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TBHB 1943-09

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-09
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: September 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom September 1943
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Einführung

Der Artikel TBHB 1943-09 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom September 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 11 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Donnerstag, 2. Sept. 43.     

     Gestern Abend Dr. Krappmann + Frau, wie immer sehr nett. Diese Menschen sind uns doch im Laufe der Zeit sehr gute Freunde geworden.

     Von Dr. Bohner gestern Antwort auf meinen Brief. Höflich, aber sehr nichtssagend. Er geht auf das Betragen seiner Tochter überhaupt nicht ein, – er lehnt es ausdrücklich ab, darauf zu antworten mit der merkwürdigen Begründung, daß Fritz selbständig um Margret gefreit habe u. nur er mit ihm zu verhandeln habe. – Er geht nur auf das Studium seiner Tochter ein u. erklärt, daß er ein solches sehr begrüßen würde, jedoch müsse Fritz die Kosten tragen. Er bestreitet, daß durch ein solches Studium diese Ehe gelockert würde, behauptet vielmehr, daß Margret im Winter hier ohne Beschäftigung sei u. daß Margret schon vor der Heirat gesagt hätte, sie wolle im Winter studieren. Das stimmt aber nicht, vielmehr hat sie mir ausdrücklich erklärt, sie wolle sich im Winter hier mit Unterricht befassen u. im Uebrigen wolle sie viel Lesen. – Er teilt mir mit, er habe Margret geschrieben, daß sie nach hier zurückkehren solle. – Das wird sie ja zunächst bestimmt nicht tun, – wir werden sehen. An Fritz hat er geschrieben, daß M. im Winter eine Beschäftigung braucht. Er schreibt ferner, Fritz habe ihm vor der Heirat gesagt, daß er Margret einen monatlichen Unterhalt von 200, – Rm. zusichere u. daß dieses Geld den Unterhalt während des Studiums reichlich decken würde. Ich weiß nicht, ob Fritz, der ja manchmal gern angibt u. sich aufspielt, dergleichen gesagt hat, doch kann ich mir das nicht gut denken, vor allem nicht in der Form, wie Dr. B. das aufzufassen scheint, daß M. von Fritz sozusagen ein Taschengeld von 200, – Rm. bekäme. Er kann damit doch höchstens gemeint haben, daß er alles in allem an Unterhalt Miete, Kleidung, Taschengeld usw. diesen Betrag aufwenden könne, – u. zwar wird er das wohl als Antwort auf die Frage des Vaters über die Sicherstellung seiner Tochter gesagt haben. – Diesen Brief werde ich jedenfalls nicht beantworten, denn am Schluß wiederholt Dr. B. nochmals, daß für ihn alles über Fritz gehen müsse.

Montag, 6. Sept. 1943.     

     Von Klaus Wegscheider Nachricht, daß seine Wohnung u. Praxis in der Innsbruckerstraße in Bln. total ausgebrannt ist. Er war einige Tage deshalb in Bln. Inzwischen ist ein neuer Angriff erfolgt, bei dem in 20 Minuten 1 Million Kilo Bomben abgeworfen worden sind. Es soll diesmal der Nordwesten drangewesen sein. Der Angriff soll weit stärker gewesen sein als der vorige, von dem wir jetzt erst langsam Einzelheiten hören. Von Lankwitz soll überhaupt kaum etwas übrig geblieben sein. – Inzwischen sind die Engländer in Calabrien gelandet, gegenüber Messina. Der Widerstand der Italiener scheint sehr schwach gewesen zu sein, sodaß man mit einem raschen Vormarsch u. wahrscheinlich weiteren Landungen an anderen Punkten rechnen kann. In Italien werden nun die Facistenführer verhaftet u. es ist wohl anzunehmen, daß Badoglio Frieden machen wird. Nach allem, was man hört, konzentrieren wir unsere Streitkräfte in Norditalien, wo am Po wohl eine Verteidigung versucht werden wird, falls die Italiener das nicht selbst verhindern. – In Dänemark u. Schweden nimmt die Deutschfeindlichkeit zu, die Russen machen Fortschritte, obgleich unsere Armeen sich sehr hartnäckig verteidigen. Es sollte mich nicht wundern, wenn die Engländer jetzt bald eine Landung in Dänemark versuchen, um die Ostsee zu öffnen. Der Weg nach Berlin liegt von dort her offen. –

     Gestern wieder sehr schöne Sonntagsandacht mit Ansprache über das Evangelium. Frau Monheim, Schw. Maria u. der alte Herr Heimann mit seiner Tochter. – Heute wieder Religionsunterricht, die Kinder sind sehr begeistert, es ist ein kathol. Junge dazugekommen, Jup Bierwirt. Mir macht es großen Spaß.

[2]
Dienstag, 7 Sept. 43.     

     Gestern in der bibl. Geschichte: Kain u. Abel. Frau Charlotte Schmitt, deren kleine Tochter am Unterricht teilnimmt, drängte sich zu Beginn ins Zimmer, um zuzuhören. Ich werde mir das künftig verbitten, es stört mich u. die Kinder. Wo käme ich hin, wenn alle Muttis zuhören wollten. Diese Frau Schmitt ist eine höchst alberne Person u. ist dauernd in Angst, daß ihre Kinder Schaden an ihrer Seele nehmen könnten, wenn sie solch grausige Geschichten wie Kains Brudermord hören. Sie selbst ist ganz Gottlos u. steht auf dem Standpunkt: Der Mensch ist gut, – doch mußte sie mir nach dem Unterricht, als ich mit ihr sprach, selbst erzählen, daß eines Tages am Strande eines der lieben Kinder, die dort mit ihren Kindern spielten, einen Spaten genommen habe u. ihn ihrem Kinde auf den Kopf geschlagen habe. Es habe eine große, blutende Wunde gegeben. – Sie erzählte mir sehr stolz, daß sie ihren Kindern niemals den Struwelpeter vorgelesen habe, weil darin lauter grausige Geschichten erzählt wurden, worauf ich ihr erwiderte, daß wahrscheinlich die Schlechtigkeit der Menschen aus diesem Buche käme u. ihre eigenen Kinder nun lauter Engel seien. Es wäre somit das Problem des Bösen in der Welt sehr leicht zu beseitigen, indem man einfach den Struwelpeter u. ähnliche Bücher vernichtete. Uebrigens räumte sie ein, daß es ihr auch ohne Struwelpeter recht schwer geworden wäre, ihnen das Lügen abzugewöhnen. Ich meinte, daß ihr das mit dem Struwelpeter vielleicht leichter gelungen wäre.

