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TBHB 1943-06-06

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-06-06
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: Sonntag, 6. Juni 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 6. Juni 1943
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Einführung

Der Artikel TBHB 1943-06-06 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 6. Juni 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonntag, 6. Juni 1943     

     Wir haben das Geschäft noch weiter leer geräumt, weil zu erwarten ist, daß die Preisüberwachung nocheinmal wiederkommt. Freitag abend war Frl. Neumann bei uns u. erzählte von ihren Erlebnissen mit dieser Kommission im Kurhause, wo diese Leute nicht weniger als sechs Stunden lang den ganzen Betrieb durchgeschnüffelt haben. Sie haben sich dort gradezu unverschämt benommen, während sie bei uns ziemlich harmlos waren. Frl. N. hat, als die Leute endlich fort waren, einen regelrechten Nerven-Zusammenbruch gehabt. Es läßt sich das denken, nachdem wir schon nachher total erschöpft waren, obwohl sie nur etwa eine halbe Stunde bei uns waren.

     Gestern Abend suchte uns überraschend Hülsmann auf u. es trat ein, was ich schon befürchtet hatte. Aus kurzen Gesprächen am Gartenzaun u. in meinem Zimmer, wohin er schon vorher gekommen war, um sich gelegentlich Cigaretten zu holen, hatte ich bereits die Vermutung gehegt, daß es mit seiner Ehe nicht mehr stimmt denn seine Frau ist schon seit längerer Zeit hier bei ihrer Freundin Mary v. Paepke, der sie im Hause hilft u. er selbst fragte mich immer wieder nach der Stellung der kathol. Kirche zum Ehescheidungs=Problem, obgleich ihm diese Stellung offenbar sehr genau bekannt ist. Auch aus anderen Bemerkungen konnte ich den Grund dieses Interesses unschwer erkennen. Gestern Abend nun fing er gleich wieder ein Gespräch über kathol. Glaubensfragen an u. zwang dann das Gespräch auf diese Ehescheidungsfrage. Plötzlich erklärte er mir rund heraus, daß er meine Ansicht u. meinen Rat hören wolle u. daß er mir sein Herz ausschütten müsse. Martha ging darauf gleich zu Bett u. ließ uns allein. – Es ist nun so, daß seine Frau schwer Lungenkrank gewesen ist u. deshalb eine Zeit lang in Davos sein mußte. Beide haben geheiratet mit dem Vorsatz, keine Kinder zu haben, da die Aerzte der Ansicht sind, daß die Frau Kinder nicht bekommen dürfe. Vor zwei Jahren, als das Ehpaar zuletzt hier war, habe sich bereits irgendwie eine Entfremdung eingestellt, – einen Grund konnte er nicht angeben. Im Winter darauf (oder im letzten Winter?) habe er dann eine junge Studentin kennengelernt, ein gesundes, kräftiges Mädchen, u. er habe sofort gefühlt, daß diese ihm zum Verhängnis werden würde. Diese Bekanntschaft hat dann auch bald zu einem Liebesverhältnis geführt u. seitdem sei er ganz einfach von dem Verlangen besessen, von diesem Mädchen ein Kind zu haben. Er hat schließlich diese Sache seiner Frau gebeichtet, jedoch nicht so vollständig, daß seine Frau klar erkennen kann, daß er die Absicht habe, sich scheiden zu lassen u. die andere zu heiraten. Uebrigens scheint er sich selbst darüber nicht ganz klar gewesen zu sein. Um diese Klarheit zu gewinnen, hat er nun zwischen sich u. jenes Mädchen diese Trennung gelegt; aber er erklärte mir, daß er nun bald nach München zurückkehren wolle, weil er die Trennung nicht länger ertrüge. – Und nun wünscht er von mir meinen Rat u. meine Ansicht. – Ich habe ihm geantwortet, daß ich mir eine Antwort erst reiflich überlegen müsse u. damit ist er dann auch zufrieden gewesen. – Doch was soll ich sagen? Er erklärt mir, daß diese ganze Situation seine Kräfte verzehre, sodaß er seit einem Jahre künstlerisch unproduktiv sei. Ich kann mir das denken. Ich kann ihm aber doch einen Rat nur auf Grund meiner kathol. Ueberzeugung geben u. dieser Rat kann nur lauten: Verzichten Sie auf jenes Mädchen mitsamt dem Kinde, verzichten Sie notfalls auf ihre künstlerische Produktion, ergreifen Sie dann einen bürgerlichen Beruf, was ihm nicht schwer fallen kann, da er im Grunde so wie so eine starke Neigung zur Bürgerlichkeit hat u. da er einer Bremer Kaufmannsfamilie entstammt, die in als verlorenen Sohn betrachtet u. ihn [2] mit offenen Armen aufnehmen wird, falls er zurückkehren will, bleiben Sie bei Ihrer Frau, von der Sie sich ja ruhig für einige Zeit räumlich trennen mögen, – u. bleiben Sie auf diese Weise frei von Schuld. – Nach dem, was mir H. andeutete, wird seine Frau eine Scheidung nur sehr schwer oder garnicht überleben. Ob ihm jenes Mädchen das ersehnte Kind schenken wird, ist ja noch nicht bewiesen, – u. wenn sie es tut, so ist noch nicht gewiß, ob dieses Kind ihm zur Freude gereichen wird. Die sinnliche Leidenschaft aber wird irgendwann einmal verrauscht sein, – u. was bleibt dann? Im besten Falle eine brave Mutter einiger braver Kinder u. auf jeden Fall eine schmerzhafte Stelle in seiner Seele, – doch kann dann auch diese Mutter weniger brav sein, vielmehr eine ganze Reihe von trüben Stellen aufweisen, die Kinder können mißraten, die wirtschaftliche Last wird groß sein, – jetzt lebt H., wie er mir selbst sagte, größtenteils vom Vermögen seiner Frau, – nachher soll er seinen eigenen Unterhalt allein bestreiten, dazu den für die Mutter u. den für die Kinder, u. je mehr diese Last drückt, um so drückender wird dann die Gewissenslast sein. Da H. ganz offensichtlich eine große Sehnsucht hat, mit Gott in Frieden zu leben, so wird er sich um so mehr in Schuld stürzen u. er wird sich den Weg zum Katholizismus, mit dem er so lange schon liebäugelt, gänzlich verbauen. – Alles das muß ich ihm sagen, – u. weiß doch, wie schwer es ist, einen Mann, der von sinnlicher Leidenschaft ergriffen ist, von diesem Weg zurückzureißen. –

