturelle Fähigkeit, „bis er endlich nicht nur geistig, sondern auch körperlich den Unterworfenen u. Ureinwohnern mehr zu gleichen begann als seine Vorfahren.“ – „So brechen Kulturen u. Reiche zusammen, um neuen Gebilden den Platz freizugeben.“ – „Was nicht gute Rasse ist auf dieser Welt, ist Spreu,“ – Herr H. dürfte mit solchen Betrachtungen durchaus Recht haben; aber die einzige vernünftige Folgerung daraus ist dann die, daß wir Deutschen überhaupt keine Rasse sind u. einen Anspruch auf Kulturführung garnicht haben, am wenigsten die Preußen, die so sehr mit polnischem u. litauischem Blute durchsetzt sind, daß man die Fremdlinge überhaupt nicht mehr bemerkt, obschon sie in ihrer eigentümlichen Sprache jedermann auffallen müßten, vom Namen ganz zu schweigen. Ich entsinne mich noch meines Erstaunens, als ich im Osten Berlins zwei Jahre zubrachte u. beobachtete, wie diese Polen, obgleich sie ganz im Deutschtum untergegangen zu sein schienen u. man sie garnicht bemerkte, in der Kirche doch immer noch ihr Eigenleben erhalten haben mit polnischer Predigt u. polnischen Liedern. Ich hatte zuweilen den Eindruck, in einer polnischen Stadt zu leben.

     Hitler kritisiert den Parlamentarismus in Deutschland, der in der Polenfrage weder einen Sieg des Deutschtums, noch eine Versöhnung mit Polen, dafür aber Feindschaft mit Rußland bewirkt habe. Was Hitler unter „Sieg des Deutschtums“ versteht, hat er in der Judenfrage gezeigt: Ausrottung! Was hat er nun getan? Eine Ausrottung der in Deutschland lebenden Polen im Sinne der Judenausrottung hat er nie gewagt, sonst hätte er Preußen, Schlesien, die Ostprovinzen, Berlin u. das westliche Industrierevier fast entvölkern müssen. Eine Versöhnung mit Polen hat er zwar schwächlich u. dem Scheine nach versucht, tatsächlich aber weder erreicht noch je ernsthaft gewollt, denn auch Polen entwickelte sich ja zu einem Militärstaat, der also nach seiner Ansicht mit Waffengewalt auszurotten war. Feindschaft gegen Rußland aber ist überhaupt die Richtlinie seiner Politik gewesen. – Was er aber weiterhin über Polenpolitik sagt, ist Folgendes: Er kritisiert am alten Deutschland, daß man, „eine Germanisation des polnischen Elements durch eine rein sprachliche Eindeutschung desselben herbeiführen zu können“ – geglaubt habe. Er meint, daß, – wenn dies gelungen wäre, – „das Ergebnis ein unseliges geworden wäre: ein fremdrassiges Volk, in deutscher Sprache seine fremden Gedanken ausdrückend, die Höhe und Würde unseres eigenen Volkstums durch seine eigene Minderwertigkeit kompromittierend.“ – Weiß denn Herr Hitler nicht, daß in allen eben genannten Teilen Deutschlands dieses Experiment tatsächlich gemacht [4] worden ist u. daß diese sogenannten Deutschen, – genauer: „Preußen“ eben tatsächlich heute, „ein fremdrassiges Volk, in deutscher Sprache seine fremden Gedanken ausdrückend“ sind?! – Herr Hitler, der Oesterreicher, ist es ja grade, der für dieses, „fremdrassige Volk“ der Preußen die Führung beansprucht u. es ist eigentlich erklärlich, daß dieses fremdrassige Volk ihm dafür zujubelt. –