Mittwoch, 8. September 1943     

     Gestern, als wir Nachmittags auf der Terrasse saßen u. Kaffee tranken, erschien ganz überraschend Rektor Dütemeyer aus Müritz in Begleitung eines Herrn, der sich als ein Pater Meer S. J. aus Essen entpuppte. Er ist in Müritz, um den Rektor zu vertreten, da er auf Urlaub gehen will. Unsre Freude war sehr groß. Im Laufe des Gesprächs ergab sich, daß nichts im Wege stand, wenn P. Meer hier bliebe, um uns heute eine hl. Messe zu halten im Hause der Aquinaten, was denn auch geschah. Er hielt heute früh um 8 Uhr ein feierliches Hochamt. Martha hatte alle Katholiken zusammengetrommelt, sodaß die alte Frau Longard mit ihrer Enkelin da war, ferner Frau Monheim mit ihrer Tochter, Frau Beichter, dazu der alte Herr Heimann mit Tochter, Schwester Maria u. das Mädchen der Aquinaten. Es waren sechs Kommunikanten. P. Meer ist heute Mittag wieder mit dem Dampfer über Ribnitz zurückgefahren, Rektor D. mußte leider schon gestern Nachmittag wieder zurück.

     P. Meer erzählte Furchtbares aus Essen, u. a., wie in dem Keller, in dem er war u. wohin er das Allerheiligste u. die Monstranz u. den Kelch, dazu noch Meßgewänder usw. gerettet hatte u. in dem er mit vielen anderen Menschen, meist alten Frauen, gesessen hatte, es so heiß wurde, daß sie raus mußten. Sie haben versucht, durch Kellerdurchbrüche zu entkommen, doch erwies sich das als aussichtslos, da es überall gleichmäßig brannte. Ich weiß nicht mehr, wie ihnen die Rettung doch noch gelang; aber er sagte, daß er später hingegangen sei, um das Allerheiligste, die Monstranz, den Kelch u. die Gewänder zu bergen, doch sei von all dem nichts mehr vorhanden gewesen. Alles war infolge der furchtbaren Hitze verkohlt u. das Metall war geschmolzen. Dasselbe habe ich auch von Hamburg gehört, wo die Steintrümmer über den Kellern noch nach Tagen so heiß gewesen sind, daß man an die Keller nicht heran konnte. Die Menschen in diesen Kellern waren verkohlt u. so zusammengeschrumpft, daß man sie in Kästen verpacken konnte. Man erzählte sich von Müttern, die ihre verkohlten Kinder in normalen Koffern bei sich führten, um sie irgendwo zu beerdigen.

[3] Abends.

     Italien hat bedingungslos kapituliert, ein Waffenstillstand ist abgeschlossen, die Feindseligkeiten sind eingestellt. So berichtet England. Ob die deutschen Nachrichten dies Ereignis bereits gebracht haben, ist mir nicht bekannt. Es macht den Eindruck, als würde es zu Kämpfen zwischen Italienern u. Deutschen kommen, falls die letzteren nicht sofort Italien verlassen. – Auch die Nachrichten von der russischen Front sind sehr ernst. Stalino ist von unseren Truppen geräumt, auch in der Mitte zwischen Poltawa u. Brjansk scheinen die Russen starke Fortschritte erzielt zu haben. Der 8. Sept. scheint für unsere Armeen u. für Hitler ein sehr schwarzer Tag gewesen zu sein. – Die Engländer haben Manheim u. auch München bombardiert, beide Angriffe waren anscheinend sehr schwer. –

Donnerstag, 9. Sept. 1943.     

     Nach Mitteilung unserer Frühnachrichten hat die deutsche Regierung gestern Abend um 23 Uhr sich entschlossen, die Kapitulation Italiens im Rundfunk bekannt zu geben. Sie hat sich dazu einige Stunden Zeit lassen müssen, um sich klar zu werden, was sie dem deutschen Volk sagen solle. Sie hat es dann im echt nationalsozialistischem Stil gesagt d.h. sie hat geschimpft auf die Verräter, die ihrer verdienten Strafe nicht entgehen würden, – u. selbstverständlich sind es wieder die Juden, die diesen Verrat ausgeführt haben, – obgleich es doch, wie es immer hieß, in Italien garkeine Juden mehr gab. Interessant ist die deutsche Behauptung, daß die Verhandlungen schon vor vielen Wochen begonnen hätten, u. daß die bedingungslose Kapitulation bereits am 3. Sept. unterzeichnet worden wäre, daß aber General Eisenhower verlangt hätte, die Kapitulaton erst in einem Augenblick bekannt zu geben, der ihm genehm wäre, – d.h. also wohl in einem Augenblick, in dem seine Vorbereitungen soweit abgeschlossen waren, daß er ganz Italien blitzartig besetzen kann – u. dazu natürlich auch den Balkan. Das wird also nun wohl geschehen, bzw. zur Stunde schon geschehen sein. – Ferner ist interessant, daß unsere Regierung behauptet, Marschal Baldoglio habe noch gestern, am 8. Sept., der deutschen Regierung erklärt, an den Gerüchten einer Kapitulation sei kein wahres Wort! – Es geht daraus hervor, daß man bei uns von diesen Dingen zwar gemunkelt hat, daß man aber dann doch von den Tatsachen völlig überrascht worden ist. – Es scheint mir unter diesen Umständen ganz ausgeschlossen, daß man eine Verteidigung am Po durchführen kann, man wird in die Alpen zurückgehen müssen, die frontal wohl leicht zu verteidigen sind, die man aber umgehen kann. Außerdem gibt es dann aber kein Fleckchen deutscher Erde mehr, das nicht im Machtbereich der feindlichen Luftangriffe läge, von den Oelquellen in Rumänien ganz zu schweigen. – Auch der Fall von Stalino wird zugegeben. Die Notwendigkeit der Räumung des Kuban-Brückenkopfes u. der ganzen Krim rückt damit in immer gefährlichere Nähe. – Dennoch führt unsere Regierung nach wie vor eine unverschämte Sprache namentlich gegen Italien, die ganz auf „Dolchstoß in den Rücken“ abgestellt ist, – wohingegen das Gegenteil der Fall ist. Wir sind es gewesen, die Italien das Blaue vom Himmel herunter versprochen haben u. Italien, das auf diese Versprechen hereingefallen ist, hat in diesem Kriege nach u. nach alles verloren, was es vorher erobert hatte. Wenn es sich weigert, nun auch noch sein eigenes Land durch diesen Krieg verwüsten zu lassen, nachdem wir doch offensichtlich nicht in der Lage sind, es davor zu schützen, so ist das nicht nur sehr verständlich, sondern absolut richtig. – Wie lange wird das deutsche Volk diesen Betrug noch ertragen?