     Politisch hat sein einer Woche eine große Propaganda=Aktion begonnen mit dem Ziel, zu beweisen, daß die Engländer mit dem Bombenkrieg auf offene Städte begonnen hätten. Die Engländer antworten u. beweisen das Gegenteil. Gestern hat nun eine große Sportpalast-Versammlung in Berlin stattgefunden, in der Reichsminister Speer zuerst dargelegt hat, wie ungeheuer die Vermehrung der Rüstungsindustrie seit seiner Berufung zum Minister fortgeschritten sei, u. dann ergriff Herr Goebbels das Wort. Seine Ausführungen ließen durchblicken, daß nun von uns aus Vergeltungsangriffe gegen England erfolgen würden. Er sagte: Terror kann nur mit noch größerem Terror bekämpft werden. Wir werden es nun also erleben. Man spricht von neuen Preßluft-Granaten, die eine ungeheuerliche Wirkung haben sollen. Natürlich werden die Engländer entsprechend antworten u. damit dürfte dann der endgültige Untergang der Reste jener Städte besiegelt sein, die bisher schon fast ganz zertrümmert sind. Der Wahnsinn wird nun total werden. –

     In Argentinien ist Revolution ausgebrochen u. der bisherige achsenfreundliche Präsident ist geflohen. Also wird uns dieses Land nun auch den Krieg erklären.

     Churchill ist aus Amerika, wo er lange Zeit war, über Nordafrika nach England zurückgekehrt. In Afrika hat er sich eine Woche aufgehalten. Auch von dort her wird es nun bald losgehen.

     Der U=Bootkrieg ist katastrophal zurückgegangen. Von ihm hat Herr Goebbels gesagt, er wäre unser Griff an Englands Kehle, – aber dieser Griff ist sehr locker geworden u. er wird im Laufe der Zeit wohl noch lockerer werden. Deshalb braucht man nun etwas Anderes u. dieses Andere soll das nun beginnende Bombardement sein.