[4]
Sonnabend, 11. Sept. 1943.     

     Am Donnerstag Nachmittag erhielt ich von Fritz die Abschrift eines Briefes, den sein Schwiegervater an ihn gerichtet hat. Es ist dies der erste Brief den er von Seiten der Familie seiner Frau seit seinem Urlaub überhaupt bekommen hat, – u. wenn ich nicht an Herrn Dr. Bohner geschrieben hätte, so hätte er auch diesen nicht bekommen. Diese Familie stellt wahrhaftig einen Gipfel an Gewissenlosigkeit dar. Herr Dr. B. bedauert zwar, daß seine Tochter fortgelaufen ist u. er teilt Fritz mit, er habe ihr geschrieben, daß sie zurückkehren solle, – doch diese denkt garnicht daran. Im Uebrigen aber steht Herr B. ganz auf der Seite seiner Tochter. Selbst die gewissenlose Haltung seiner Frau, die in diesem ganzen Spiel ganz offensichtlich der treibende Keil gewesen ist, findet Herr B. eine harmlose „Frauenlist“, wie sie durch die Jahrtausende gehe u. die nur Wert wäre, darüber zu lachen. Zu dieser Sache hat Herr B. nichts weiter zu sagen, als daß es unfair von Fritz gewesen wäre, einen Brief Margrets an diese Mutter zu öffnen u. zu lesen. Diese Haltung ist einfach unbegreiflich. Sonst ist der ganze Brief in einer seichten, großväterlichen Heiterkeit gehalten u. durchaus wohlwollend u. es ergibt sich daraus, daß dieser Mensch nichts ist als ein intelligenter Feigling u. Trottel.

     Ich habe sofort an Fritz geschrieben u. ihm Anhaltspunkte gegeben, in welcher Weise er diesen Brief beantworten solle, denn er bat mich darum. Nachdem ich meine Antwort in den Kasten geworfen hatte, ging ich mit Martha spazieren wegen des schönen Herbstwetters. Draußen trafen wir Prof. Erich Seeberg, der sich uns anschloß u. sehr erstaunt war, als er hörte, daß weder wir noch Fritz bisher eine Nachricht von Margret bekommen hätten. Er erzählte uns, daß ein Brief von Margrets Mutter an seine Frau eingetroffen sei. Seine Frau sei momentan in Berlin u. er habe den Brief geöffnet u. ihn nur flüchtig überlesen. So weit er sich erinnere, stand darin, daß Margret einen Scheidungsantrag stellen wolle. – Wir waren natürlich auf's Höchste verblüfft, – auf meine Frage, welchen Scheidungsgrund Margret denn habe, sagte er, das wisse er nicht. Er war offenbar selbst höchst empört über diese Mitglieder seiner Familie. Er sagte mir, daß er nicht ganz genau wisse, ob das mit der Scheidung wirklich so im Briefe stehe, wie er es jetzt übersetze, – aber dem Sinne nach doch so ähnlich, – er würde mich später anrufen u. mir Genaueres sagen. – Martha u. ich gingen dann nachhause u. ich schrieb an Fritz sofort einen zweiten Brief, in welchem ich ihm diese Begegnung mitteilte u. ihm empfahl, unter diesen Umständen seinem Schwiegervater überhaupt nicht zu antworten. Der Brief ging noch mit gleicher Post ab, so daß Fritz beide Briefe zur gleichen Zeit erhält. Später rief dann Prof. S. an u. sagte mir, er habe den Wortlaut aus der Erinnerung doch etwas übertrieben. Er las mir am Telephon den Brief vor. Er ist offenbar eine Reaktion auf den äußerst scharfen Brief, den ich sofort nach Fritzens Abreise an Margret geschrieben hatte. Frau B. hat daraus entnehmen können, daß alle Seebergs auf unserer Seite stehen – u. das ist ihr äußerst unangenehm. Sie will sich nun an ihre Familie wieder heranmachen u. schreibt davon, daß sie so gern in diesem Winter nach Ahrenshoop gekommen wäre, daß das nun nicht ginge, da Margret sich weigere, nach hier zurückzukehren u. da sie selbst – natürlich ganz unbegründet – in den Verdacht geraten sei, als sei sie bei dem ganzen Zerwürfnis die treibende Kraft gewesen. – Sie spricht also wohl das Wort Scheidung nicht aus, läßt aber erkennen, daß sie mit einer solchen rechne u. spricht auch davon, daß in diesem Falle ihre Tochter Margret die Schuldige sein würde. – Nun also, – es ist somit ganz klar, daß Margret nicht zurückkommen will, daß sie die Ehe nicht fortsetzen will, also eine Scheidung [5] unter allen Umständen wünscht, selbst wenn sie die allein Schuldige ist. Frau B. drückt dann noch die Befürchtung aus, daß wir dabei sehr, „kleinlich“ verfahren würden. Es ist mir nicht klar, was sie damit meint. Vielleicht meint sie, daß wir rachsüchtig sein würden. Sie braucht darin nichts zu fürchten, denn wir werden froh sein, wenn Fritz sich von dieser Person löst. – Das wird das Schwierigste sein, denn er schreibt mir, daß er doch noch sehr an ihr hänge u. von sich aus an eine Scheidung nicht denke, – er hofft vielmehr, daß sich nach dem Kriege, wenn er wieder hier ist, alles wieder einränken läßt. Diese Hoffnung wird in jedem Falle trügen, denn dieser Frau fehlt es einfach an sittlichem Bewußtsein, ein Erbteil von ihren beiden Eltern. –

     Fritz schreibt ferner, daß in der Frontbuchhandlung in Dieppe bereits Mädchen eingesetzt worden seien u. daß er damit rechnen müsse, daß ab 1. Okt. das auch in Le Tréport der Fall sein würde. Damit hätte dann sein schönes Frontbuchhändler-Dasein leider ein Ende u. er muß darauf gefaßt sein, nun zum Schluß doch noch irgendwo als Soldat eingesetzt zu werden. Hoffentlich wird das nicht an der Front sein.

     Nachdem sich die erste Ueberraschung nach Italiens Kapitulation etwas gelegt hat, beginnt sich der Dunst etwas zu heben. Man erkennt, daß in Mittel= oder Norditalien eine deutsche Armee unter Feldmarschall Rommel steht. Da die Engländer inzwischen in Neapel gelandet sind u. wohl sehr rasch die ganze Halbinsel südlich davon in die Hand bekommen werden, scheint sich bei Neapel eine neue Front zu bilden. Nach neuesten Nachrichten haben die Deutschen eine facistische Gegenregierung aufgemacht, doch weiß man nicht, wo sich diese befindet u. wer diese Regierung ist. Ich nehme an, daß sie in Deutschland ist u. vorwiegend auch aus Deutschen bestehen wird. Ferner wird von uns mitgeteilt, daß wir Rom besetzt hätten. Wo Baldoglio ist u. der König mit seiner Familie, ist bis jetzt nicht bekannt. – Ferner haben wir in ganz Südfrankreich u. Norditalien die Stellungen eingenommen, die bisher die Italiener hielten, u. dasselbe ist auf dem ganzen Balkan der Fall. Da gleichzeitig die Russen mit unverminderter Gewalt weiter angreifen u. Gelände gewinnen u. wir im Inlande nur noch Frauen, Kinder u. Mümmelgreise haben, ist mir unerfindlich, woher wir für diese Besetzungen die Soldaten hernehmen wollen, zumal die Anzeichen immer deutlicher werden, daß die Engländer nun bald auch im Norden angreifen werden.

     In dieser Lage erwartete man mit Spannung eine Rede des Führers, die eine Viertelstunde vorher gestern Abend angesagt wurde. Er sprach aus seinem Hauptquartier, las sie ab u. sprach überaus rasch. In 16 – 17 Minuten war er fertig. Inhaltlich bot sie wenig. Er brandmarkte, wie nicht anders zu erwarten war, den Verrat Baldoglios u. des Königs u. verherrlichte Mussolini. Wenn seine Schilderung dieses Verrats zutrifft, so stellt diese Sache in der Tat ein Meisterstück an List, Verschlagenheit u. Hinterhältigkeit dar, – indessen bin ich zu gewöhnt daran, daß die Nazis ihren Gegnern skrupellos jede Ehre abschneiden, als daß ich diese Geschichten einfach so glaube, wie sie gesagt werden. – Sodann erklärte der Führer – was ja ebenfalls zu erwarten war, – daß durch das Ausscheiden Italiens die Kiegslage nicht im Geringsten geändert sei, da die italienische Armee so wie so nichts getaugt hätte u. eher eine Belastung für uns gewesen wäre. Er erklärte, daß Teile der italienischen Armee den Verrat nicht mitmachten u. auf unserer Seite weiterkämpften. Es können das aber wohl nur verschwindende Minderheiten sein. –

     Auswirkungen auf unsere Vasallenstaaten sind noch nicht zu erkennen, mit Ausnahme von Kroatien, das die Gelegenheit benutzte, sich in den Besitz der adriatischen Küste zu setzen, die ihm von Italien bisher vorenthalten worden war. Gefährlich [6] ist jetzt um so mehr der kurz vorher erfolgte Tod des Königs von Bulgarien. Rumänien scheint vorerst bei der Stange zu bleiben, aber aus Ungarn hört man garnichts, – selbst Pressestimmen aus Ungarn anläßlich des Verrats werden in der Zeitung nicht gebracht. Das ist ein trübes Zeichen. – Auch aus Spanien u. Portugal hört man vorerst garnichts. –

     Am Sonntag Abend werden wir bei Erich Seeberg sein, da werden wir über den Brief der Frau Bohner Näheres hören. –

Sonntag, 12. Sept. 1943.     

     Heute morgen wieder schöne Andacht. Ich sprach am 13. Sonntg. n. Pf. über das Geheimnis der Auserwählung u. die europäische Situation, bzw. die Situation des christl. Abendlandes in der Gegenwart. Es waren zugegen: Frau Krappmann, Vater u. Tochter Heimann (sie reisen morgen ab) Frau Bierwirt mit ihrer Tochter Marianne u. eine mir fremde Dame, die in der Woche sich bei Martha nach kathol. Gottesdienst erkundigt hatte. Monheims konnten nicht kommen, weil der Mann heute früh abreiste. Unsere Sonntags-Andacht wird immer reicher, es wollen gern noch mehr daran teilnehmen. Es scheint sich langsam zu verwirklichen, was Pfr. Feige mir schon im vorigen Jahre sagte, u. in diesem Jahre wiederholte: „Sie haben hier eine besondere Mission.“ – Auch der Religionsunterricht dehnt sich aus, Frau Prof. Heydenreich hat ihren kleinen Sohn angemeldet u. ebenso Frau Dr. Clemens, Tochter von Dr. Ziel. Es sind jetzt schon 12 Kinder.

Montag, den 13. Sept. 43.     

     Gestern Abend waren wir also bei Prof. Erich Seeberg. Seine Frau u. die Tochter Erika waren auch da, diese will in den nächsten Tagen heiraten. Es ist das die Tochter, von der Margrets Mutter einmal zu mir sagte, sie sei eine Dirne.

     Erich Seeberg las uns den Brief von Margrets Mutter vor. Sie schreibt sehr unklar in allgemeinen Wendungen von der Entwicklung, die die Ehe Margret-Fritz genommen habe. Sie habe stets gegen diese Ehe Bedenken gehabt u. es sei nun so, daß Margret sich weigere, hierher zurückzukehren. Irgend eine Begründung gibt sie nicht, deutet nur an, daß Margret dadurch die Schuld auf sich nehmen müsse u. bedauert scheinheilig, daß Margret „in ihrer impulsiven Art“ (sprich: unbeherrschte Ungezogenheit) noch während Fritzens Urlaub abgereist sei, wobei sie ganz naiv zu vergessen scheint, daß sie ihrer Tochter das Telegramm sandte, mit welchem sie eine Erkrankung log u. M. zur sofortigen Abreise aufforderte. Sie meint ebenso naiv, daß sie durch dieses Telegramm in den falschen Verdacht geraten sei, die Ehe zu zerstören. Nachdem sie noch eine Bemerkung macht, daß sie von uns nun allerhand Kleinlichkeiten erwarte, bedauert sie, daß durch diese Sache ihr Plan gescheitert sei, im Winter hier in Margrets Wohnung ein angenehmes Dasein zu führen. Damit ist für sie die Sache erschöpft. – Der Brief ist unklar, ohne Gedanken, u. läßt alles offen, – dies ist auch Seebergs Ansicht. Alle Seebergs sind nach wie vor empört. –

     Wesentlich interessanter war das übrige Gespräch, das sich anschließend entwickelte. Es wurde gefragt, was es denn nun eigentlich sei, was Margret so enttäuscht habe, sodaß sie einfach abreiste. Erika, die sich wohl auf solche Dinge gut versteht u. mit der sich Margret ausgesprochen hat, erklärte rund heraus, Margret sei von Fritz erotisch enttäuscht worden. Ich war darüber verwundert u. fragte, ob ein Mädchen von 18 Jahren, das eben noch zur Schule gegangen sei, erotisch enttäuscht sein könne. Eine solche Enttäuschung setzt entweder bereits gesammelte Erfahrungen voraus oder eine sehr wuchernde Fantasie, die dann in des Praxis in der Tat stets Enttäuschungen hervorrufen muß. Und ich fragte ferner, ob eine solche Enttäuschung dieses Verhalten rechtfertigen könne. [7] Erika machte daraufhin ziemlich handgreifliche Andeutungen, daß Margret bereits mit 14 Jahren gewisse Erlebnisse gehabt habe u. seitdem bereits tatsächlich einige Erfahrungen gesammelt habe. Ihre Fantasie scheint dadurch wirklich sehr angeregt worden zu sein. Ferner deutete Erika an, daß im Falle Fritz aber von einer solchen Enttäuschung nicht gesprochen werden könne, sie schien zu wissen, daß sie bereits damals, als Fritz hier auf Urlaub war u. sie ihn nur ein einziges Mal gesehen hatte, diesen Besuch bis zum Morgen ausgedehnt habe. – Wenn das der Fall ist, dann liegt hier von Fritzens Seite ein Verschulden vor, welches diese ganze Sache in ein neues Licht rückt. – Dann hätte er wissen können, was er von diesem Mädchen zu halten hatte, – u. dann ist er gegen mich unehrlich gewesen, denn er wußte, daß ich die absolute Reinheit voraussetzte. Zwei Tage vor seiner Hochzeit, am Tage, als er ankam, habe ich noch mit ihm darüber gesprochen u. habe ihn gebeten, seine Braut nicht vor der Hochzeitsnacht zu berühren. Er hat sich das angehört u. hat mich in dem Glauben gelassen, das bisher nichts geschehen sei. – Von hier aus fällt also eine Schuld auch auf ihn. –

Sonntag 19. Sept. 43     

     In diese Woche fiel der Handstreich zur Befreiung Mussolinis. Die Leute bilden sich nun wieder ein, daß wir den Krieg gewinnen würden. Wenn man sie fragt, warum, wissen sie freilich keine Antwort. Italien hat nun zwei Regierungen, einmal in Palermo, wo der König mit Baldoglio sitzt, u. einmal in München, wo Mussolini sitzt. Italien selbst ist nun Schlachtfeld. Nach anfänglichen Schwierigkeiten machen die Landungstruppen bei Salerno Fortschritte.

     Vorgestern erhielt ich einen unerwarteten Brief von Herrn Dr. Bohner. Nachdem er es anfangs abgelehnt hatte, mit mir zu verhandeln, schreibt er jetzt drei Seiten eng mit der Maschine voll. Er verteidigt seine Frau u. seine Tochter u. er macht den Versuch, die ganze Geschichte auf das Wirtschaftliche zu schieben, als hätte Fritz ihm u. seiner Tochter mehr versprochen, wie gehalten worden sei. Dieser Brief ist so albern, daß ich garnicht darauf geantwortet habe. Er teilt aber mit, daß seine Tochter nun an Fritz geschrieben habe u. ihn gebeten habe, sie frei zu geben. Nun herrscht darüber wenigstens Klarheit. Gestern kam ein Brief von Fritz aus Brüssel, wo er bei seinem Bruder war. Er schreibt, daß er mit seinem Mitarbeiter in der Frontbuchhdlg. telephoniert habe, der ihm gesagt hat, daß ein Brief von Margret aus Schwarzenberg gekommen sei. Fritzens Brief ist am letzten Sonntag geschrieben u. er schreibt, daß er erst am Dienstag wieder in Le Tréport sein kann. – Ich habe ihm den Inhalt des Briefes von Dr. B. sofort mitgeteilt u. habe ihn gebeten, eine Vollmacht zu schicken für Rechstanw. Rütz. Ich fürchte, daß er, wenn er Margrets Brief eher bekommt, wie meinen, was ja natürlich der Fall sein wird, Dummheiten macht, denn aus all seinen Briefen geht hervor, daß er doch immer noch auf eine Rückkehr Margret's hofft. Eine solche ist natürlich ausgeschlossen, denn so viel wird sie wohl begriffen haben, daß sie es mit uns vollkommen verschüttet hat u. daß dieser Riß nicht mehr zu reparieren ist. Der Brief von Dr. B. läßt erkennen, daß Fritz vor der Hochzeit seinem Schwiegervater gegenüber in materiellen Dingen etwas aufgeschnitten hat. Es ist das dieser Hang zur Angeberei, der allen Wegscheiders eigen ist u. der zweifellos ein bedauerliches Zeichen geistiger Unreife ist. Davon wird Fritz nicht freizusprechen sein. Er tut so, als ob die Bunte Stube ein Weltunternehmen sei u. er hat die großen, materiellen Nöte, die noch garnicht so weit zurückliegen, anscheinend längst vergessen. Man wird ihn wohl, wenn dieser Krieg zuende ist, erst einmal wieder ducken müssen. –

     Heute Morgen hatten wir wieder Andacht. Frau Monheim mit Berni, Frau Krappmann mit ihrem Mann, der eigentlich [8] schießen mußte, aber wegen Nebels nicht schießen konnte. Da während der Andacht das Wetter aufklarte, wurde er leider telephon. abgerufen. Sonst war nur Viktoria da, das Mädchen der Aquinataschwestern, die jetzt allein noch hier ist, nachdem Schw. Maria telegraph. nach Berlin abgerufen worden ist. – Auch Frau Else Eitner war wenigstens anfangs zugegen. Sie war drei Tage lang hier u. mußte heute vormittag nach Bln. zurückfahren. –

     Die Russen machen starke Fortschritte, weshalb von unserer Seite von beweglicher Kriegführung und von Frontverkürzung geredet wird.

Mittwoch, 22. Sept. 43.     

     Seit gestern kühles Herbstwetter, Wind u. Regen. Der ungewöhnlich schöne Herbst dieses Jahres scheint zuende zu sein. Nachmittags war ich gestern mit Martha bei Frau Monheim.

     Churchill ist aus Washington zurück. Rede im Unterhause. Bemerkenswert, daß er sagte, er habe den Feldzug in Afrika u. jetzt in Italien niemals als Ersatz für eine Landung in Nordfrankreich, Belgien oder Holland betrachtet, woraus zu entnehmen ist, daß diese Landung nun bald zu erwarten sein dürfte. – Er sprach eingehend über die Verhandlungen mit Italien, die dem Waffenstillstande vorausgegangen sind. England + Amerika haben sich hierbei wirklich musterhaft dumm benommen. Anstatt eine Landung sofort durchzuführen, haben sie wochenlang mit Italien über die bedingungslose Kapitulation verhandelt, bis die Deutschen Wind von der Sache bekommen haben u. Gegenmaßnahmen treffen konnten. – Auf dem Balkan beginnt nun eine hochinteressante Entwicklung. Es gab dort bisher zwei verschiedene Bandenbewegungen. Die eine stand unter Führung des serbischen Obersten Michailowitz (oder ähnlich) u. die andere war rein kommunistisch u. wurde von Rußland gestützt, während die erste sich der Freundschaft Englands erfreute. Beide Bewegungen waren untereinander verfeindet, oder doch nicht freundlich. Jetzt ist England in der Lage, seine Banden tatkräftig zu unterstützen, sie heißen nun nicht mehr Banden, sondern jugoslavische Freiheitsarmee. Sie erhalten von England Waffen u. es scheint, daß auch englische Offiziere u. Soldaten aktiv beteiligt sind. Es wird behauptet, daß sie bereits die ganze dalmatinische Küste in der Hand hätten bis nach Fiume hin, sodaß eine Landung der Engländer dort ein Kinderspiel sein würde. Damit aber würde England zugleich den von Moskau unterstützten kommunistischen Banden entgegentreten u. es würde auf diese Art bereits ein bewaffneter Konflikt zwischen Rußland u. England auf dem Balkan entstehen, ohne daß Rußland selbst in der Lage wäre, aktiv einzugreifen, solange wenigstens Rumänien noch nicht besiegt ist. Rumänien, Ungarn u. Finnland sind allerdings sehr unsicher geworden, aber zugunsten Englands, denn Rumänien u. Ungarn werden natürlich bei England gegen Rußland Schutz suchen. –

     In Rußland selbst hat sich eine deutsche Freiheitspartei aufgetan, die von deutschen, kriegsgefangenen Generälen geführt wird. Vorsitzender ist ein General v. Seydlitz, der ein Armeekorps bei Stalingrad geführt hat, u. ein General von Daniel, ebenfalls Stalingradkämpfer. Es mutet wie ein Witz an, daß diese Stalingradkämpfer, die s. Zt. von unserer Propaganda als Helden gefeiert wurden, die angeblich bis zum letzten Mann gekämpft haben in Treue für den Führer, daß ausgerechnet diese von unserer Propaganda totgesagten Helden nun plötzlich wieder dastehen, um gegen den Führer zu kämpfen.

     An der Ostfront machen die Russen weiter Fortschritte. Sie stehen dicht vor Smolensk u. Witebsk u. dicht vor Kiew.

     Ich erhielt vom Wehrbezirkskommando Stralsund eine Aufforderung, drei Lichtbilder zwecks Ausstellung eines Ausweises [9] einzureichen. Eilt! – Was das bedeuten soll, weiß ich nicht. Frau Boroffka, die einzige Fotografin, ist z. Zt. verreist. Ich habe dem Bezirkskommando dies mitgeteilt.

Sonnabend, den 25. Sept. 1943.     

     Von Pfr. Dobczynski die Nachricht, daß er voraussichtlich am 5. Oktober herkommen will, um eine hl. Messe zu zelebrieren. Er sandte wieder die Abschrift eines Bischofbriefes mit, der zwar mit ziemlich tapferer Deutlichkeit den Standpunkt der Kirche vertritt, leider aber wieder, wie Pfr. D. richtig bemerkt, sich höchstens zur Verlesung vor akademisch gebildeten Zuhörern eignet. Pfr. D. bedauert mit Recht, daß sich diese Briefe nicht einer „Luthersprache“ bedienen.

     Gestern feierten wir den Geburtstag von Jens Wegscheider, der acht Jahre wurde. Der Geburtstag selbst war eigentlich schon einen Tag vorher, doch wollten wir den am Donnerstag fälligen Religionsunterricht nicht ausfallen lassen. Deshalb machten wir am 23ten nur eine Bescherung u. Nachmittags Kuchen zum Kaffee, auch gab es ein besonderes Mittagessen. Gestern nun war die eigentliche Kindergesellschaft, zu der sich Jens acht Jungens eingeladen hatte. Zum Glück kam Martha auf den guten Gedanken, den Kaffeetisch in der Bunten Stube herzurichten, denn es ergab sich, daß sämtliche Kinder des Religionsunterrichtes es einfach als selbstverständlich angenommen hatten, daß sie eingeladen waren. Dazu kamen noch andere dazu, sodaß nicht weniger als 20 Kinder erschienen. Zuerst gab es Kaffee, Cakao u. Kuchen, der wie durch ein Wunder reichte, dann gab es ein Kasperletheater, ziemlich mäßig, aber es reichte für die Kritik der Kinder eben hin. Da Gesine Meisner mit ihrer Ziehharmonika da war, schlug ich vor, es sollten gemeinsam Volkslieder gesungen werden. Ich war der Meinung, daß der Nationalsozialismus, der sich ja die Erziehung der Kinder so angelegen sein läßt u. der den Mund so voll nimmt mit seiner angeblichen Pflege deutschen Kulturgutes, das deutsche Volkslied wenigstens pflege. Aber welch ein Irrtum! Es ergab sich, daß nicht nur unsere Dorfjugend, sondern auch die vielen städtischen Kinder aus Berlin u. anderen Städten kein einziges Volkslied auch nur dem Namen nach kannte. Zehn Jahre Nationalsozialismus haben, also genügt, dieses edelste deutsche Kulturgut restlos aus der Erinnerung zu beseitigen. Ich glaubte, daß dann wenigstens die modernen Soldaten- u. Kriegslieder von den Kindern gekannt wären, – aber auch das traf nicht zu. Es ist eine jämmerliche Pleite. Die Kinder lernen keine Religion, sie lernen keine Lieder u. was sie lernen, sehe ich an Jens, mit dem ich täglich Schularbeiten mache, es beschränkt sich auf einfachste Rechenaufgaben, Lesen u. auf das Schreiben kleiner Aufsätze, wobei auf saubere Schrift überhaupt kein Wert mehr gelegt wird. – Nachdem also unsere Bemühungen, die Kinder zu unterhalten, gescheitert waren, fingen die Jungens eine ziemlich rohe Balgerei an, bis Martha das Spiel: Die Reise nach Jerusalem, vorschlug. Ich verdrückte mich dann bald, denn inzwischen kam die Post, unter der sich ein Brief von Fritz befand, den ich erst einmal in Ruhe allein lesen wollte.

     Dieser Brief ist wenig erfreulich. Er hat also von seiner Frau tatsächlich einen Brief erhalten, in dem sie ihn bittet, sie freizugeben. Gleichzeitig hat er meine Briefe bekommen, in denen ich die Auflösung dieser Ehe schon als Selbstverständlichkeit behandelt habe. Aber aus seinem Brief geht hervor, daß er zunächst noch garnicht daran denkt, die Frau gehen zu lassen. Er glaubt, daß Margret unter dem Einfluß der Mutter steht, doch vergißt er, daß sie sich von ihm getrennt hat, schon ehe er überhaupt selbst auf Urlaub gekommen war. – Wenn Fritz sich von der Frau nicht trennen will, weiß ich nicht, was da werden soll. Es ist schlechthin undenkbar, daß wir hier zusammen mit Margret leben sollten, denn ein Interesse für das Geschäft hat sie nicht. Ihre frühere Idee, an Kinder wissenschaftl. Unterricht zu erteilen, kann sie jetzt nicht mehr ausführen, denn nun wird kein Mensch mehr sein Kind ihr zum Unterricht anvertrauen. Und wenn dann Fritz nach dem Kriege daß Geschäft wieder übernehmen will, wird er von ihr keine Hilfe haben, sondern nur Kosten, denn es hat sich ja gezeigt, daß sie anspruchsvoll ist u. daß Fritz vor der Hochzeit leider sehr aufgeschnitten [10] hat. Er hat Margret u. ihre Eltern in den Glauben versetzt, daß er ein reicher Mann wäre u. M. hat offenbar geglaubt, ein Leben voll Vergnügungen führen zu können, an Arbeit hat sie nicht gedacht. So viel ist jedenfalls klar, daß wir uns nach diesem Kriege keinesfalls zurückziehen können, denn diese Frau wird das Geld verschwenden u. Fritz wird Wachs in ihren Händen sein. Wenn Fritz auf dieser Frau besteht, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als sich einen anderen Beruf zu suchen, der ihm genug abwirft, um den Ansprüchen dieser Frau zu genügen. – Wenn das geringste Vertrauen dazu bestände, daß Margret wenigstens in religiöser Beziehung einsichtig wäre, dann wollte ich es mit ihr trotz allem wohl wagen, – denn das war immer meine Hoffnung, daß Margret, die doch die Enkelin von zwei Theologen ist, so viel religiöse Grundlage besäße, daß sie hierin bildungsfähig sei. Vor der Hochzeit hat sie ja auch in der Tat den Anschein erweckt, als ob diese Voraussetzung zuträfe, aber hiervon ist nichts übrig geblieben als eine heimliche, aber deutliche Opposition. Sie wird also Fritz nicht zur Religion hinbringen, sondern sie wird ihn davon entfernen, – u. das ist für mich ausschlaggebend, aus diesem Grunde wird das nie eine geordnete Ehe werden. –

     Die Russen machen rasche Fortschritte, sie haben jetzt fast an der ganzen Front den Dnjeper erreicht u. stehen vor Kiew u. Smolensk. Weniger rasch kommen die Engländer + Amerikaner vorwärts, die immer noch nicht viel über Salerno hinausgekommen sind. Dagegen scheint es so, als ob die serbischen Freiheitskämpfer sich jetzt gut behaupten u. die dalmatinische Küste ziemlich fest in der Hand haben. – In Minsk ist der frühere Gauleiter Kube von Polen ermordet worden u. es ist ein Staatsbegräbnis für ihn angeordnet worden. Dieser Kerl ist s. Zt. wegen Unterschlagungen u. Sittlichkeitsvergehen seines Amtes als Gauleiter enthoben worden, jetzt war er in Minsk in einer führenden Position.

     Von Rudolf Hess wird jetzt endlich Näheres bekannt. Es scheint fast so, als wäre er damals wirklich im Auftrage des Führers nach England geflogen u. zu versuchen, einen Frieden mit England zu erreichen.

Sonntag, 26. September 1943.     

     Unsere Andacht hatte trotz dem überaus schlechtem Wetter, Regen u. Sturm bei Nordwind, guten Zuspruch. Zwar fehlte Frau Monheim, die sich vorher telephonisch wegen dem Wetter entschuldigte u. auch Frau Dr. Krappmann war nicht da, aber es kam ganz unerwartet Frau Vogt, ferner Frau Bierwirt mit ihren Kindern Marianne u. Jup, Schwester Maria mit Viktoria, sowie unsere Trude. Als besonderer Gast war Frau Marianne Clemens, geb. Ziel, zugegen, eine Protestantin, deren kleiner Sohn am Religionsunterricht teilnimmt u. die mich gestern um Erlaubnis bat, zuhören zu dürfen. – Meine Ansprache scheint diesmal besonders wirkungsvoll gewesen zu sein, jedenfalls wurde Frau Vogt dadurch bewogen, nach der Andacht noch eine ganze Stunde dazubleiben, um sich mit Martha u. mir auszusprechen. Herr V. u. seine Frau sind Konvertiten u. er hat im Anfang ein ziemlich großes Wesen davon gemacht. Da er Rechtsanwalt + Notar in Havelberg ist u. dort auch Stadtrat ist, hatte er eine ziemlich einflußreiche Stellung u. er wurde auch von Geistlichen deshalb etwas stark hofiert. Seit 1933 war er Parteigenosse u. als solcher hat er den unmöglichen Versuch gemacht, eine Synthese des Nationalsozialismus + des Katholizismus zu finden, wobei aber lediglich sein Katholizismus in die Brüche ging. Seine drei Töchter sind nach u. nach ebenfalls aus der Kirche ausgetreten u. sind zum Nationalsozialismus übergegangen. Mir war diese traurige Entwicklung im Letzten unbegreiflich geblieben, bis dann eben heute Frau V. uns die nötigen Aufklärungen gab. – Vogt ist, da er früher aktiver Hauptmann gewesen war, bei Kriegsausbruch wieder Offizier geworden u. es ist ihm, der [11] an einer ziemlich großen Eitelkeit leidet, das Unglück zugestoßen, eine Frau kennen zu lernen, mit der er in eine ziemlich heftige Liebesaffaire begann. Das scheint in Lietzmannstadt passiert zu sein, wo er Bataillonskommandeur war. Nachher ist dann noch eine zweite Frau in derselben Art in sein Leben getreten und diese Affaire spielt gegenwärtig immer noch. – Frau Vogt, die in der Familie die Einzige ist, die dem Glauben treugeblieben ist, wenngleich sie auch natürlich heftige Schwankungen durchmachen mußte, hat sich bei diesen Irrungen ihres Mannes anscheinend heldenhaft benommen. Sie scheint allerdings sehr lange nicht mehr die Sakramente empfangen zu haben u. scheut sich nun vor der Beichte; aber das habe ich ihr sehr energisch auszureden versucht. Am 5. Oktober will nun ja unser Pfr. Dobczynski aus Barth herüberkommen. Ich werde ihn vorher informieren u. werde Frau Vogt einfach in die Beichte hineinstoßen. – Es ist erschütternd, was den Menschen nicht alles passieren kann. Vogt muß sicher 60 Jahre alt sein, – u. dennoch solche Dummheiten!

     Heute hörte ich, daß die Deutschen das „Protektorat“ über die Vatikanstadt übernommen haben, sodaß der hl. Vater buchstäblich der Gefangene der Deutschen ist. –

     Nachmittags war Herr Umlauff bei uns.